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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Ans der Lhronik derer von Riffolshcmsen,

ständig Unsinn im Kopfe, Nun sich nur, da hat er doch schon wieder die
Zuckerdose ausgeleert, um der Taute eiuen Streich zu spielen! Nein, Onkel,
es wird wirklich alle Jahre schlimmer mit ihm.

Ungeachtet dieser trüben Versicherung lachte Julie heiter, und auch dem
Baron schien die Sache nicht sonderlich bedenklich. Beide amüsirten sich damit,
Ajax auf einen großen Käfer zu Hetzen, der ungeschickt aus einer Steinritze ge¬
krochen kam. Ajax hatte aber trotz seiner entschiednen Übermacht durchaus
keinen Mut und zog sich höchst schimpflich nach rückwärts. Bei diesem harmlosen
Zeitvertreibe wurden unsre Freunde von der Tante betroffen, die, ein schwarz-
wollues Tuch über dem Kopfe, ein graues um die Schultern, am Arme des
Neffen aus dem Hause geschritten kam. Valer erfreute sich einer schlanken und
zierlichen Figur, die jedoch an Höhe bei weitem nicht die des Vaters oder
Bruders erreichte. Er überragte kaum die beiden Schwestern, die dafür von
ihm den Ehrennamen "die Bohnenstangen" erhalten hatten. Das eigentümlich
geschnittene Gesicht Vaters hatte sich mit den Jahren nicht verschönert, aber
etwas in der Erscheinung des Mannes war von der des Knaben sehr ver¬
schieden: die peinliche Sauberkeit und Akkuratesse. Seine Hände waren sorg¬
fältig gepflegt, seine Zähne blendend weiß, und seine kleinen Füße waren mit
Stiefeln vom neuesten Schnitt bekleidet.

Na, rief Valer den Wartenden fröhlich zu, habt ihr uns wirklich noch
etwas übrig gelassen?

Aber die Tante sah sich ärgerlich um. Wo bleibt denn nur die Mathilde?

Valer machte ein schlaues Gesicht, als wenn er wunder was über ihr
Fernbleiben wüßte, und rückte der Tante einen Stuhl herau. Diese blickte
wie ein Argus auf dem Tische herum, entdeckte auch eine Schale mit Honig,
deren Anwesenheit sie als gänzlich überflüssig erachtete, und befahl Julien, sie
sogleich fortzutragen. Und bringe mir gleich meinen Strickbeutel mit, den mit
den Socken für Anton; er liegt in der gelben Kommode in meiner Stube im
dritten Schubfache rechter Hand. Aber mache mir ja keine Unordnung, Julie.

Die Nichte begab sich auf den Weg.

Die Julie hat einen schrecklichen Hang zum Verschwenden, Georg, man
muß immer hinter ihr her sein, klagte die Tante.

Georg schwieg, und auch Valer achtete die "Eigentümlichkeiten" der Tante
und sagte nichts gegen diese Beschuldigung. Aber im stillen seufzte er ein wenig
über die engen Verhältnisse, die ihm schon viel Kümmernis verursacht hatten.

Inzwischen erschien Mathilde auf der Wallgrabenbrücke, und Valer eilte
ihr entgegen.

Na na, nur nicht so stürmisch! rief er mit sittlicher Entrüstung, während
er sie lebhaft in die Arme schloß. Als sie sich aber lachend von ihm losmachte,
sah er sie scharf an. Ist dir etwas begegnet, Titte?

Nein -- warum?


Grenzboten IV. 1386. 31
Ans der Lhronik derer von Riffolshcmsen,

ständig Unsinn im Kopfe, Nun sich nur, da hat er doch schon wieder die
Zuckerdose ausgeleert, um der Taute eiuen Streich zu spielen! Nein, Onkel,
es wird wirklich alle Jahre schlimmer mit ihm.

Ungeachtet dieser trüben Versicherung lachte Julie heiter, und auch dem
Baron schien die Sache nicht sonderlich bedenklich. Beide amüsirten sich damit,
Ajax auf einen großen Käfer zu Hetzen, der ungeschickt aus einer Steinritze ge¬
krochen kam. Ajax hatte aber trotz seiner entschiednen Übermacht durchaus
keinen Mut und zog sich höchst schimpflich nach rückwärts. Bei diesem harmlosen
Zeitvertreibe wurden unsre Freunde von der Tante betroffen, die, ein schwarz-
wollues Tuch über dem Kopfe, ein graues um die Schultern, am Arme des
Neffen aus dem Hause geschritten kam. Valer erfreute sich einer schlanken und
zierlichen Figur, die jedoch an Höhe bei weitem nicht die des Vaters oder
Bruders erreichte. Er überragte kaum die beiden Schwestern, die dafür von
ihm den Ehrennamen „die Bohnenstangen" erhalten hatten. Das eigentümlich
geschnittene Gesicht Vaters hatte sich mit den Jahren nicht verschönert, aber
etwas in der Erscheinung des Mannes war von der des Knaben sehr ver¬
schieden: die peinliche Sauberkeit und Akkuratesse. Seine Hände waren sorg¬
fältig gepflegt, seine Zähne blendend weiß, und seine kleinen Füße waren mit
Stiefeln vom neuesten Schnitt bekleidet.

Na, rief Valer den Wartenden fröhlich zu, habt ihr uns wirklich noch
etwas übrig gelassen?

Aber die Tante sah sich ärgerlich um. Wo bleibt denn nur die Mathilde?

Valer machte ein schlaues Gesicht, als wenn er wunder was über ihr
Fernbleiben wüßte, und rückte der Tante einen Stuhl herau. Diese blickte
wie ein Argus auf dem Tische herum, entdeckte auch eine Schale mit Honig,
deren Anwesenheit sie als gänzlich überflüssig erachtete, und befahl Julien, sie
sogleich fortzutragen. Und bringe mir gleich meinen Strickbeutel mit, den mit
den Socken für Anton; er liegt in der gelben Kommode in meiner Stube im
dritten Schubfache rechter Hand. Aber mache mir ja keine Unordnung, Julie.

Die Nichte begab sich auf den Weg.

Die Julie hat einen schrecklichen Hang zum Verschwenden, Georg, man
muß immer hinter ihr her sein, klagte die Tante.

Georg schwieg, und auch Valer achtete die „Eigentümlichkeiten" der Tante
und sagte nichts gegen diese Beschuldigung. Aber im stillen seufzte er ein wenig
über die engen Verhältnisse, die ihm schon viel Kümmernis verursacht hatten.

Inzwischen erschien Mathilde auf der Wallgrabenbrücke, und Valer eilte
ihr entgegen.

Na na, nur nicht so stürmisch! rief er mit sittlicher Entrüstung, während
er sie lebhaft in die Arme schloß. Als sie sich aber lachend von ihm losmachte,
sah er sie scharf an. Ist dir etwas begegnet, Titte?

Nein — warum?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/249>, abgerufen am 27.09.2024.