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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

Die Brüder gingen auseinander. Gleich darauf entdeckte Valer Fräulein
Lischcn in der Nähe des Hauses, wo sie unter den Kastanien auf einem Garten-
tischc den Kaffee bereitete.

Ich will helfen, gnädiges Fräulein, sagte er zu ihr tretend.

Sollten Sie hierzu viel Geschick haben? erwiederte sie mit freundlichem
Lächeln.

Versteht sich. Meine Tante hat mich in zarter Jngend schon als Küchen¬
jungen angestellt, und wie in allem, habe ich mich auch hierin seitdem bis
zur Unübcrtrefflichkeit vervollkommnet.

Sie haben eine hohe Meinung von sich, Herr von Niffelshausen.

Wer die nicht hat, kommt schlecht durch die Welt. Verlangen Sie, daß
jemand Achtung vor dem Menschen habe, der sich nicht selbst achtet? Er muß
es doch am besten wissen.

Lischen schüttelte den Kopf. Ich kann Ihnen nicht widersprechen; aber
ich glaube nicht, daß Sie Recht haben. Wir sollen thun, was recht ist, meine
ich, und das Urteil Gott überlassen.

Was ist recht?

Sie ließ die Hand mit dem Theelöffelchen sinken und sah ihn bekümmert
an. Seine Frage erinnerte sie an das: Was ist Wahrheit? des Pilatus. Wir
haben zwei Führer, sagte sie endlich, die Bibel und das Gewissen.

Valerian sah zu Boden. Die Bibel gebietet uns, kein Schweinefleisch zu
essen und duldsam zu sein. Das Gewissen ist der Instinkt, der das Tier anweist,
die ihm schädliche Arbeit zu meiden. Aber man hat gesehen, daß sich diese
Naturanlage abstumpft.

Er sah gedankenvoll vor sich hin. Der Kaffee war fertig, und Elisabeth
setzte den Deckel auf das Flämmchen, das durch den Druck erlosch. Dann ging
sie fort, um die im Park zerstreute Gesellschaft zusammenzurufen.

Valer fühlte eine Hand ans seiner Schulter und erblickte aufschauend seinen
Bruder. Antons sanfte Angen zürnten.

Du scheinst in der That nicht mehr zu wissen, was für dich recht oder
unrecht ist, Bruder; wie konnte es dir sonst einfallen, so zu ihr zu sprechen?
Woran denkst du, Valerian?

Dn meinst doch nicht etwa, meine Worte könnten sie in ihrem Kinder-
glauben irre machen? Deswegen beunruhige dich nicht. Die Blume schüttelt
den Regen ab und -- bedauert mich nach Vorschrift; das ist alles.

Schon nahte mit fröhlichem Gespräch und Lachen die Gesellschaft, und
bald saß alles einträchtig unter den Kastanien um den großen runden Kaffeetisch.

Ich habe unsern Pfarrer aufgefordert, zum Kaffee etwas herüberzukommen,
bemerkte Frau von Scheffliugeu; aber er hat keine Zeit.

Wie sind Sie mit ihm zufrieden, liebe Scheffliugen? fragte Cäcilie. Ma-
thildens Aufmerksamkeit wurde durch das Zwiegespräch der beiden Damen von


Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

Die Brüder gingen auseinander. Gleich darauf entdeckte Valer Fräulein
Lischcn in der Nähe des Hauses, wo sie unter den Kastanien auf einem Garten-
tischc den Kaffee bereitete.

Ich will helfen, gnädiges Fräulein, sagte er zu ihr tretend.

Sollten Sie hierzu viel Geschick haben? erwiederte sie mit freundlichem
Lächeln.

Versteht sich. Meine Tante hat mich in zarter Jngend schon als Küchen¬
jungen angestellt, und wie in allem, habe ich mich auch hierin seitdem bis
zur Unübcrtrefflichkeit vervollkommnet.

Sie haben eine hohe Meinung von sich, Herr von Niffelshausen.

Wer die nicht hat, kommt schlecht durch die Welt. Verlangen Sie, daß
jemand Achtung vor dem Menschen habe, der sich nicht selbst achtet? Er muß
es doch am besten wissen.

Lischen schüttelte den Kopf. Ich kann Ihnen nicht widersprechen; aber
ich glaube nicht, daß Sie Recht haben. Wir sollen thun, was recht ist, meine
ich, und das Urteil Gott überlassen.

Was ist recht?

Sie ließ die Hand mit dem Theelöffelchen sinken und sah ihn bekümmert
an. Seine Frage erinnerte sie an das: Was ist Wahrheit? des Pilatus. Wir
haben zwei Führer, sagte sie endlich, die Bibel und das Gewissen.

