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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die Ziele der Reform des höhern Schulwesens.

der lebendige Mensch; in antiker Fassung: "der Mensch ist dem Menschen ein
Gott." Wenn die Kritiker der bestehenden Unterrichtsmethode offen wären, was
ihrer Stellung und der Würde und Bedeutsamkeit der von ihnen vertretenen
Sache viel besser anstünde, so würden sie sich auch uicht mit jenen Notbehelfen,
den Ködern für das große Publikum, abgeben, sondern geradezu jener bisher
geltenden, in den höchsten Kulturperioden ausgebildeten Form der Erziehung
ihre neue entgegensetzen: Erziehung des Menschen zum Denken durch das Denken.
Das wären dann wenigstens zwei geistig gleichwertige Weltauffassungen, die
sich einander gegenüberstünden, die ästhetische und die rationale, statt daß sich
jetzt die Vertreter der letzteren -- vielleicht mir aus taktischen Rücksichten,
jedenfalls nicht zu ihrem Ruhme -- zu Vorkämpfern einer beschränkt Milita¬
ristischen Alltcigsweisheit machen. Sie könnten sagen: Das phantasievolle Jugend-
nlter der Menschheit ist lange zu Ende, wir sind schon mitten in der Periode
verständig arbeitender Vernunft, da der Mann sich sein Hans zimmert zum
angenehmen Wohnen auf dieser Erde. Ihr müßt diese Thatsache nun einmal an¬
erkennen, ihr, die ihr, den Übergang zweier grundverschiednen Bildungsformationen
darstellend, noch immer in der vergangnen lebt. Sie könnten sagen: Der der
höhern Erziehung zugeführte junge Mensch ist nicht mehr der sinnlich befangene
Wildling von ehedem. Er ist der Geisteserbe seit Jahrtausenden kultivirter
Geschlechter. Ihr könnt ihm mit stärkerer Kost kommen. Lehrt ihn die zweifel¬
lose, die gcistschärfcnde Mathematik, die aufklärende, ernüchternde Wissenschaft
der Natur und von den Geisteswissenschaften die zur That kräftigenden, die
allgemein wichtigen, als Nationalökonomie und Handelswissenschaft. Was zum
Schmucke des Lebens gehört, könnt ihr anfügen, wie es dem Berufe des Mannes
geziemt. Es ist gehörig, daß er etwas wisse von denen, die vor ihm auf der Welt
gewesen sind, daß er Sprachen lerne, deren Vorkenntnis ihm einmal angenehm
sein könnte, daß er auch Dinge lese, die nicht bloß zur Anspannung, sondern
auch zur Erholung des Geistes beitragen. Aber alles dies nicht zu viel und
mit Unterschied. Denn das erste könnte ihn beirren im Schätzen und Begreifen
der eignen Zeit, und mit dem letzteren kann viel Zeit vertrödelt und Hang zur
Träumerei und Schwärmerei großgezogen werden. Aber ein solches Programm,
welches dem von ihnen bekämpften wenigstens wissenschaftlich gewachsen wäre,
hüten sich die Feinde des Gymnasiums doch aufzustellen. Denn sie sind doch
zu sehr pädagogisch unterrichtet, um nicht zu wissen, daß ihr Schulplan bei dem
letzten ausschlaggebenden Faktor vorläufig auf heftigen Widerstand stoßen würde:
bei der Jugend. Das Kind scheint trotz seiner mit den Generationen zunehmenden
Anstelligkeit und Gelehrigkeit insofern immer noch Kind bleiben zu wollen, daß
es die der Phantasie näherstehenden Beschäftigungen den abstrakten vorzieht.
Daher erhält sich unser hhperklassisches Gymnasium in einer so anders gearteten
Zeit trotz alledem, weil der philologisch-historische Unterricht, trotz der bei Durch¬
schnitts- und Unterdurchschnittslehrkräften mitunter entsetzenerregend handwerks-


Grenzbotm IV. 1886. 28
Die Ziele der Reform des höhern Schulwesens.

