Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

Ich kann nicht verstehe", Heinrich, wie Sie in einer so ernsten Stunde
von thörichten und eitlen Dingen reden mögen!

Du lieber Gott! Warum soll ich das nicht sagen? Mir geht das Maior
gewiß ebenso zu Herzen als Ihnen, Herr Kandidat, und ich sage nur: Warum
muß es gerade dem Passiren und nicht dem andern, der die dummen Streiche
angiebt? Varon Anton gleicht doch gar sehr der Frau Mama.

Cäcilie wich indessen nicht vom Lager ihrer leidenden Schwägerin, deren
sieberglünzeude Augen vergeblich das verdunkelte Zimmer nach dein Hofmarschall
durchwanderten.

Therese konnte nicht sprechen, aber in ihren Blicken las Cäcilie wieder und
wieder die stumme Frage: Warum kommt er nicht? Dann zeigte sich Angst
und Besorgnis auf ihrem Gesicht, als fürchtete sie, Bohemund könne ihr die
Krankheit zum Vorwurf machen.

Cäcilie hatte den Bruder rufen lassen. Vielleicht findet er sie nicht mehr!
dachte sie. Und nun saß sie und harrte gespannt auf seine Ankunft, lauschte
angestrengt jedem Geräusch, das sern ertönte -- was hatte ihn fortgetrieben?
Er liebte die Frau heute uoch so wie damals, als er das arme Mädchen allen
seinen Vorurteilen zum Trotz geheiratet hatte. Und nun? Die Schwester
schüttelte den Kopf; sie konnte ihn nicht verstehen.

Es war nur ein einziges, im Fieber gesprochenes Wort gewesen, und doch
schwerer wiegend für ihn, als alle die Jahre demütiger Hingebung. Sie hatte
in Not und Angst einen Namen gerufen, der nicht der seine war.

Cäcilie saß und harrte den ganzen, langen Tag. Die Sonne sank tiefer;
hinter den mächtigen Bäumen am Ufer des Wallgrabens wiegte sich das Schilf,
und die alte Weide breitete ihre mächtigen Äste mit den feinen, schlanken Blättern
darüber aus. Dazwischen flatterten die Vögel auf und nieder.

Die schweren Tragkorbe mit Grünfutter beladen, wanderten Baueruweibcr
an dem Thore vorbei und sahen in den schönen, alten Garten hinein nach den
bunten Blumenrabatten ans den Nasenplätzen und nach dem Sitzplatze am Wall¬
graben, wo sich um diese Zeit die Familie gern zu versammeln pflegte. Heute
saßen zwei kleine Mädchen dort, die weinten zusammen.

Die Sonne sank. Ihre letzten Strahlen glühten in den Fenstern des alten
Hauses wie goldiges Feuer. Mit leisem Klingen zog die Herde vorbei, begleitet
von dem bedächtigen Hirten in langem Rock und breitkrempigen Hute. Bauer
und Bäuerin kamen vom Felde heim; es war ein köstlicher Sommerabend. Die
weißen Federwölkchen am blauen Himmel trugen rote Säume, ein Windhauch
führte den starken Blumenduft dahin. Die Blumen selbst schlössen sich vor der
nahenden Nacht, um den lichten Morgen wieder glänzend zu begrüßen. Aber
die Blume, die dort in dem grauen Steinhause ihre Augen schloß, sah die irdische
Sonne nicht wieder.




Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

Ich kann nicht verstehe», Heinrich, wie Sie in einer so ernsten Stunde
von thörichten und eitlen Dingen reden mögen!

Du lieber Gott! Warum soll ich das nicht sagen? Mir geht das Maior
gewiß ebenso zu Herzen als Ihnen, Herr Kandidat, und ich sage nur: Warum
muß es gerade dem Passiren und nicht dem andern, der die dummen Streiche
angiebt? Varon Anton gleicht doch gar sehr der Frau Mama.

Cäcilie wich indessen nicht vom Lager ihrer leidenden Schwägerin, deren
sieberglünzeude Augen vergeblich das verdunkelte Zimmer nach dein Hofmarschall
durchwanderten.

Therese konnte nicht sprechen, aber in ihren Blicken las Cäcilie wieder und
wieder die stumme Frage: Warum kommt er nicht? Dann zeigte sich Angst
und Besorgnis auf ihrem Gesicht, als fürchtete sie, Bohemund könne ihr die
Krankheit zum Vorwurf machen.

Cäcilie hatte den Bruder rufen lassen. Vielleicht findet er sie nicht mehr!
dachte sie. Und nun saß sie und harrte gespannt auf seine Ankunft, lauschte
angestrengt jedem Geräusch, das sern ertönte — was hatte ihn fortgetrieben?
Er liebte die Frau heute uoch so wie damals, als er das arme Mädchen allen
seinen Vorurteilen zum Trotz geheiratet hatte. Und nun? Die Schwester
schüttelte den Kopf; sie konnte ihn nicht verstehen.

