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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Bewegungen in der katholischen Welt.

Befreiung der Staatsbürger von den Einflüssen des Ultramontanismus vor¬
stellte, verschaffte der katholischen Kirche insbesondre der evangelischen gegenüber
eine außerordentliche Bevorzugung. Während diese durch das landesherrliche
Oberbischofamt nach wie vor der Staatsaufsicht und Regelung durch die Re¬
gierungsgewalt unterworfen blieb, wurde jene von allen Fesseln befreit. Der
sonst überwachte Verkehr mit Rom, das landesherrliche Plaeet, alle Kautelen,
durch welche der aufgeklärte Absolutismus die Entstehung einer souveränen
Macht im Staate zu verhindern gewußt hatte, fiele" mit einem Schlage in den
uach belgischer Schablone ausgearbeiteten Verfassungen der deutscheu Staaten
fort. Damit löste sich die Verbindung der katholischen Kirche mit dem
monarchischen Prinzip, der römische Altar trennte sich sofort von dem Throne,
und so sehen wir heute die katholische Kirche sich ebenso gut mit deu republi¬
kanischen wie mit den monarchischen Regierungen stellen, und zuweilen, wie
z. B. in einzelnen südamerikanischen Freistaaten, noch besser mit diesen wie mit
den alten monarchischen Reichen.

Sobald die päpstliche Kirche von den Schranken staatlicher Aufsicht befreit
war, suchte sie das verlorene Terrain im Volke wieder zu gewinnen. Bei
diesem Beginnen verstand sie von den mit dem Konstitutionalismus verbundeneu
Freiheitsrechteu den ergiebigsten Gebrauch zu machen; sie benutzte die Prcsz-
freihcit, um eigne, ausschließlich katholische Interessen vertretende Organe ins
Leben zu rufen, und bediente sich der sonstigen ihr zu Gebote stehenden Mittel,
um dieser Presse Verbreitung und Anhang zu schaffen. Mit ihrem Einfluß
lenkte sie die Wahlen und erhielt dadurch für ihre speziellen Ziele und Be¬
strebungen eine besondre, ihr unbedingt ergebene Partei im Parlament. Ab¬
gesehen davon, daß sie auf dem ihr eignen Gebiete der Erziehung und Ausbildung
der Geistliche" sich gehorsame, lediglich den kirchlichen Interessen dienende
Kleriker heranbilden konnte, verstand sie es, mit Hilfe der religiösen Orden
auch auf die Erziehung der Laien einzuwirken. Als mit der verfassungsmäßig
gewährleisteten Vereins- und Versammlungsfreiheit das ganze öffentliche Leben
in Delttschland einen neuen Charakter erhielt, war es wieder die katholische
Kirche, welche durch Bildung von Brüderschaften aller Art in allen Kreisen des
bürgerlichen Lebens, unter Studirenden und Handwerkern, unter den verschiedensten
Berufsklassen Vereinigungen hervorrief, welche, unter geistlicher Leitung stehend,
den Interesse" der Kirche dienstbar wurden. Giebt es jetzt doch schon in einzelnen
Städten Vereine der katholischen Ärzte, befindet sich doch sogar in Mainz der Sitz
eines katholischen Juristenvcreins mit einer besondern Zeitschrift! Als die soziale
Frage die deutsche Arbeiterwelt zu ergreifen anfing, war es wiederum die ka¬
tholische Geistlichkeit, welche mit den Arbeitern Fühlung zu nehmen verstand,
und der streitbare Bischof Ketteler von Mainz sah sich bereits an der Spitze
der Arbeiterbataillvne, wie dereinst mich im Mittelalter der Bischof selbst in
stählerner Rüstung seine Mannen in die Feldschlacht führte. Alle diese katholischen


Bewegungen in der katholischen Welt.

Befreiung der Staatsbürger von den Einflüssen des Ultramontanismus vor¬
stellte, verschaffte der katholischen Kirche insbesondre der evangelischen gegenüber
eine außerordentliche Bevorzugung. Während diese durch das landesherrliche
Oberbischofamt nach wie vor der Staatsaufsicht und Regelung durch die Re¬
gierungsgewalt unterworfen blieb, wurde jene von allen Fesseln befreit. Der
sonst überwachte Verkehr mit Rom, das landesherrliche Plaeet, alle Kautelen,
durch welche der aufgeklärte Absolutismus die Entstehung einer souveränen
Macht im Staate zu verhindern gewußt hatte, fiele» mit einem Schlage in den
uach belgischer Schablone ausgearbeiteten Verfassungen der deutscheu Staaten
fort. Damit löste sich die Verbindung der katholischen Kirche mit dem
monarchischen Prinzip, der römische Altar trennte sich sofort von dem Throne,
und so sehen wir heute die katholische Kirche sich ebenso gut mit deu republi¬
kanischen wie mit den monarchischen Regierungen stellen, und zuweilen, wie
z. B. in einzelnen südamerikanischen Freistaaten, noch besser mit diesen wie mit
den alten monarchischen Reichen.

