Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsche Sorgen in Ästerreich.

harte" die Ostgothen Theodorichs und die Quader, welche das Land am Süd-
abHange der Karpathen innehalten. Durch das Vordringen der Avaren und
Slawen wurden jene germanischen Elemente größtenteils weggeschoben oder
absorbirt. Aber die Siege Karls des Großen trieben diese Flut wieder zurück,
und abermals wurde Ungarn auf weite Strecken hin deutsches Land. Fast das
ganze Gebiet auf dem rechten Ufer der Donau, die alte Nömerprovinz Pannonien,
wurde dem Frankenreiche einverleibt und mit Kolonisten aus Vaiern, Franken
und Sachsen besiedelt, welche nun das meist menschenleer und wüst gewordene
Wald- und Wüstcnlmid zu bebauen begannen. Mit dieser Arbeit ging die
Einführung deutschen Rechtes und Brauches und die Christianisirung der pan-
uonischen Slawen durch die Bistümer Salzburg und Passau Hand in Hand.
Noch einmal traf das Deutschtum dieser Landstriche ein schwerer Schlag. Seit
dem Ende des neunten Jahrhunderts erscheint das finnische Steppcnvolk der
Magyaren an der untern Donan und Theiß und überschwemmt die östlichen
Marken des Frankenreiches. Die slawische Bevölkerung macht mit den Ein-
gedrungeuen gemeinsame Sache gegen die deutschen Herren, deren Ortschaften
und Burgen finden ihren Untergang, und weit uach Westen hin wogen, nachdem
diese Dämme gefallen sind, die Wellen dieser letzten Findung des ethnischen
Diluviums, welches die Geschichte als Völkerwanderung bezeichnet. Erst um
die Mitte des zehnten Jahrhunderts hatte" die Einfälle der Magyaren in
Deutschland ein Ende, und ein friedlicher Verkehr mit ihnen begann sich zu
entwickeln. Sie hatten die Schärfe des deutschen Schwertes kennen gelernt und
fingen an, zu begreifen, daß sie sich an die westliche Kulturwelt anschließen und
von ihr lernen mußten, wenn sie sich neben ihr dauernd behaupten wollten.
Eine Gesandtschaft aus ihrer Mitte, die 973 am Hoflager des Kaisers Otto
zu Quedlinburg erschien, eröffnet die Bahn zu einer vielhundertjährigen Ein¬
wirkung des deutscheu Reiches auf das magyarische Ungarn. Von Passen aus
erhielt dieses das Christentum, das sich indes sehr langsam über die Nation
verbreitete. 995 vermählte sich der Begründer des ungarischen Staates, sein
erster König aus dem Geschlechte Arpads, Stephan der Heilige, mit der baierischen
Herzogstochter Gisela, und seitdem zogen wieder zahlreiche deutsche Auswanderer,
Adliche, Geistliche, Mönche, Bauern, zuletzt auch Handwerker, nach Osten, wo
sie für Stephan und seine Nachfolger Gehilfen bei der Befestigung der neuen
Monarchie und Lehrmeister ihres immer noch barbarischen Volkes wurden.
Hauptsächlich mit dem Beistande deutscher Herren bezwang Stephan den Trotz
der magyarischen Großen. Nach deutschen Vorbildern schuf er Gesetze für das
Land und richtete die Verwaltung desselben ein. Durch Vermittelung des
deutschen Kaisers Otto III. verlieh ihm der Papst im Jahre 1000 die Königs¬
krone, welche den Ungarn seitdem als Stephanskrone für ihr größtes Heiligtum
galt. Während der Thrvnstreitigkeiteu und Parteiivirreu, welche auf feinen Tod
folgten, und in welche die deutschen Herrscher sich einmischten, wurde Ungarn


Deutsche Sorgen in Ästerreich.

