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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die neuen Briefe Robert Schumanns.

quartette und die "Perl" hielt er für seine besten Arbeiten. Seinen Jugendwerken
mochte er später wohl etwas ferner stehen, weil er in ihnen nicht die Vollendung
der Form erreicht hatte, die er an Mendelssohns Schöpfungen so sehr bewunderte
und auch für sich selbst zu erreichen trachtete. Wasielewski berichtet, Schumann
habe ihn von den Jugendarbeiten nichts vorspielen lassen wollen..und habe sie
ironisch "wüstes Zeug" genannt. Nur gut, daß Schumann "ironisch" gesprochen.
In den dreißiger Jahren hatte er doch eine hohe Meinung von diesen Klavier-
Werken. Die "symphonischen Etüden"^ legte er Moscheles mit Zuversicht vor.
"Einige davon liebe ich jetzt noch ^1837), sie sind beinahe drei Jahre alt." Die
"Kreisleriana" liebte er am meisten und stellte sie über die "Humoreske," die
freilich mehr melancholisch sei, über "Blumenstück" und "Arabeske," die weniger
bedeuten wollten. Die "Phantasie" mit ihrer tiefen Klage um Klara, die "No-
velletten" und alle gleichzeitigen Kompositionen hat Schumann gewiß geliebt. Sie
sprechen von seinen Kämpfen um seine Braut. "Er legt' auch seine Liebe'und
seinen Schmerz hinein."Wenn er in den "Jugendbriefen" selbstbewußt ausruft:
"Ich konnte schon bis ox. 100 sein mit lauter Symphonien," so sagt er uns
damit, daß wir seine Klavierwerke der ersten Periode ebenso für verschleierte
Symphonien zu halten haben, wie er die Sonaten des jungen Brahms als solche
bezeichnete. Welche formelle Vollendung bietet nicht^das Finale des "Faschings-
schwanks"! (Schumann nennt ihn vor der Herausgabe eine romantische Sonate.)
Es erinnert in seinem Bau und in seiner Stimmung an das Finale der ^s-äur-
Souate Beethovens; die Introduktion der ^is-moll-Sonate können wir dem
Adagio der Öls-moll-Sonate an die Seite setzen. Die Uria ans c"x. 11 hat überhaupt
nicht ihresgleichen; da ist der Schluß der Jugendbriefe wahr geworden: "Manch¬
mal ist es mir doch, als käme ich auf ganz neue Wege in der Musik."

Auch von den Kompositionen der spätern Jahre nennt Schumann manche,
die ihm als besonders gelungen gelten. So den ersten Satz des D-moll-Trios.
"Das zweite Trio, in ist von ganz anderm Charakter als das in v-moll
und wirkt freundlicher und schneller. Auf den Anfang des Adagio und auf
das Allegretto sScherzo^ freue ich mich immer, wenn es daran kommt." Auch
das "Spanische Liederspiel" machte ihn sehr glücklich, als er daran schrieb.
Man kann sich das wohl denken, denn wo giebt es eine schönere Melodie als
die des Quartetts: "Wer mich liebt, deu lieb' ich wieder"!

Namentlich in den Briefen an Verleger, welche die dritte Abteilung der
Sammlung bilden, spricht sich Schumann öfter über einzelne Kompositionen
aus. Man liest in diesen Briefen mancherlei zwischen deu Zeilen. So muß
ihm wohl vorgeworfen worden sein, daß seine Sachen zu düster und melancholisch
seien. Er unterläßt daher nicht, besonders hervorzuheben, daß er fröhliche, mit
guter Lust geschriebene Stücke im "Kinderball" und in den "Ballszcnen" gebe.



*) Zu diesem Zitate denke man an Schumanns Melodie aus ox. 43, 16.
Die neuen Briefe Robert Schumanns.

quartette und die „Perl" hielt er für seine besten Arbeiten. Seinen Jugendwerken
mochte er später wohl etwas ferner stehen, weil er in ihnen nicht die Vollendung
der Form erreicht hatte, die er an Mendelssohns Schöpfungen so sehr bewunderte
und auch für sich selbst zu erreichen trachtete. Wasielewski berichtet, Schumann
habe ihn von den Jugendarbeiten nichts vorspielen lassen wollen..und habe sie
ironisch „wüstes Zeug" genannt. Nur gut, daß Schumann „ironisch" gesprochen.
In den dreißiger Jahren hatte er doch eine hohe Meinung von diesen Klavier-
Werken. Die „symphonischen Etüden"^ legte er Moscheles mit Zuversicht vor.
„Einige davon liebe ich jetzt noch ^1837), sie sind beinahe drei Jahre alt." Die
„Kreisleriana" liebte er am meisten und stellte sie über die „Humoreske," die
freilich mehr melancholisch sei, über „Blumenstück" und „Arabeske," die weniger
bedeuten wollten. Die „Phantasie" mit ihrer tiefen Klage um Klara, die „No-
velletten" und alle gleichzeitigen Kompositionen hat Schumann gewiß geliebt. Sie
sprechen von seinen Kämpfen um seine Braut. „Er legt' auch seine Liebe'und
seinen Schmerz hinein."Wenn er in den „Jugendbriefen" selbstbewußt ausruft:
„Ich konnte schon bis ox. 100 sein mit lauter Symphonien," so sagt er uns
damit, daß wir seine Klavierwerke der ersten Periode ebenso für verschleierte
Symphonien zu halten haben, wie er die Sonaten des jungen Brahms als solche
bezeichnete. Welche formelle Vollendung bietet nicht^das Finale des „Faschings-
schwanks"! (Schumann nennt ihn vor der Herausgabe eine romantische Sonate.)
Es erinnert in seinem Bau und in seiner Stimmung an das Finale der ^s-äur-
Souate Beethovens; die Introduktion der ^is-moll-Sonate können wir dem
Adagio der Öls-moll-Sonate an die Seite setzen. Die Uria ans c»x. 11 hat überhaupt
nicht ihresgleichen; da ist der Schluß der Jugendbriefe wahr geworden: „Manch¬
mal ist es mir doch, als käme ich auf ganz neue Wege in der Musik."

