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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Aleist.

uns darin teilen. Rechnungen sind doch in einer größern Ökonomie notwendig.
Im großen muß sie der Mann führen, im kleinen die Frau." Deutlicher
als hier, hat sich Kleist während seines Aufenthaltes in Wttrzlmrg niemals aus¬
gesprochen. Mit der eben angeführten Stelle verdient eine Äußerung, die er
nach Beendigung der Reise thut, verglichen zu werden. "Es ist wahr -- schreibt
er am 13. November --, wenn ich mir das freundliche Thal denke, das einst
unsre Hütte umgrenzen wird, und mich in dieser Hütte und dich und die
Wissenschaft, und weiter nichts -- o dann sind mir alle Ehrenstellen und alle
Reichtümer verächtlich, dann ist es mir, als könnte mich nichts glücklich machen,
als die Erfüllung dieses Wunsches." Kleist scheint mit der Absicht aus die
Reise gegangen zu sein, ein Landgut käuflich zu erwerben -- so ließe es sich
am einfachsten erklären, warum er sich zwar stark genug fühlte, "den hohen
Zweck zu entwerfen, aber zu schwach, um ihn allein auszuführen"; so fände
die Äußerung ihre befriedigende Erklärung, wonach er das Geld, welches er
von seiner Schwester Ulrike erbat, "nicht zu den Reisekosten, sondern zu dem
eigentlichen Zwecke seiner Reise" brauchte. Nicht minder wäre durch diese An¬
nahme erklärt, warum Kleist das geheimnisvolle Verschweigen des Reisezweckes
für nötig hielt. Jedermann würde den Plan für den unsinnigsten gehalten
und ihn aufs äußerste bekämpft haben. Diesem Streite wollte der Dichter aus¬
weichen, indem er mit der Thatsache des Gutskaufs alle Erörterungen und
Widersprüche zu unterdrücken hoffen konnte. Woran Kleists Plan gescheitert
ist, läßt sich nicht sagen.

Ist nun dargethan, daß Kleist keineswegs "zu gleichgiltigen Geschäften"
auf die Würzburger Reise ausgezogen ist, so muß ferner gezeigt werden, daß
auch die Annahme Brahms von der großen geistigen Entdeckung, die Kleist in
Würzburg gemacht haben soll, in nichts zerfließt. "Nach einem Leiden von
dreiundzwanzig Jahren -- schreibt Brechen -- fühlt er sich zum erstenmale
glücklich; und die Änderung würd an einem Tage in Würzburg herbeigeführt,
den er "den wichtigsten Tag seines Lebens" nennt. Nur auf die Erkenntnis
seines (Dichter-) Berufes, die sich mit der Plötzlichkeit innerer Entschei¬
dungen vollzogen haben mag, kann das gehen, nicht auf den ursprünglichen
Zweck der Reise, welcher sich, wie ans seinen Briefen, so aus seinem Denken
lange verloren hatte." Sehen wir uns die Kleistschc Briefstelle, die Brahm im
Auge hat, etwas näher an. Sie findet sich in dem Schreiben an Wilhelmine
vom 16. November 1800. Kleist will der Braut klar machen, warum er mit
seiner ehemaligen Lehrerin, der Wissenschaft, gebrochen hat und nunmehr als
die trefflichste Lehrmeistern des Geistes die Natur betrachtet. Als ein Beispiel,
wie viel man von der Natur, wenn man sie nur verstehe, lernen könne, erzählt
er folgendes: "Ich ging an jenem Abend vor dem wichtigsten Tage meines
Lebens in Würzburg spazieren. Als die Sonne herabsank, war es mir, als
ob mein Glück unterginge. Mich schauerte, wenn ich dachte, daß ich vielleicht


Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Aleist.

uns darin teilen. Rechnungen sind doch in einer größern Ökonomie notwendig.
Im großen muß sie der Mann führen, im kleinen die Frau." Deutlicher
als hier, hat sich Kleist während seines Aufenthaltes in Wttrzlmrg niemals aus¬
gesprochen. Mit der eben angeführten Stelle verdient eine Äußerung, die er
nach Beendigung der Reise thut, verglichen zu werden. „Es ist wahr — schreibt
er am 13. November —, wenn ich mir das freundliche Thal denke, das einst
unsre Hütte umgrenzen wird, und mich in dieser Hütte und dich und die
Wissenschaft, und weiter nichts — o dann sind mir alle Ehrenstellen und alle
Reichtümer verächtlich, dann ist es mir, als könnte mich nichts glücklich machen,
als die Erfüllung dieses Wunsches." Kleist scheint mit der Absicht aus die
Reise gegangen zu sein, ein Landgut käuflich zu erwerben — so ließe es sich
am einfachsten erklären, warum er sich zwar stark genug fühlte, „den hohen
Zweck zu entwerfen, aber zu schwach, um ihn allein auszuführen"; so fände
die Äußerung ihre befriedigende Erklärung, wonach er das Geld, welches er
von seiner Schwester Ulrike erbat, „nicht zu den Reisekosten, sondern zu dem
eigentlichen Zwecke seiner Reise" brauchte. Nicht minder wäre durch diese An¬
nahme erklärt, warum Kleist das geheimnisvolle Verschweigen des Reisezweckes
für nötig hielt. Jedermann würde den Plan für den unsinnigsten gehalten
und ihn aufs äußerste bekämpft haben. Diesem Streite wollte der Dichter aus¬
weichen, indem er mit der Thatsache des Gutskaufs alle Erörterungen und
Widersprüche zu unterdrücken hoffen konnte. Woran Kleists Plan gescheitert
ist, läßt sich nicht sagen.

Ist nun dargethan, daß Kleist keineswegs „zu gleichgiltigen Geschäften"
auf die Würzburger Reise ausgezogen ist, so muß ferner gezeigt werden, daß
auch die Annahme Brahms von der großen geistigen Entdeckung, die Kleist in
Würzburg gemacht haben soll, in nichts zerfließt. „Nach einem Leiden von
dreiundzwanzig Jahren — schreibt Brechen — fühlt er sich zum erstenmale
glücklich; und die Änderung würd an einem Tage in Würzburg herbeigeführt,
den er „den wichtigsten Tag seines Lebens" nennt. Nur auf die Erkenntnis
seines (Dichter-) Berufes, die sich mit der Plötzlichkeit innerer Entschei¬
dungen vollzogen haben mag, kann das gehen, nicht auf den ursprünglichen
Zweck der Reise, welcher sich, wie ans seinen Briefen, so aus seinem Denken
lange verloren hatte." Sehen wir uns die Kleistschc Briefstelle, die Brahm im
Auge hat, etwas näher an. Sie findet sich in dem Schreiben an Wilhelmine
vom 16. November 1800. Kleist will der Braut klar machen, warum er mit
seiner ehemaligen Lehrerin, der Wissenschaft, gebrochen hat und nunmehr als
die trefflichste Lehrmeistern des Geistes die Natur betrachtet. Als ein Beispiel,
wie viel man von der Natur, wenn man sie nur verstehe, lernen könne, erzählt
er folgendes: „Ich ging an jenem Abend vor dem wichtigsten Tage meines
Lebens in Würzburg spazieren. Als die Sonne herabsank, war es mir, als
ob mein Glück unterginge. Mich schauerte, wenn ich dachte, daß ich vielleicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/386>, abgerufen am 20.10.2024.