Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

erlegt war, den vier Männer nicht vom Platze schaffen konnten, warf er ihn
allein auf den Rücken und trug ihn davon. Ein andermal stahl ihm, als er
mit einem beladenen Getreidewagen fürbas zog, ein Zigeuner hinterrücks eine
Garbe. Doch er merkte es, erwischte ihn, und da jener noch eine freche Antwort
gab, versetzte er ihm, wie er vor Gericht aussagte, "um ihm einen Denkzettel
zu geben," eine Ohrfeige, die ihn tot zu Boden streckte. Da seine Entschul¬
digung glaubhaft erschien, kam er mit einem blauen Auge davon.

Als unverdrossene Arbeiter sind die Haudörfler in Ungarn weit und breit
gesucht und werden den Slowaken vorgezogen. In ihren geringen Bedürfnissen
stehen sie fast noch in jenem glücklichen Zeitalter des Hafermuses, sür welches der
Hirsebrei der höchste Leckerbissen war; erhielt doch Schröer von einem Greise die
Versicherung, daß er in seinem Leben noch kein Fleisch gegessen habe. Wenn man
Leute sucht, die durch überlegene Kraft, Arbeitstüchtigkeit, Bedürfnislosigkeit und
Kinderzahl selbst den polnischen Bauer und Arbeiter aus dem Felde schlagen,
so sind sie hier. Und daraus muß es ankommen, wenn ich die Zwecke der
Negierung recht verstehe. In den Kreisen der schon verwöhnteren Hofbauern
Norddeutschlands, der "Ökonomen" Braunschweigs oder der "Proprietäre" But-
jadingeuS, die sich in den besten Jahren zur Ruhe auf den Altenteil setzen, ihre
Söhne aufs Gymnasium schicken und ihre Töchter an Kandidaten und Referen¬
dare verheiraten, überhaupt aber von vielen Kindern, deren Abfindungen den
Hof schwächen, nichts halten, in diesen Kreisen ist wohl Kaufkraft zu finden,
aber nicht das, was im rauhen Osten vor allem Not thut. Der Bauer, welchen
man hier ansetzen will, muß von anderm Schrot und Korn sein. Er muß ge¬
wohnt sein, bis an sein Lebensende hart zu arbeite", er muß seine Freude an
einem reichen Kindersegen haben und in dem Überschusse seiner Söhne und
Töchter die Provinz mit billigen und leistungsfähigen Arbeitskräften versorgen,
die dem polnischen Zuzüge die Thür verschließe". Vor allem aber braucht es
Kinder und das Münichwieser Wasser! Es kommt für die Zwecke der Ger-
manisirung viel weniger darauf an, daß die neuen Ansiedler "gedeihen," d. h.
bei wenigen Kindern gut essen und trinken, als daß sie wuchern, das polnische
Element überwuchern, daß sie sich mit einem Dutzend von Kindern gerade durch¬
schlagen. Übervölkert, wie die Haudörfer sind, und das nicht erst heute, sondern
schon seit langer Zeit, würde es nur eines Rufes bedürfen, davon bin ich über¬
zeugt, um Tausende herbeizuziehen. Einen Kaufpreis tonnen diese Leute selbst¬
verständlich nicht bieten, aber das verlangt ja die Regierung auch garnicht, sie
hat ja die verschämte Erbpacht, den Rentenlauf, zugelassen, sie kann auch das
nordfranzösische arme, alö niMNö zulassen, eine Zeitpacht, bei welcher eine Klausel
dem Pächter durch Festsetzung einer Konventionalstrafe von entsprechender Höhe
das Recht sichert, die Pacht fortwährend zu denselben Bedingungen zu erneuern.
(Siehe darüber das jüngst erschienene Buch von Karhschew: Die Erbpacht in
Westeuropa, russisch.)


Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

erlegt war, den vier Männer nicht vom Platze schaffen konnten, warf er ihn
allein auf den Rücken und trug ihn davon. Ein andermal stahl ihm, als er
mit einem beladenen Getreidewagen fürbas zog, ein Zigeuner hinterrücks eine
Garbe. Doch er merkte es, erwischte ihn, und da jener noch eine freche Antwort
gab, versetzte er ihm, wie er vor Gericht aussagte, „um ihm einen Denkzettel
zu geben," eine Ohrfeige, die ihn tot zu Boden streckte. Da seine Entschul¬
digung glaubhaft erschien, kam er mit einem blauen Auge davon.

Als unverdrossene Arbeiter sind die Haudörfler in Ungarn weit und breit
gesucht und werden den Slowaken vorgezogen. In ihren geringen Bedürfnissen
stehen sie fast noch in jenem glücklichen Zeitalter des Hafermuses, sür welches der
Hirsebrei der höchste Leckerbissen war; erhielt doch Schröer von einem Greise die
Versicherung, daß er in seinem Leben noch kein Fleisch gegessen habe. Wenn man
Leute sucht, die durch überlegene Kraft, Arbeitstüchtigkeit, Bedürfnislosigkeit und
Kinderzahl selbst den polnischen Bauer und Arbeiter aus dem Felde schlagen,
so sind sie hier. Und daraus muß es ankommen, wenn ich die Zwecke der
Negierung recht verstehe. In den Kreisen der schon verwöhnteren Hofbauern
Norddeutschlands, der „Ökonomen" Braunschweigs oder der „Proprietäre" But-
jadingeuS, die sich in den besten Jahren zur Ruhe auf den Altenteil setzen, ihre
Söhne aufs Gymnasium schicken und ihre Töchter an Kandidaten und Referen¬
dare verheiraten, überhaupt aber von vielen Kindern, deren Abfindungen den
Hof schwächen, nichts halten, in diesen Kreisen ist wohl Kaufkraft zu finden,
aber nicht das, was im rauhen Osten vor allem Not thut. Der Bauer, welchen
man hier ansetzen will, muß von anderm Schrot und Korn sein. Er muß ge¬
wohnt sein, bis an sein Lebensende hart zu arbeite», er muß seine Freude an
einem reichen Kindersegen haben und in dem Überschusse seiner Söhne und
Töchter die Provinz mit billigen und leistungsfähigen Arbeitskräften versorgen,
die dem polnischen Zuzüge die Thür verschließe». Vor allem aber braucht es
Kinder und das Münichwieser Wasser! Es kommt für die Zwecke der Ger-
manisirung viel weniger darauf an, daß die neuen Ansiedler „gedeihen," d. h.
bei wenigen Kindern gut essen und trinken, als daß sie wuchern, das polnische
Element überwuchern, daß sie sich mit einem Dutzend von Kindern gerade durch¬
schlagen. Übervölkert, wie die Haudörfer sind, und das nicht erst heute, sondern
schon seit langer Zeit, würde es nur eines Rufes bedürfen, davon bin ich über¬
zeugt, um Tausende herbeizuziehen. Einen Kaufpreis tonnen diese Leute selbst¬
verständlich nicht bieten, aber das verlangt ja die Regierung auch garnicht, sie
hat ja die verschämte Erbpacht, den Rentenlauf, zugelassen, sie kann auch das
nordfranzösische arme, alö niMNö zulassen, eine Zeitpacht, bei welcher eine Klausel
dem Pächter durch Festsetzung einer Konventionalstrafe von entsprechender Höhe
das Recht sichert, die Pacht fortwährend zu denselben Bedingungen zu erneuern.
(Siehe darüber das jüngst erschienene Buch von Karhschew: Die Erbpacht in
Westeuropa, russisch.)


