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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus der iLhromk derer von Risfelshausen.

nicht an die Toilette gewendet. Aber da sind die Armen im Dorfe und die
Kranken, denen man oft nur mit Hilfe seiner Groschen eine kleine Erleichterung
schaffen kann. Wenn Julie nicht am Ende immer noch Rat wüßte, ich käme
garnicht aus.

Ja, sie ist eine schlaue Hexe, räumte Valer ein; du aber solltest dich wirklich
nicht über Vermögen der Wohlthätigkeit befleißigen, Titte. Es kommt nichts
dabei heraus. Unsre Verhältnisse sind ja leider nichts weniger als glänzend, und
ich gebe zu, daß dies Wirtschaften um jeden Groschen dazu angethan ist, einem
das Leben zu verleiden! Meine unselige Karriere! Wie lange kann's dauern,
bis ich glücklich Assessor bin, und bis dahin sitze ich euch ganz auf der Tasche!
Was soll man aber machen? Ich bin nicht müßig gewesen und habe es ja auch
dahin gebracht, bei meinen Herren Kollegen als Monstrum von Ehrgeiz zu
gelten. Du lieber Himmel! Mein Ehrgeiz ist einzig der, endlich auf eignen
Füßen zu stehen! Ich verbrauche Geld, und ihr armen Schwestern verbringt
eure Jugend in einer Quälerei, die euch so ernst gemacht hat, daß ihr andern
Mädchen euers Alters garnicht mehr ähnlich seid. Ob die Julie auch eine
Ahnung davon hat, was Leichtsinn ist?

Ach, lieber Valer, entgegnete Mathilde, jetzt ist ja alles gut, und wir haben
wirklich keine Ursache mehr, zu klagen. Julie und ich suhlen das alle Tage
mit Dankbarkeit. Ach, wie anders war das alles, ehe Onkel Georg kam! Die
Jahre vor dem Tode des Vaters -- die, Valer, lassen sich freilich nicht
vergessen!

Sie stützte den Kopf in die Hand und sah trüber vor sich hin. Ihr Bruder
wußte jetzt, woher der traurige Ausdruck kam, den ihre schönen, dunkeln Augen
oft unbewußt annahmen und der ihn so oft betroffen hatte.

In diesem Augenblicke fuhr ein leichter zweirädriger Wagen an ihnen
vorbei, gezogen von zwei blanken Rappen, die den alten Siebenhofer Braunen
mit Leichtigkeit Terrain abgewannen. Der Jnsasse, der selbst kutschirte, war
ein stutzerhaft gekleideter junger Mann, der die Geschwister mit Eleganz grüßte
und dann in die Lindenallee einbog, die nach der Eisenbahnstation führte.

Das waren ja wohl die Trübenseer Pferde? fragte Mathilde, dem Jüng¬
ling nachblickend.

Wie? Kennst du Einnahm nicht mehr? Ein angenehmer Gassmbengel!
Kein Spur von Rasse an dem ganzen Kerl. Ich habe den Barbiergchilfen von
Kind auf nicht ausstehen können, und sehne mich nach einer Hundepeitsche,
wenn ich ihn nur von ferne schwänzeln sehe!

Noch hatte Valer seinen Grimm nicht ganz ausgetobt, als der Wagen
vor dem Stationsgebäude hielt. Die Geschwister begaben sich auf den Perron,
auf dem in Muße einige Eisenbahnbeamte hin und her wandelten. Valer knüpfte
ein Gespräch mit einem Weibe an, das sich dnrch das turbanartig um die hohe
Zopfkroue gewundene Tuch als Waldbewohnerin zu erkennen gab. Mathilde


Aus der iLhromk derer von Risfelshausen.

nicht an die Toilette gewendet. Aber da sind die Armen im Dorfe und die
Kranken, denen man oft nur mit Hilfe seiner Groschen eine kleine Erleichterung
schaffen kann. Wenn Julie nicht am Ende immer noch Rat wüßte, ich käme
garnicht aus.

Ja, sie ist eine schlaue Hexe, räumte Valer ein; du aber solltest dich wirklich
nicht über Vermögen der Wohlthätigkeit befleißigen, Titte. Es kommt nichts
dabei heraus. Unsre Verhältnisse sind ja leider nichts weniger als glänzend, und
ich gebe zu, daß dies Wirtschaften um jeden Groschen dazu angethan ist, einem
das Leben zu verleiden! Meine unselige Karriere! Wie lange kann's dauern,
bis ich glücklich Assessor bin, und bis dahin sitze ich euch ganz auf der Tasche!
Was soll man aber machen? Ich bin nicht müßig gewesen und habe es ja auch
dahin gebracht, bei meinen Herren Kollegen als Monstrum von Ehrgeiz zu
gelten. Du lieber Himmel! Mein Ehrgeiz ist einzig der, endlich auf eignen
Füßen zu stehen! Ich verbrauche Geld, und ihr armen Schwestern verbringt
eure Jugend in einer Quälerei, die euch so ernst gemacht hat, daß ihr andern
Mädchen euers Alters garnicht mehr ähnlich seid. Ob die Julie auch eine
Ahnung davon hat, was Leichtsinn ist?

Ach, lieber Valer, entgegnete Mathilde, jetzt ist ja alles gut, und wir haben
wirklich keine Ursache mehr, zu klagen. Julie und ich suhlen das alle Tage
mit Dankbarkeit. Ach, wie anders war das alles, ehe Onkel Georg kam! Die
Jahre vor dem Tode des Vaters — die, Valer, lassen sich freilich nicht
vergessen!