Valerian sah zu Boden. Die Bibel gebietet uns, kein Schweinefleisch zu
essen und duldsam zu sein. Das Gewissen ist der Instinkt, der das Tier anweist,
die ihm schädliche Arbeit zu meiden. Aber man hat gesehen, daß sich diese
Naturanlage abstumpft.

Er sah gedankenvoll vor sich hin. Der Kaffee war fertig, und Elisabeth
setzte den Deckel auf das Flämmchen, das durch den Druck erlosch. Dann ging
sie fort, um die im Park zerstreute Gesellschaft zusammenzurufen.

Valer fühlte eine Hand ans seiner Schulter und erblickte aufschauend seinen
Bruder. Antons sanfte Angen zürnten.

Du scheinst in der That nicht mehr zu wissen, was für dich recht oder
unrecht ist, Bruder; wie konnte es dir sonst einfallen, so zu ihr zu sprechen?
Woran denkst du, Valerian?

Dn meinst doch nicht etwa, meine Worte könnten sie in ihrem Kinder-
glauben irre machen? Deswegen beunruhige dich nicht. Die Blume schüttelt
den Regen ab und — bedauert mich nach Vorschrift; das ist alles.

Schon nahte mit fröhlichem Gespräch und Lachen die Gesellschaft, und
bald saß alles einträchtig unter den Kastanien um den großen runden Kaffeetisch.

Ich habe unsern Pfarrer aufgefordert, zum Kaffee etwas herüberzukommen,
bemerkte Frau von Scheffliugeu; aber er hat keine Zeit.

Wie sind Sie mit ihm zufrieden, liebe Scheffliugen? fragte Cäcilie. Ma-
thildens Aufmerksamkeit wurde durch das Zwiegespräch der beiden Damen von


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[0352] Aus der Lhronik derer von Riffelshausen. Die Brüder gingen auseinander. Gleich darauf entdeckte Valer Fräulein Lischcn in der Nähe des Hauses, wo sie unter den Kastanien auf einem Garten- tischc den Kaffee bereitete. Ich will helfen, gnädiges Fräulein, sagte er zu ihr tretend. Sollten Sie hierzu viel Geschick haben? erwiederte sie mit freundlichem Lächeln. Versteht sich. Meine Tante hat mich in zarter Jngend schon als Küchen¬ jungen angestellt, und wie in allem, habe ich mich auch hierin seitdem bis zur Unübcrtrefflichkeit vervollkommnet. Sie haben eine hohe Meinung von sich, Herr von Niffelshausen. Wer die nicht hat, kommt schlecht durch die Welt. Verlangen Sie, daß jemand Achtung vor dem Menschen habe, der sich nicht selbst achtet? Er muß es doch am besten wissen. Lischen schüttelte den Kopf. Ich kann Ihnen nicht widersprechen; aber ich glaube nicht, daß Sie Recht haben. Wir sollen thun, was recht ist, meine ich, und das Urteil Gott überlassen. Was ist recht? Sie ließ die Hand mit dem Theelöffelchen sinken und sah ihn bekümmert an. Seine Frage erinnerte sie an das: Was ist Wahrheit? des Pilatus. Wir haben zwei Führer, sagte sie endlich, die Bibel und das Gewissen. Valerian sah zu Boden. Die Bibel gebietet uns, kein Schweinefleisch zu essen und duldsam zu sein. Das Gewissen ist der Instinkt, der das Tier anweist, die ihm schädliche Arbeit zu meiden. Aber man hat gesehen, daß sich diese Naturanlage abstumpft. Er sah gedankenvoll vor sich hin. Der Kaffee war fertig, und Elisabeth setzte den Deckel auf das Flämmchen, das durch den Druck erlosch. Dann ging sie fort, um die im Park zerstreute Gesellschaft zusammenzurufen. Valer fühlte eine Hand ans seiner Schulter und erblickte aufschauend seinen Bruder. Antons sanfte Angen zürnten. Du scheinst in der That nicht mehr zu wissen, was für dich recht oder unrecht ist, Bruder; wie konnte es dir sonst einfallen, so zu ihr zu sprechen? Woran denkst du, Valerian? Dn meinst doch nicht etwa, meine Worte könnten sie in ihrem Kinder- glauben irre machen? Deswegen beunruhige dich nicht. Die Blume schüttelt den Regen ab und — bedauert mich nach Vorschrift; das ist alles. Schon nahte mit fröhlichem Gespräch und Lachen die Gesellschaft, und bald saß alles einträchtig unter den Kastanien um den großen runden Kaffeetisch. Ich habe unsern Pfarrer aufgefordert, zum Kaffee etwas herüberzukommen, bemerkte Frau von Scheffliugeu; aber er hat keine Zeit. Wie sind Sie mit ihm zufrieden, liebe Scheffliugen? fragte Cäcilie. Ma- thildens Aufmerksamkeit wurde durch das Zwiegespräch der beiden Damen von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/352>, abgerufen am 27.09.2024.