Es war nur ein einziges, im Fieber gesprochenes Wort gewesen, und doch
schwerer wiegend für ihn, als alle die Jahre demütiger Hingebung. Sie hatte
in Not und Angst einen Namen gerufen, der nicht der seine war.

Cäcilie saß und harrte den ganzen, langen Tag. Die Sonne sank tiefer;
hinter den mächtigen Bäumen am Ufer des Wallgrabens wiegte sich das Schilf,
und die alte Weide breitete ihre mächtigen Äste mit den feinen, schlanken Blättern
darüber aus. Dazwischen flatterten die Vögel auf und nieder.

Die schweren Tragkorbe mit Grünfutter beladen, wanderten Baueruweibcr
an dem Thore vorbei und sahen in den schönen, alten Garten hinein nach den
bunten Blumenrabatten ans den Nasenplätzen und nach dem Sitzplatze am Wall¬
graben, wo sich um diese Zeit die Familie gern zu versammeln pflegte. Heute
saßen zwei kleine Mädchen dort, die weinten zusammen.

Die Sonne sank. Ihre letzten Strahlen glühten in den Fenstern des alten
Hauses wie goldiges Feuer. Mit leisem Klingen zog die Herde vorbei, begleitet
von dem bedächtigen Hirten in langem Rock und breitkrempigen Hute. Bauer
und Bäuerin kamen vom Felde heim; es war ein köstlicher Sommerabend. Die
weißen Federwölkchen am blauen Himmel trugen rote Säume, ein Windhauch
führte den starken Blumenduft dahin. Die Blumen selbst schlössen sich vor der
nahenden Nacht, um den lichten Morgen wieder glänzend zu begrüßen. Aber
die Blume, die dort in dem grauen Steinhause ihre Augen schloß, sah die irdische
Sonne nicht wieder.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199552"/>
            <fw type="header" place="top"> Aus der Chronik derer von Riffelshausen.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_701"> Ich kann nicht verstehe», Heinrich, wie Sie in einer so ernsten Stunde<lb/>
von thörichten und eitlen Dingen reden mögen!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_702"> Du lieber Gott! Warum soll ich das nicht sagen? Mir geht das Maior<lb/>
gewiß ebenso zu Herzen als Ihnen, Herr Kandidat, und ich sage nur: Warum<lb/>
muß es gerade dem Passiren und nicht dem andern, der die dummen Streiche<lb/>
angiebt?  Varon Anton gleicht doch gar sehr der Frau Mama.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_703"> Cäcilie wich indessen nicht vom Lager ihrer leidenden Schwägerin, deren<lb/>
sieberglünzeude Augen vergeblich das verdunkelte Zimmer nach dein Hofmarschall<lb/>
durchwanderten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_704"> Therese konnte nicht sprechen, aber in ihren Blicken las Cäcilie wieder und<lb/>
wieder die stumme Frage: Warum kommt er nicht? Dann zeigte sich Angst<lb/>
und Besorgnis auf ihrem Gesicht, als fürchtete sie, Bohemund könne ihr die<lb/>
Krankheit zum Vorwurf machen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_705"> Cäcilie hatte den Bruder rufen lassen. Vielleicht findet er sie nicht mehr!<lb/>
dachte sie. Und nun saß sie und harrte gespannt auf seine Ankunft, lauschte<lb/>
angestrengt jedem Geräusch, das sern ertönte &#x2014; was hatte ihn fortgetrieben?<lb/>
Er liebte die Frau heute uoch so wie damals, als er das arme Mädchen allen<lb/>
seinen Vorurteilen zum Trotz geheiratet hatte. Und nun? Die Schwester<lb/>
schüttelte den Kopf; sie konnte ihn nicht verstehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_706"> Es war nur ein einziges, im Fieber gesprochenes Wort gewesen, und doch<lb/>
schwerer wiegend für ihn, als alle die Jahre demütiger Hingebung. Sie hatte<lb/>
in Not und Angst einen Namen gerufen, der nicht der seine war.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_707"> Cäcilie saß und harrte den ganzen, langen Tag. Die Sonne sank tiefer;<lb/>
hinter den mächtigen Bäumen am Ufer des Wallgrabens wiegte sich das Schilf,<lb/>
und die alte Weide breitete ihre mächtigen Äste mit den feinen, schlanken Blättern<lb/>
darüber aus.  Dazwischen flatterten die Vögel auf und nieder.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_708"> Die schweren Tragkorbe mit Grünfutter beladen, wanderten Baueruweibcr<lb/>