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199629"/>
          <fw type="header" place="top"> Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1118" prev="#ID_1117"> erlegt war, den vier Männer nicht vom Platze schaffen konnten, warf er ihn<lb/>
allein auf den Rücken und trug ihn davon. Ein andermal stahl ihm, als er<lb/>
mit einem beladenen Getreidewagen fürbas zog, ein Zigeuner hinterrücks eine<lb/>
Garbe. Doch er merkte es, erwischte ihn, und da jener noch eine freche Antwort<lb/>
gab, versetzte er ihm, wie er vor Gericht aussagte, &#x201E;um ihm einen Denkzettel<lb/>
zu geben," eine Ohrfeige, die ihn tot zu Boden streckte. Da seine Entschul¬<lb/>
digung glaubhaft erschien, kam er mit einem blauen Auge davon.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1119"> Als unverdrossene Arbeiter sind die Haudörfler in Ungarn weit und breit<lb/>
gesucht und werden den Slowaken vorgezogen. In ihren geringen Bedürfnissen<lb/>
stehen sie fast noch in jenem glücklichen Zeitalter des Hafermuses, sür welches der<lb/>
Hirsebrei der höchste Leckerbissen war; erhielt doch Schröer von einem Greise die<lb/>
Versicherung, daß er in seinem Leben noch kein Fleisch gegessen habe. Wenn man<lb/>
Leute sucht, die durch überlegene Kraft, Arbeitstüchtigkeit, Bedürfnislosigkeit und<lb/>
Kinderzahl selbst den polnischen Bauer und Arbeiter aus dem Felde schlagen,<lb/>
so sind sie hier. Und daraus muß es ankommen, wenn ich die Zwecke der<lb/>
Negierung recht verstehe. In den Kreisen der schon verwöhnteren Hofbauern<lb/>
Norddeutschlands, der &#x201E;Ökonomen" Braunschweigs oder der &#x201E;Proprietäre" But-<lb/>
jadingeuS, die sich in den besten Jahren zur Ruhe auf den Altenteil setzen, ihre<lb/>
Söhne aufs Gymnasium schicken und ihre Töchter an Kandidaten und Referen¬<lb/>
dare verheiraten, überhaupt aber von vielen Kindern, deren Abfindungen den<lb/>
Hof schwächen, nichts halten, in diesen Kreisen ist wohl Kaufkraft zu finden,<lb/>
aber nicht das, was im rauhen Osten vor allem Not thut. Der Bauer, welchen<lb/>
man hier ansetzen will, muß von anderm Schrot und Korn sein. Er muß ge¬<lb/>
wohnt sein, bis an sein Lebensende hart zu arbeite», er muß seine Freude an<lb/>
einem reichen Kindersegen haben und in dem Überschusse seiner Söhne und<lb/>
Töchter die Provinz mit billigen und leistungsfähigen Arbeitskräften versorgen,<lb/>
die dem polnischen Zuzüge die Thür verschließe». Vor allem aber braucht es<lb/>
Kinder und das Münichwieser Wasser! Es kommt für die Zwecke der Ger-<lb/>
manisirung viel weniger darauf an, daß die neuen Ansiedler &#x201E;gedeihen," d. h.<lb/>
bei wenigen Kindern gut essen und trinken, als daß sie wuchern, das polnische<lb/>
Element überwuchern, daß sie sich mit einem Dutzend von Kindern gerade durch¬<lb/>
schlagen. Übervölkert, wie die Haudörfer sind, und das nicht erst heute, sondern<lb/>
schon seit langer Zeit, würde es nur eines Rufes bedürfen, davon bin ich über¬<lb/>
zeugt, um Tausende herbeizuziehen. Einen Kaufpreis tonnen diese Leute selbst¬<lb/>
verständlich nicht bieten, aber das verlangt ja die Regierung auch garnicht, sie<lb/>
hat ja die verschämte Erbpacht, den Rentenlauf, zugelassen, sie kann auch das<lb/>
nordfranzösische arme, alö niMNö zulassen, eine Zeitpacht, bei welcher eine Klausel<lb/>
dem Pächter durch Festsetzung einer Konventionalstrafe von entsprechender Höhe<lb/>
das Recht sichert, die Pacht fortwährend zu denselben Bedingungen zu erneuern.<lb/>