harte» die Ostgothen Theodorichs und die Quader, welche das Land am Süd-
abHange der Karpathen innehalten. Durch das Vordringen der Avaren und
Slawen wurden jene germanischen Elemente größtenteils weggeschoben oder
absorbirt. Aber die Siege Karls des Großen trieben diese Flut wieder zurück,
und abermals wurde Ungarn auf weite Strecken hin deutsches Land. Fast das
ganze Gebiet auf dem rechten Ufer der Donau, die alte Nömerprovinz Pannonien,
wurde dem Frankenreiche einverleibt und mit Kolonisten aus Vaiern, Franken
und Sachsen besiedelt, welche nun das meist menschenleer und wüst gewordene
Wald- und Wüstcnlmid zu bebauen begannen. Mit dieser Arbeit ging die
Einführung deutschen Rechtes und Brauches und die Christianisirung der pan-
uonischen Slawen durch die Bistümer Salzburg und Passau Hand in Hand.
Noch einmal traf das Deutschtum dieser Landstriche ein schwerer Schlag. Seit
dem Ende des neunten Jahrhunderts erscheint das finnische Steppcnvolk der
Magyaren an der untern Donan und Theiß und überschwemmt die östlichen
Marken des Frankenreiches. Die slawische Bevölkerung macht mit den Ein-
gedrungeuen gemeinsame Sache gegen die deutschen Herren, deren Ortschaften
und Burgen finden ihren Untergang, und weit uach Westen hin wogen, nachdem
diese Dämme gefallen sind, die Wellen dieser letzten Findung des ethnischen
Diluviums, welches die Geschichte als Völkerwanderung bezeichnet. Erst um
die Mitte des zehnten Jahrhunderts hatte» die Einfälle der Magyaren in
Deutschland ein Ende, und ein friedlicher Verkehr mit ihnen begann sich zu
entwickeln. Sie hatten die Schärfe des deutschen Schwertes kennen gelernt und
fingen an, zu begreifen, daß sie sich an die westliche Kulturwelt anschließen und
von ihr lernen mußten, wenn sie sich neben ihr dauernd behaupten wollten.
Eine Gesandtschaft aus ihrer Mitte, die 973 am Hoflager des Kaisers Otto
zu Quedlinburg erschien, eröffnet die Bahn zu einer vielhundertjährigen Ein¬
wirkung des deutscheu Reiches auf das magyarische Ungarn. Von Passen aus
erhielt dieses das Christentum, das sich indes sehr langsam über die Nation
verbreitete. 995 vermählte sich der Begründer des ungarischen Staates, sein
erster König aus dem Geschlechte Arpads, Stephan der Heilige, mit der baierischen
Herzogstochter Gisela, und seitdem zogen wieder zahlreiche deutsche Auswanderer,
Adliche, Geistliche, Mönche, Bauern, zuletzt auch Handwerker, nach Osten, wo
sie für Stephan und seine Nachfolger Gehilfen bei der Befestigung der neuen
Monarchie und Lehrmeister ihres immer noch barbarischen Volkes wurden.