der lebendige Mensch; in antiker Fassung: „der Mensch ist dem Menschen ein
Gott." Wenn die Kritiker der bestehenden Unterrichtsmethode offen wären, was
ihrer Stellung und der Würde und Bedeutsamkeit der von ihnen vertretenen
Sache viel besser anstünde, so würden sie sich auch uicht mit jenen Notbehelfen,
den Ködern für das große Publikum, abgeben, sondern geradezu jener bisher
geltenden, in den höchsten Kulturperioden ausgebildeten Form der Erziehung
ihre neue entgegensetzen: Erziehung des Menschen zum Denken durch das Denken.
Das wären dann wenigstens zwei geistig gleichwertige Weltauffassungen, die
sich einander gegenüberstünden, die ästhetische und die rationale, statt daß sich
jetzt die Vertreter der letzteren — vielleicht mir aus taktischen Rücksichten,
jedenfalls nicht zu ihrem Ruhme — zu Vorkämpfern einer beschränkt Milita¬
ristischen Alltcigsweisheit machen. Sie könnten sagen: Das phantasievolle Jugend-
nlter der Menschheit ist lange zu Ende, wir sind schon mitten in der Periode
verständig arbeitender Vernunft, da der Mann sich sein Hans zimmert zum
angenehmen Wohnen auf dieser Erde. Ihr müßt diese Thatsache nun einmal an¬
erkennen, ihr, die ihr, den Übergang zweier grundverschiednen Bildungsformationen
darstellend, noch immer in der vergangnen lebt. Sie könnten sagen: Der der
höhern Erziehung zugeführte junge Mensch ist nicht mehr der sinnlich befangene
Wildling von ehedem. Er ist der Geisteserbe seit Jahrtausenden kultivirter
Geschlechter. Ihr könnt ihm mit stärkerer Kost kommen. Lehrt ihn die zweifel¬
lose, die gcistschärfcnde Mathematik, die aufklärende, ernüchternde Wissenschaft
der Natur und von den Geisteswissenschaften die zur That kräftigenden, die
allgemein wichtigen, als Nationalökonomie und Handelswissenschaft. Was zum
Schmucke des Lebens gehört, könnt ihr anfügen, wie es dem Berufe des Mannes
geziemt. Es ist gehörig, daß er etwas wisse von denen, die vor ihm auf der Welt
gewesen sind, daß er Sprachen lerne, deren Vorkenntnis ihm einmal angenehm
sein könnte, daß er auch Dinge lese, die nicht bloß zur Anspannung, sondern
auch zur Erholung des Geistes beitragen. Aber alles dies nicht zu viel und
mit Unterschied. Denn das erste könnte ihn beirren im Schätzen und Begreifen
der eignen Zeit, und mit dem letzteren kann viel Zeit vertrödelt und Hang zur
Träumerei und Schwärmerei großgezogen werden. Aber ein solches Programm,
welches dem von ihnen bekämpften wenigstens wissenschaftlich gewachsen wäre,
hüten sich die Feinde des Gymnasiums doch aufzustellen. Denn sie sind doch
zu sehr pädagogisch unterrichtet, um nicht zu wissen, daß ihr Schulplan bei dem
letzten ausschlaggebenden Faktor vorläufig auf heftigen Widerstand stoßen würde:
bei der Jugend. Das Kind scheint trotz seiner mit den Generationen zunehmenden
Anstelligkeit und Gelehrigkeit insofern immer noch Kind bleiben zu wollen, daß
es die der Phantasie näherstehenden Beschäftigungen den abstrakten vorzieht.
