Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist. da er, zwei Jahre später, der Vollendung des "Robert Guiscard" nahe zu sein Es leidet keinen Zweifel, daß diese im stolzesten Hochgefühl gesprochenen Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist. da er, zwei Jahre später, der Vollendung des „Robert Guiscard" nahe zu sein Es leidet keinen Zweifel, daß diese im stolzesten Hochgefühl gesprochenen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199743"/> <fw type="header" place="top"> Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1586" prev="#ID_1585"> da er, zwei Jahre später, der Vollendung des „Robert Guiscard" nahe zu sein<lb/> glaubt. Er spricht zu der Braut in einem Tone, der von einem gewaltigeren<lb/> dichterischen Selbstgefühl geschwellt ist, als je zuvor oder hernach. „Wilhelmine!<lb/> — lesen wir in dem Briefe vom 19. September —, bin ich dir nichts mehr wert?<lb/> Achtest dn mich nicht mehr? Hast du sie schon verdammt, diese Reise, deren<lb/> Zweck du noch nicht leimst? Kehre um, liebes Mädchen! Hast du dich aus<lb/> Mißtrauen von mir losreißen wollen, so gieb es jetzt wieder ans, jetzt, wo bald<lb/> eine Sonne über mich aufgehen wird. Wie würdest du, in kurzem, Herüber¬<lb/> blicken mit Wehmut und Trauer zu mir, von dem du dich losgerissen hast,<lb/> gerade da er deiner Liebe am würdigsten war? Wie würdest du dich selbst<lb/> herabwürdigen, wenn ich heraufstiege vor deinen Augen, geschmückt mit den<lb/> Lorberen meiner That? Noch weißt du nicht ganz, wen du mit deinen Armen<lb/> umstrickst — aber bald, bald! Und dein Herz wird dir beben, wenn du in<lb/> meins blicken wirst, das verspreche ich dir! Hast du uoch nie die Sonne auf¬<lb/> gehen sehe» über einer Gegend, zu welcher du gekommen warst im Dunkel der<lb/> Nacht? Ich aber habe es. Es war vor drei Jahren im Harze. Ich erstieg<lb/> um Mitternacht den Stufender«, hinter Gernerode. Da stand ich, schauernd,<lb/> unter deu Nachtgestalten, wie zwischen Leichensteinen, und kalt wehte mich die<lb/> Nacht an, wie ein Geist, und öde schien mir der Berg, wie ein Kirchhof. Aber<lb/> ich irrte nur, so lange die Finsternis über mich waltete. Denn als die Sonne<lb/> hinter den Bergen hinaufstieg, und ihr Licht ausgoß über die freundlichen<lb/> Fluren, und ihre Strahlen senkte in die grünenden Thäler, und ihren Schimmer<lb/> heftete um die Häupter der Berge, und ihre Farben malte an die Blätter der<lb/> Blumen und an die Blüte» der Bäume — ja, da hob sich das Herz mir unter<lb/> dem Busen, denn da sah ich, und hörte, und fühlte, und empfand nun mit<lb/> allen meinen Sinnen, daß ich ein Paradies vor mir hatte. Etwas ähnliches<lb/> verspreche ich dir, wen» die Sonne aufgehen wird über deinen unbegreiflichen<lb/> Freund."</p><lb/> <p xml:id="ID_1587" next="#ID_1588"> Es leidet keinen Zweifel, daß diese im stolzesten Hochgefühl gesprochenen<lb/> Worte einer Stimmung seliger Befriedigung über die im tiefsten Innern sich<lb/> geltend machende Dichtergewalt entsprungen sind. Zum Teil scheint das Glücks-<lb/> gefühl des Dichters auch darauf zu beruhen, daß zunächst das reale Unternehmen<lb/> seiner Reise eine überraschend günstige Wendung nahm. „Sei vergnügt — schreibt<lb/> er —, denu jetzt darf dir der Erfolg meines Unternehmens keine Sorge mehr<lb/> macheu. Lebe wohl und freue dich auf den nächsten Brief, denn wenn nicht<lb/> alles mich tünscht, so--." Welche Ereignisse zwischen diesen und den<lb/> nächstem uns erhaltnen Brief, der eine ganz andre Stimmung des Schreibers<lb/> kundgiebt, getreten sein mögen, ist leider nicht ersichtlich. Vielleicht läßt sich<lb/> ans den folgenden, einige Zeit später geschriebenen Worten ein Schluß ziehen:<lb/> „Wen» ich mir das freundliche Thal denke, das einst unsre Hütte umgrenzen<lb/> wird, ... dann ist es mir, als könnte mich nichts glücklich machen als die Er-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0389]
Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist.