Sobald die päpstliche Kirche von den Schranken staatlicher Aufsicht befreit
war, suchte sie das verlorene Terrain im Volke wieder zu gewinnen. Bei
diesem Beginnen verstand sie von den mit dem Konstitutionalismus verbundeneu
Freiheitsrechteu den ergiebigsten Gebrauch zu machen; sie benutzte die Prcsz-
freihcit, um eigne, ausschließlich katholische Interessen vertretende Organe ins
Leben zu rufen, und bediente sich der sonstigen ihr zu Gebote stehenden Mittel,
um dieser Presse Verbreitung und Anhang zu schaffen. Mit ihrem Einfluß
lenkte sie die Wahlen und erhielt dadurch für ihre speziellen Ziele und Be¬
strebungen eine besondre, ihr unbedingt ergebene Partei im Parlament. Ab¬
gesehen davon, daß sie auf dem ihr eignen Gebiete der Erziehung und Ausbildung
der Geistliche» sich gehorsame, lediglich den kirchlichen Interessen dienende
Kleriker heranbilden konnte, verstand sie es, mit Hilfe der religiösen Orden
auch auf die Erziehung der Laien einzuwirken. Als mit der verfassungsmäßig
gewährleisteten Vereins- und Versammlungsfreiheit das ganze öffentliche Leben
in Delttschland einen neuen Charakter erhielt, war es wieder die katholische
Kirche, welche durch Bildung von Brüderschaften aller Art in allen Kreisen des
bürgerlichen Lebens, unter Studirenden und Handwerkern, unter den verschiedensten
Berufsklassen Vereinigungen hervorrief, welche, unter geistlicher Leitung stehend,
den Interesse» der Kirche dienstbar wurden. Giebt es jetzt doch schon in einzelnen
Städten Vereine der katholischen Ärzte, befindet sich doch sogar in Mainz der Sitz
eines katholischen Juristenvcreins mit einer besondern Zeitschrift! Als die soziale
Frage die deutsche Arbeiterwelt zu ergreifen anfing, war es wiederum die ka¬
tholische Geistlichkeit, welche mit den Arbeitern Fühlung zu nehmen verstand,
und der streitbare Bischof Ketteler von Mainz sah sich bereits an der Spitze
der Arbeiterbataillvne, wie dereinst mich im Mittelalter der Bischof selbst in
stählerner Rüstung seine Mannen in die Feldschlacht führte. Alle diese katholischen


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[0461] Bewegungen in der katholischen Welt. Befreiung der Staatsbürger von den Einflüssen des Ultramontanismus vor¬ stellte, verschaffte der katholischen Kirche insbesondre der evangelischen gegenüber eine außerordentliche Bevorzugung. Während diese durch das landesherrliche Oberbischofamt nach wie vor der Staatsaufsicht und Regelung durch die Re¬ gierungsgewalt unterworfen blieb, wurde jene von allen Fesseln befreit. Der sonst überwachte Verkehr mit Rom, das landesherrliche Plaeet, alle Kautelen, durch welche der aufgeklärte Absolutismus die Entstehung einer souveränen Macht im Staate zu verhindern gewußt hatte, fiele» mit einem Schlage in den uach belgischer Schablone ausgearbeiteten Verfassungen der deutscheu Staaten fort. Damit löste sich die Verbindung der katholischen Kirche mit dem monarchischen Prinzip, der römische Altar trennte sich sofort von dem Throne, und so sehen wir heute die katholische Kirche sich ebenso gut mit deu republi¬ kanischen wie mit den monarchischen Regierungen stellen, und zuweilen, wie z. B. in einzelnen südamerikanischen Freistaaten, noch besser mit diesen wie mit den alten monarchischen Reichen. Sobald die päpstliche Kirche von den Schranken staatlicher Aufsicht befreit war, suchte sie das verlorene Terrain im Volke wieder zu gewinnen. Bei diesem Beginnen verstand sie von den mit dem Konstitutionalismus verbundeneu Freiheitsrechteu den ergiebigsten Gebrauch zu machen; sie benutzte die Prcsz- freihcit, um eigne, ausschließlich katholische Interessen vertretende Organe ins Leben zu rufen, und bediente sich der sonstigen ihr zu Gebote stehenden Mittel, um dieser Presse Verbreitung und Anhang zu schaffen. Mit ihrem Einfluß lenkte sie die Wahlen und erhielt dadurch für ihre speziellen Ziele und Be¬ strebungen eine besondre, ihr unbedingt ergebene Partei im Parlament. Ab¬ gesehen davon, daß sie auf dem ihr eignen Gebiete der Erziehung und Ausbildung der Geistliche» sich gehorsame, lediglich den kirchlichen Interessen dienende Kleriker heranbilden konnte, verstand sie es, mit Hilfe der religiösen Orden auch auf die Erziehung der Laien einzuwirken. Als mit der verfassungsmäßig gewährleisteten Vereins- und Versammlungsfreiheit das ganze öffentliche Leben in Delttschland einen neuen Charakter erhielt, war es wieder die katholische Kirche, welche durch Bildung von Brüderschaften aller Art in allen Kreisen des bürgerlichen Lebens, unter Studirenden und Handwerkern, unter den verschiedensten Berufsklassen Vereinigungen hervorrief, welche, unter geistlicher Leitung stehend, den Interesse» der Kirche dienstbar wurden. Giebt es jetzt doch schon in einzelnen Städten Vereine der katholischen Ärzte, befindet sich doch sogar in Mainz der Sitz eines katholischen Juristenvcreins mit einer besondern Zeitschrift! Als die soziale Frage die deutsche Arbeiterwelt zu ergreifen anfing, war es wiederum die ka¬ tholische Geistlichkeit, welche mit den Arbeitern Fühlung zu nehmen verstand, und der streitbare Bischof Ketteler von Mainz sah sich bereits an der Spitze der Arbeiterbataillvne, wie dereinst mich im Mittelalter der Bischof selbst in stählerner Rüstung seine Mannen in die Feldschlacht führte. Alle diese katholischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/461>, abgerufen am 20.10.2024.