Hauptsächlich mit dem Beistande deutscher Herren bezwang Stephan den Trotz
der magyarischen Großen. Nach deutschen Vorbildern schuf er Gesetze für das
Land und richtete die Verwaltung desselben ein. Durch Vermittelung des
deutschen Kaisers Otto III. verlieh ihm der Papst im Jahre 1000 die Königs¬
krone, welche den Ungarn seitdem als Stephanskrone für ihr größtes Heiligtum
galt. Während der Thrvnstreitigkeiteu und Parteiivirreu, welche auf feinen Tod
folgten, und in welche die deutschen Herrscher sich einmischten, wurde Ungarn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0413" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199767"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsche Sorgen in Ästerreich.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1724" prev="#ID_1723" next="#ID_1725"> harte» die Ostgothen Theodorichs und die Quader, welche das Land am Süd-<lb/>
abHange der Karpathen innehalten. Durch das Vordringen der Avaren und<lb/>
Slawen wurden jene germanischen Elemente größtenteils weggeschoben oder<lb/>
absorbirt. Aber die Siege Karls des Großen trieben diese Flut wieder zurück,<lb/>
und abermals wurde Ungarn auf weite Strecken hin deutsches Land. Fast das<lb/>
ganze Gebiet auf dem rechten Ufer der Donau, die alte Nömerprovinz Pannonien,<lb/>
wurde dem Frankenreiche einverleibt und mit Kolonisten aus Vaiern, Franken<lb/>
und Sachsen besiedelt, welche nun das meist menschenleer und wüst gewordene<lb/>
Wald- und Wüstcnlmid zu bebauen begannen. Mit dieser Arbeit ging die<lb/>
Einführung deutschen Rechtes und Brauches und die Christianisirung der pan-<lb/>
uonischen Slawen durch die Bistümer Salzburg und Passau Hand in Hand.<lb/>
Noch einmal traf das Deutschtum dieser Landstriche ein schwerer Schlag. Seit<lb/>
dem Ende des neunten Jahrhunderts erscheint das finnische Steppcnvolk der<lb/>
Magyaren an der untern Donan und Theiß und überschwemmt die östlichen<lb/>
Marken des Frankenreiches. Die slawische Bevölkerung macht mit den Ein-<lb/>
gedrungeuen gemeinsame Sache gegen die deutschen Herren, deren Ortschaften<lb/>
und Burgen finden ihren Untergang, und weit uach Westen hin wogen, nachdem<lb/>
diese Dämme gefallen sind, die Wellen dieser letzten Findung des ethnischen<lb/>
Diluviums, welches die Geschichte als Völkerwanderung bezeichnet. Erst um<lb/>
die Mitte des zehnten Jahrhunderts hatte» die Einfälle der Magyaren in<lb/>
Deutschland ein Ende, und ein friedlicher Verkehr mit ihnen begann sich zu<lb/>
entwickeln. Sie hatten die Schärfe des deutschen Schwertes kennen gelernt und<lb/>
fingen an, zu begreifen, daß sie sich an die westliche Kulturwelt anschließen und<lb/>
von ihr lernen mußten, wenn sie sich neben ihr dauernd behaupten wollten.<lb/>
Eine Gesandtschaft aus ihrer Mitte, die 973 am Hoflager des Kaisers Otto<lb/>
zu Quedlinburg erschien, eröffnet die Bahn zu einer vielhundertjährigen Ein¬<lb/>
wirkung des deutscheu Reiches auf das magyarische Ungarn. Von Passen aus<lb/>
erhielt dieses das Christentum, das sich indes sehr langsam über die Nation<lb/>
verbreitete. 995 vermählte sich der Begründer des ungarischen Staates, sein<lb/>
erster König aus dem Geschlechte Arpads, Stephan der Heilige, mit der baierischen<lb/>
Herzogstochter Gisela, und seitdem zogen wieder zahlreiche deutsche Auswanderer,<lb/>
Adliche, Geistliche, Mönche, Bauern, zuletzt auch Handwerker, nach Osten, wo<lb/>
sie für Stephan und seine Nachfolger Gehilfen bei der Befestigung der neuen<lb/>
Monarchie und Lehrmeister ihres immer noch barbarischen Volkes wurden.<lb/>
Hauptsächlich mit dem Beistande deutscher Herren bezwang Stephan den Trotz<lb/>
der magyarischen Großen. Nach deutschen Vorbildern schuf er Gesetze für das<lb/>