an dem Thore vorbei und sahen in den schönen, alten Garten hinein nach den<lb/>
bunten Blumenrabatten ans den Nasenplätzen und nach dem Sitzplatze am Wall¬<lb/>
graben, wo sich um diese Zeit die Familie gern zu versammeln pflegte. Heute<lb/>
saßen zwei kleine Mädchen dort, die weinten zusammen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_709"> Die Sonne sank. Ihre letzten Strahlen glühten in den Fenstern des alten<lb/>
Hauses wie goldiges Feuer. Mit leisem Klingen zog die Herde vorbei, begleitet<lb/>
von dem bedächtigen Hirten in langem Rock und breitkrempigen Hute. Bauer<lb/>
und Bäuerin kamen vom Felde heim; es war ein köstlicher Sommerabend. Die<lb/>
weißen Federwölkchen am blauen Himmel trugen rote Säume, ein Windhauch<lb/>
führte den starken Blumenduft dahin. Die Blumen selbst schlössen sich vor der<lb/>
nahenden Nacht, um den lichten Morgen wieder glänzend zu begrüßen. Aber<lb/>
die Blume, die dort in dem grauen Steinhause ihre Augen schloß, sah die irdische<lb/>
Sonne nicht wieder.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0198] Aus der Chronik derer von Riffelshausen. Ich kann nicht verstehe», Heinrich, wie Sie in einer so ernsten Stunde von thörichten und eitlen Dingen reden mögen! Du lieber Gott! Warum soll ich das nicht sagen? Mir geht das Maior gewiß ebenso zu Herzen als Ihnen, Herr Kandidat, und ich sage nur: Warum muß es gerade dem Passiren und nicht dem andern, der die dummen Streiche angiebt? Varon Anton gleicht doch gar sehr der Frau Mama. Cäcilie wich indessen nicht vom Lager ihrer leidenden Schwägerin, deren sieberglünzeude Augen vergeblich das verdunkelte Zimmer nach dein Hofmarschall durchwanderten. Therese konnte nicht sprechen, aber in ihren Blicken las Cäcilie wieder und wieder die stumme Frage: Warum kommt er nicht? Dann zeigte sich Angst und Besorgnis auf ihrem Gesicht, als fürchtete sie, Bohemund könne ihr die Krankheit zum Vorwurf machen. Cäcilie hatte den Bruder rufen lassen. Vielleicht findet er sie nicht mehr! dachte sie. Und nun saß sie und harrte gespannt auf seine Ankunft, lauschte angestrengt jedem Geräusch, das sern ertönte — was hatte ihn fortgetrieben? Er liebte die Frau heute uoch so wie damals, als er das arme Mädchen allen seinen Vorurteilen zum Trotz geheiratet hatte. Und nun? Die Schwester schüttelte den Kopf; sie konnte ihn nicht verstehen. Es war nur ein einziges, im Fieber gesprochenes Wort gewesen, und doch schwerer wiegend für ihn, als alle die Jahre demütiger Hingebung. Sie hatte in Not und Angst einen Namen gerufen, der nicht der seine war. Cäcilie saß und harrte den ganzen, langen Tag. Die Sonne sank tiefer; hinter den mächtigen Bäumen am Ufer des Wallgrabens wiegte sich das Schilf, und die alte Weide breitete ihre mächtigen Äste mit den feinen, schlanken Blättern darüber aus. Dazwischen flatterten die Vögel auf und nieder. Die schweren Tragkorbe mit Grünfutter beladen, wanderten Baueruweibcr an dem Thore vorbei und sahen in den schönen, alten Garten hinein nach den bunten Blumenrabatten ans den Nasenplätzen und nach dem Sitzplatze am Wall¬ graben, wo sich um diese Zeit die Familie gern zu versammeln pflegte. Heute saßen zwei kleine Mädchen dort, die weinten zusammen. Die Sonne sank. Ihre letzten Strahlen glühten in den Fenstern des alten Hauses wie goldiges Feuer. Mit leisem Klingen zog die Herde vorbei, begleitet von dem bedächtigen Hirten in langem Rock und breitkrempigen Hute. Bauer und Bäuerin kamen vom Felde heim; es war ein köstlicher Sommerabend. Die weißen Federwölkchen am blauen Himmel trugen rote Säume, ein Windhauch führte den starken Blumenduft dahin. Die Blumen selbst schlössen sich vor der nahenden Nacht, um den lichten Morgen wieder glänzend zu begrüßen. Aber die Blume, die dort in dem grauen Steinhause ihre Augen schloß, sah die irdische Sonne nicht wieder.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/198
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/198>, abgerufen am 19.10.2024.