Daher erhält sich unser hhperklassisches Gymnasium in einer so anders gearteten
Zeit trotz alledem, weil der philologisch-historische Unterricht, trotz der bei Durch¬
schnitts- und Unterdurchschnittslehrkräften mitunter entsetzenerregend handwerks-


Grenzbotm IV. 1886. 28
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[0225] Die Ziele der Reform des höhern Schulwesens. der lebendige Mensch; in antiker Fassung: „der Mensch ist dem Menschen ein Gott." Wenn die Kritiker der bestehenden Unterrichtsmethode offen wären, was ihrer Stellung und der Würde und Bedeutsamkeit der von ihnen vertretenen Sache viel besser anstünde, so würden sie sich auch uicht mit jenen Notbehelfen, den Ködern für das große Publikum, abgeben, sondern geradezu jener bisher geltenden, in den höchsten Kulturperioden ausgebildeten Form der Erziehung ihre neue entgegensetzen: Erziehung des Menschen zum Denken durch das Denken. Das wären dann wenigstens zwei geistig gleichwertige Weltauffassungen, die sich einander gegenüberstünden, die ästhetische und die rationale, statt daß sich jetzt die Vertreter der letzteren — vielleicht mir aus taktischen Rücksichten, jedenfalls nicht zu ihrem Ruhme — zu Vorkämpfern einer beschränkt Milita¬ ristischen Alltcigsweisheit machen. Sie könnten sagen: Das phantasievolle Jugend- nlter der Menschheit ist lange zu Ende, wir sind schon mitten in der Periode verständig arbeitender Vernunft, da der Mann sich sein Hans zimmert zum angenehmen Wohnen auf dieser Erde. Ihr müßt diese Thatsache nun einmal an¬ erkennen, ihr, die ihr, den Übergang zweier grundverschiednen Bildungsformationen darstellend, noch immer in der vergangnen lebt. Sie könnten sagen: Der der höhern Erziehung zugeführte junge Mensch ist nicht mehr der sinnlich befangene Wildling von ehedem. Er ist der Geisteserbe seit Jahrtausenden kultivirter Geschlechter. Ihr könnt ihm mit stärkerer Kost kommen. Lehrt ihn die zweifel¬ lose, die gcistschärfcnde Mathematik, die aufklärende, ernüchternde Wissenschaft der Natur und von den Geisteswissenschaften die zur That kräftigenden, die allgemein wichtigen, als Nationalökonomie und Handelswissenschaft. Was zum Schmucke des Lebens gehört, könnt ihr anfügen, wie es dem Berufe des Mannes geziemt. Es ist gehörig, daß er etwas wisse von denen, die vor ihm auf der Welt gewesen sind, daß er Sprachen lerne, deren Vorkenntnis ihm einmal angenehm sein könnte, daß er auch Dinge lese, die nicht bloß zur Anspannung, sondern auch zur Erholung des Geistes beitragen. Aber alles dies nicht zu viel und mit Unterschied. Denn das erste könnte ihn beirren im Schätzen und Begreifen der eignen Zeit, und mit dem letzteren kann viel Zeit vertrödelt und Hang zur Träumerei und Schwärmerei großgezogen werden. Aber ein solches Programm, welches dem von ihnen bekämpften wenigstens wissenschaftlich gewachsen wäre, hüten sich die Feinde des Gymnasiums doch aufzustellen. Denn sie sind doch zu sehr pädagogisch unterrichtet, um nicht zu wissen, daß ihr Schulplan bei dem letzten ausschlaggebenden Faktor vorläufig auf heftigen Widerstand stoßen würde: bei der Jugend. Das Kind scheint trotz seiner mit den Generationen zunehmenden Anstelligkeit und Gelehrigkeit insofern immer noch Kind bleiben zu wollen, daß es die der Phantasie näherstehenden Beschäftigungen den abstrakten vorzieht. Daher erhält sich unser hhperklassisches Gymnasium in einer so anders gearteten Zeit trotz alledem, weil der philologisch-historische Unterricht, trotz der bei Durch¬ schnitts- und Unterdurchschnittslehrkräften mitunter entsetzenerregend handwerks- Grenzbotm IV. 1886. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/225>, abgerufen am 27.09.2024.