Land und richtete die Verwaltung desselben ein. Durch Vermittelung des<lb/>
deutschen Kaisers Otto III. verlieh ihm der Papst im Jahre 1000 die Königs¬<lb/>
krone, welche den Ungarn seitdem als Stephanskrone für ihr größtes Heiligtum<lb/>
galt. Während der Thrvnstreitigkeiteu und Parteiivirreu, welche auf feinen Tod<lb/>
folgten, und in welche die deutschen Herrscher sich einmischten, wurde Ungarn</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0413] Deutsche Sorgen in Ästerreich. harte» die Ostgothen Theodorichs und die Quader, welche das Land am Süd- abHange der Karpathen innehalten. Durch das Vordringen der Avaren und Slawen wurden jene germanischen Elemente größtenteils weggeschoben oder absorbirt. Aber die Siege Karls des Großen trieben diese Flut wieder zurück, und abermals wurde Ungarn auf weite Strecken hin deutsches Land. Fast das ganze Gebiet auf dem rechten Ufer der Donau, die alte Nömerprovinz Pannonien, wurde dem Frankenreiche einverleibt und mit Kolonisten aus Vaiern, Franken und Sachsen besiedelt, welche nun das meist menschenleer und wüst gewordene Wald- und Wüstcnlmid zu bebauen begannen. Mit dieser Arbeit ging die Einführung deutschen Rechtes und Brauches und die Christianisirung der pan- uonischen Slawen durch die Bistümer Salzburg und Passau Hand in Hand. Noch einmal traf das Deutschtum dieser Landstriche ein schwerer Schlag. Seit dem Ende des neunten Jahrhunderts erscheint das finnische Steppcnvolk der Magyaren an der untern Donan und Theiß und überschwemmt die östlichen Marken des Frankenreiches. Die slawische Bevölkerung macht mit den Ein- gedrungeuen gemeinsame Sache gegen die deutschen Herren, deren Ortschaften und Burgen finden ihren Untergang, und weit uach Westen hin wogen, nachdem diese Dämme gefallen sind, die Wellen dieser letzten Findung des ethnischen Diluviums, welches die Geschichte als Völkerwanderung bezeichnet. Erst um die Mitte des zehnten Jahrhunderts hatte» die Einfälle der Magyaren in Deutschland ein Ende, und ein friedlicher Verkehr mit ihnen begann sich zu entwickeln. Sie hatten die Schärfe des deutschen Schwertes kennen gelernt und fingen an, zu begreifen, daß sie sich an die westliche Kulturwelt anschließen und von ihr lernen mußten, wenn sie sich neben ihr dauernd behaupten wollten. Eine Gesandtschaft aus ihrer Mitte, die 973 am Hoflager des Kaisers Otto zu Quedlinburg erschien, eröffnet die Bahn zu einer vielhundertjährigen Ein¬ wirkung des deutscheu Reiches auf das magyarische Ungarn. Von Passen aus erhielt dieses das Christentum, das sich indes sehr langsam über die Nation verbreitete. 995 vermählte sich der Begründer des ungarischen Staates, sein erster König aus dem Geschlechte Arpads, Stephan der Heilige, mit der baierischen Herzogstochter Gisela, und seitdem zogen wieder zahlreiche deutsche Auswanderer, Adliche, Geistliche, Mönche, Bauern, zuletzt auch Handwerker, nach Osten, wo sie für Stephan und seine Nachfolger Gehilfen bei der Befestigung der neuen Monarchie und Lehrmeister ihres immer noch barbarischen Volkes wurden. Hauptsächlich mit dem Beistande deutscher Herren bezwang Stephan den Trotz der magyarischen Großen. Nach deutschen Vorbildern schuf er Gesetze für das Land und richtete die Verwaltung desselben ein. Durch Vermittelung des deutschen Kaisers Otto III. verlieh ihm der Papst im Jahre 1000 die Königs¬ krone, welche den Ungarn seitdem als Stephanskrone für ihr größtes Heiligtum galt. Während der Thrvnstreitigkeiteu und Parteiivirreu, welche auf feinen Tod folgten, und in welche die deutschen Herrscher sich einmischten, wurde Ungarn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/413
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/413>, abgerufen am 27.09.2024.