da er, zwei Jahre später, der Vollendung des „Robert Guiscard" nahe zu sein
glaubt. Er spricht zu der Braut in einem Tone, der von einem gewaltigeren
dichterischen Selbstgefühl geschwellt ist, als je zuvor oder hernach. „Wilhelmine!
— lesen wir in dem Briefe vom 19. September —, bin ich dir nichts mehr wert?
Achtest dn mich nicht mehr? Hast du sie schon verdammt, diese Reise, deren
Zweck du noch nicht leimst? Kehre um, liebes Mädchen! Hast du dich aus
Mißtrauen von mir losreißen wollen, so gieb es jetzt wieder ans, jetzt, wo bald
eine Sonne über mich aufgehen wird. Wie würdest du, in kurzem, Herüber¬
blicken mit Wehmut und Trauer zu mir, von dem du dich losgerissen hast,
gerade da er deiner Liebe am würdigsten war? Wie würdest du dich selbst
herabwürdigen, wenn ich heraufstiege vor deinen Augen, geschmückt mit den
Lorberen meiner That? Noch weißt du nicht ganz, wen du mit deinen Armen
umstrickst — aber bald, bald! Und dein Herz wird dir beben, wenn du in
meins blicken wirst, das verspreche ich dir! Hast du uoch nie die Sonne auf¬
gehen sehe» über einer Gegend, zu welcher du gekommen warst im Dunkel der
Nacht? Ich aber habe es. Es war vor drei Jahren im Harze. Ich erstieg
um Mitternacht den Stufender«, hinter Gernerode. Da stand ich, schauernd,
unter deu Nachtgestalten, wie zwischen Leichensteinen, und kalt wehte mich die
Nacht an, wie ein Geist, und öde schien mir der Berg, wie ein Kirchhof. Aber
ich irrte nur, so lange die Finsternis über mich waltete. Denn als die Sonne
hinter den Bergen hinaufstieg, und ihr Licht ausgoß über die freundlichen
Fluren, und ihre Strahlen senkte in die grünenden Thäler, und ihren Schimmer
heftete um die Häupter der Berge, und ihre Farben malte an die Blätter der
Blumen und an die Blüte» der Bäume — ja, da hob sich das Herz mir unter
dem Busen, denn da sah ich, und hörte, und fühlte, und empfand nun mit
allen meinen Sinnen, daß ich ein Paradies vor mir hatte. Etwas ähnliches
verspreche ich dir, wen» die Sonne aufgehen wird über deinen unbegreiflichen
Freund."
Es leidet keinen Zweifel, daß diese im stolzesten Hochgefühl gesprochenen
Worte einer Stimmung seliger Befriedigung über die im tiefsten Innern sich
geltend machende Dichtergewalt entsprungen sind. Zum Teil scheint das Glücks-
gefühl des Dichters auch darauf zu beruhen, daß zunächst das reale Unternehmen
seiner Reise eine überraschend günstige Wendung nahm. „Sei vergnügt — schreibt
er —, denu jetzt darf dir der Erfolg meines Unternehmens keine Sorge mehr
macheu. Lebe wohl und freue dich auf den nächsten Brief, denn wenn nicht
alles mich tünscht, so--." Welche Ereignisse zwischen diesen und den
nächstem uns erhaltnen Brief, der eine ganz andre Stimmung des Schreibers
kundgiebt, getreten sein mögen, ist leider nicht ersichtlich. Vielleicht läßt sich
ans den folgenden, einige Zeit später geschriebenen Worten ein Schluß ziehen:
„Wen» ich mir das freundliche Thal denke, das einst unsre Hütte umgrenzen
wird, ... dann ist es mir, als könnte mich nichts glücklich machen als die Er-
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