(Siehe darüber das jüngst erschienene Buch von Karhschew: Die Erbpacht in<lb/>
Westeuropa, russisch.)</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0275] Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns. erlegt war, den vier Männer nicht vom Platze schaffen konnten, warf er ihn allein auf den Rücken und trug ihn davon. Ein andermal stahl ihm, als er mit einem beladenen Getreidewagen fürbas zog, ein Zigeuner hinterrücks eine Garbe. Doch er merkte es, erwischte ihn, und da jener noch eine freche Antwort gab, versetzte er ihm, wie er vor Gericht aussagte, „um ihm einen Denkzettel zu geben," eine Ohrfeige, die ihn tot zu Boden streckte. Da seine Entschul¬ digung glaubhaft erschien, kam er mit einem blauen Auge davon. Als unverdrossene Arbeiter sind die Haudörfler in Ungarn weit und breit gesucht und werden den Slowaken vorgezogen. In ihren geringen Bedürfnissen stehen sie fast noch in jenem glücklichen Zeitalter des Hafermuses, sür welches der Hirsebrei der höchste Leckerbissen war; erhielt doch Schröer von einem Greise die Versicherung, daß er in seinem Leben noch kein Fleisch gegessen habe. Wenn man Leute sucht, die durch überlegene Kraft, Arbeitstüchtigkeit, Bedürfnislosigkeit und Kinderzahl selbst den polnischen Bauer und Arbeiter aus dem Felde schlagen, so sind sie hier. Und daraus muß es ankommen, wenn ich die Zwecke der Negierung recht verstehe. In den Kreisen der schon verwöhnteren Hofbauern Norddeutschlands, der „Ökonomen" Braunschweigs oder der „Proprietäre" But- jadingeuS, die sich in den besten Jahren zur Ruhe auf den Altenteil setzen, ihre Söhne aufs Gymnasium schicken und ihre Töchter an Kandidaten und Referen¬ dare verheiraten, überhaupt aber von vielen Kindern, deren Abfindungen den Hof schwächen, nichts halten, in diesen Kreisen ist wohl Kaufkraft zu finden, aber nicht das, was im rauhen Osten vor allem Not thut. Der Bauer, welchen man hier ansetzen will, muß von anderm Schrot und Korn sein. Er muß ge¬ wohnt sein, bis an sein Lebensende hart zu arbeite», er muß seine Freude an einem reichen Kindersegen haben und in dem Überschusse seiner Söhne und Töchter die Provinz mit billigen und leistungsfähigen Arbeitskräften versorgen, die dem polnischen Zuzüge die Thür verschließe». Vor allem aber braucht es Kinder und das Münichwieser Wasser! Es kommt für die Zwecke der Ger- manisirung viel weniger darauf an, daß die neuen Ansiedler „gedeihen," d. h. bei wenigen Kindern gut essen und trinken, als daß sie wuchern, das polnische Element überwuchern, daß sie sich mit einem Dutzend von Kindern gerade durch¬ schlagen. Übervölkert, wie die Haudörfer sind, und das nicht erst heute, sondern schon seit langer Zeit, würde es nur eines Rufes bedürfen, davon bin ich über¬ zeugt, um Tausende herbeizuziehen. Einen Kaufpreis tonnen diese Leute selbst¬ verständlich nicht bieten, aber das verlangt ja die Regierung auch garnicht, sie hat ja die verschämte Erbpacht, den Rentenlauf, zugelassen, sie kann auch das nordfranzösische arme, alö niMNö zulassen, eine Zeitpacht, bei welcher eine Klausel dem Pächter durch Festsetzung einer Konventionalstrafe von entsprechender Höhe das Recht sichert, die Pacht fortwährend zu denselben Bedingungen zu erneuern. (Siehe darüber das jüngst erschienene Buch von Karhschew: Die Erbpacht in Westeuropa, russisch.)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/275
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/275>, abgerufen am 19.10.2024.