Auch von den Kompositionen der spätern Jahre nennt Schumann manche,
die ihm als besonders gelungen gelten. So den ersten Satz des D-moll-Trios.
„Das zweite Trio, in ist von ganz anderm Charakter als das in v-moll
und wirkt freundlicher und schneller. Auf den Anfang des Adagio und auf
das Allegretto sScherzo^ freue ich mich immer, wenn es daran kommt." Auch
das „Spanische Liederspiel" machte ihn sehr glücklich, als er daran schrieb.
Man kann sich das wohl denken, denn wo giebt es eine schönere Melodie als
die des Quartetts: „Wer mich liebt, deu lieb' ich wieder"!

Namentlich in den Briefen an Verleger, welche die dritte Abteilung der
Sammlung bilden, spricht sich Schumann öfter über einzelne Kompositionen
aus. Man liest in diesen Briefen mancherlei zwischen deu Zeilen. So muß
ihm wohl vorgeworfen worden sein, daß seine Sachen zu düster und melancholisch
seien. Er unterläßt daher nicht, besonders hervorzuheben, daß er fröhliche, mit
guter Lust geschriebene Stücke im „Kinderball" und in den „Ballszcnen" gebe.



*) Zu diesem Zitate denke man an Schumanns Melodie aus ox. 43, 16.
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[0439] Die neuen Briefe Robert Schumanns. quartette und die „Perl" hielt er für seine besten Arbeiten. Seinen Jugendwerken mochte er später wohl etwas ferner stehen, weil er in ihnen nicht die Vollendung der Form erreicht hatte, die er an Mendelssohns Schöpfungen so sehr bewunderte und auch für sich selbst zu erreichen trachtete. Wasielewski berichtet, Schumann habe ihn von den Jugendarbeiten nichts vorspielen lassen wollen..und habe sie ironisch „wüstes Zeug" genannt. Nur gut, daß Schumann „ironisch" gesprochen. In den dreißiger Jahren hatte er doch eine hohe Meinung von diesen Klavier- Werken. Die „symphonischen Etüden"^ legte er Moscheles mit Zuversicht vor. „Einige davon liebe ich jetzt noch ^1837), sie sind beinahe drei Jahre alt." Die „Kreisleriana" liebte er am meisten und stellte sie über die „Humoreske," die freilich mehr melancholisch sei, über „Blumenstück" und „Arabeske," die weniger bedeuten wollten. Die „Phantasie" mit ihrer tiefen Klage um Klara, die „No- velletten" und alle gleichzeitigen Kompositionen hat Schumann gewiß geliebt. Sie sprechen von seinen Kämpfen um seine Braut. „Er legt' auch seine Liebe'und seinen Schmerz hinein."Wenn er in den „Jugendbriefen" selbstbewußt ausruft: „Ich konnte schon bis ox. 100 sein mit lauter Symphonien," so sagt er uns damit, daß wir seine Klavierwerke der ersten Periode ebenso für verschleierte Symphonien zu halten haben, wie er die Sonaten des jungen Brahms als solche bezeichnete. Welche formelle Vollendung bietet nicht^das Finale des „Faschings- schwanks"! (Schumann nennt ihn vor der Herausgabe eine romantische Sonate.) Es erinnert in seinem Bau und in seiner Stimmung an das Finale der ^s-äur- Souate Beethovens; die Introduktion der ^is-moll-Sonate können wir dem Adagio der Öls-moll-Sonate an die Seite setzen. Die Uria ans c»x. 11 hat überhaupt nicht ihresgleichen; da ist der Schluß der Jugendbriefe wahr geworden: „Manch¬ mal ist es mir doch, als käme ich auf ganz neue Wege in der Musik." Auch von den Kompositionen der spätern Jahre nennt Schumann manche, die ihm als besonders gelungen gelten. So den ersten Satz des D-moll-Trios. „Das zweite Trio, in ist von ganz anderm Charakter als das in v-moll und wirkt freundlicher und schneller. Auf den Anfang des Adagio und auf das Allegretto sScherzo^ freue ich mich immer, wenn es daran kommt." Auch das „Spanische Liederspiel" machte ihn sehr glücklich, als er daran schrieb. Man kann sich das wohl denken, denn wo giebt es eine schönere Melodie als die des Quartetts: „Wer mich liebt, deu lieb' ich wieder"! Namentlich in den Briefen an Verleger, welche die dritte Abteilung der Sammlung bilden, spricht sich Schumann öfter über einzelne Kompositionen aus. Man liest in diesen Briefen mancherlei zwischen deu Zeilen. So muß ihm wohl vorgeworfen worden sein, daß seine Sachen zu düster und melancholisch seien. Er unterläßt daher nicht, besonders hervorzuheben, daß er fröhliche, mit guter Lust geschriebene Stücke im „Kinderball" und in den „Ballszcnen" gebe. *) Zu diesem Zitate denke man an Schumanns Melodie aus ox. 43, 16.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/439>, abgerufen am 20.10.2024.