Sie stützte den Kopf in die Hand und sah trüber vor sich hin. Ihr Bruder
wußte jetzt, woher der traurige Ausdruck kam, den ihre schönen, dunkeln Augen
oft unbewußt annahmen und der ihn so oft betroffen hatte.

In diesem Augenblicke fuhr ein leichter zweirädriger Wagen an ihnen
vorbei, gezogen von zwei blanken Rappen, die den alten Siebenhofer Braunen
mit Leichtigkeit Terrain abgewannen. Der Jnsasse, der selbst kutschirte, war
ein stutzerhaft gekleideter junger Mann, der die Geschwister mit Eleganz grüßte
und dann in die Lindenallee einbog, die nach der Eisenbahnstation führte.

Das waren ja wohl die Trübenseer Pferde? fragte Mathilde, dem Jüng¬
ling nachblickend.

Wie? Kennst du Einnahm nicht mehr? Ein angenehmer Gassmbengel!
Kein Spur von Rasse an dem ganzen Kerl. Ich habe den Barbiergchilfen von
Kind auf nicht ausstehen können, und sehne mich nach einer Hundepeitsche,
wenn ich ihn nur von ferne schwänzeln sehe!

Noch hatte Valer seinen Grimm nicht ganz ausgetobt, als der Wagen
vor dem Stationsgebäude hielt. Die Geschwister begaben sich auf den Perron,
auf dem in Muße einige Eisenbahnbeamte hin und her wandelten. Valer knüpfte
ein Gespräch mit einem Weibe an, das sich dnrch das turbanartig um die hohe
Zopfkroue gewundene Tuch als Waldbewohnerin zu erkennen gab. Mathilde


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[0252] Aus der iLhromk derer von Risfelshausen. nicht an die Toilette gewendet. Aber da sind die Armen im Dorfe und die Kranken, denen man oft nur mit Hilfe seiner Groschen eine kleine Erleichterung schaffen kann. Wenn Julie nicht am Ende immer noch Rat wüßte, ich käme garnicht aus. Ja, sie ist eine schlaue Hexe, räumte Valer ein; du aber solltest dich wirklich nicht über Vermögen der Wohlthätigkeit befleißigen, Titte. Es kommt nichts dabei heraus. Unsre Verhältnisse sind ja leider nichts weniger als glänzend, und ich gebe zu, daß dies Wirtschaften um jeden Groschen dazu angethan ist, einem das Leben zu verleiden! Meine unselige Karriere! Wie lange kann's dauern, bis ich glücklich Assessor bin, und bis dahin sitze ich euch ganz auf der Tasche! Was soll man aber machen? Ich bin nicht müßig gewesen und habe es ja auch dahin gebracht, bei meinen Herren Kollegen als Monstrum von Ehrgeiz zu gelten. Du lieber Himmel! Mein Ehrgeiz ist einzig der, endlich auf eignen Füßen zu stehen! Ich verbrauche Geld, und ihr armen Schwestern verbringt eure Jugend in einer Quälerei, die euch so ernst gemacht hat, daß ihr andern Mädchen euers Alters garnicht mehr ähnlich seid. Ob die Julie auch eine Ahnung davon hat, was Leichtsinn ist? Ach, lieber Valer, entgegnete Mathilde, jetzt ist ja alles gut, und wir haben wirklich keine Ursache mehr, zu klagen. Julie und ich suhlen das alle Tage mit Dankbarkeit. Ach, wie anders war das alles, ehe Onkel Georg kam! Die Jahre vor dem Tode des Vaters — die, Valer, lassen sich freilich nicht vergessen! Sie stützte den Kopf in die Hand und sah trüber vor sich hin. Ihr Bruder wußte jetzt, woher der traurige Ausdruck kam, den ihre schönen, dunkeln Augen oft unbewußt annahmen und der ihn so oft betroffen hatte. In diesem Augenblicke fuhr ein leichter zweirädriger Wagen an ihnen vorbei, gezogen von zwei blanken Rappen, die den alten Siebenhofer Braunen mit Leichtigkeit Terrain abgewannen. Der Jnsasse, der selbst kutschirte, war ein stutzerhaft gekleideter junger Mann, der die Geschwister mit Eleganz grüßte und dann in die Lindenallee einbog, die nach der Eisenbahnstation führte. Das waren ja wohl die Trübenseer Pferde? fragte Mathilde, dem Jüng¬ ling nachblickend. Wie? Kennst du Einnahm nicht mehr? Ein angenehmer Gassmbengel! Kein Spur von Rasse an dem ganzen Kerl. Ich habe den Barbiergchilfen von Kind auf nicht ausstehen können, und sehne mich nach einer Hundepeitsche, wenn ich ihn nur von ferne schwänzeln sehe! Noch hatte Valer seinen Grimm nicht ganz ausgetobt, als der Wagen vor dem Stationsgebäude hielt. Die Geschwister begaben sich auf den Perron, auf dem in Muße einige Eisenbahnbeamte hin und her wandelten. Valer knüpfte ein Gespräch mit einem Weibe an, das sich dnrch das turbanartig um die hohe Zopfkroue gewundene Tuch als Waldbewohnerin zu erkennen gab. Mathilde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/252>, abgerufen am 19.10.2024.