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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Wein- und andre Fälschungen.

denn? Ist denn Milch noch Milch? Hat nur nicht durch die künstliche Schlempe¬
fütterung die Milch zu etwas ganz anderen gemacht, als sie früher war? Kann,
darf das erlaubt sei"? Fort mit den, ohnehin aus dem schon angeführten Grunde
so bedenklichen Spiritusbrcuncreien; auf die Weide mit den Kühen, und wenn
es an Gras und Heu fehlt, so muß der Viehstand entsprechend reduzirt werden!
Fort auch mit alle" den sogenannten "Kraftfuttern," allen jenen Ölkuchen und
Rückständen und ähnlichem, was doch alles offenbar kein "wirkliches" Futter ist!

Weiter: wenn wir leinen andern Wein mehr trinken dürfen, als einen
gegohrenen Traubensaft, so ist doch wirklich nicht abzusehen, warum wir einen
andern Zucker sollen genießen dürfen, als den krystallisirten Saft des Zucker¬
rohres. Freilich, eine sehr ausgiebige Quelle unsers nationalen Wohlstandes
würden wir uns damit selbst abgegraben haben; aber wie kann man denn auch
so unreell sei", aus Runkelrüben mit allerhand nicht sehr appetitlichen Zusätzen
Zucker zu macheu! "Natürlich" ist das doch gewiß uicht!

Von der Herstellung künstliche" Sagos und künstlicher Vanille, von den
verschiednen Kaffee-Surrogaten :c. wollen wir schon ganz schweigen. Hier muß
es sich von diesem Staudpunkte ans ganz von selbst verstehen, daß die Polizei
aufs rücksichtsloseste und durchgreifendste allen diesen fälschenden Manipulationen
ein Ende mache!

Aber warum sollen wir denn bei deu Nahrungsmitteln stehen bleiben?
Ist nicht die ganze Entwicklung, welche Produkte der Fabrikindustrie an die
Stelle ähnlicher, sorgfältiger, haltbarer Handwcrksarbeit gesetzt hat, eine genau
in demselben Sinne verwerfliche? Muß also nicht, wenn hier statt einem Inter¬
esse einiger wenigen wirklich ein Prinzip in Frage kommen soll, diese ganze in¬
dustrielle Entwicklung rückgängig gemacht, muß nicht fernerhin die nichtsnutzige
Baumwolle (von Knnstwolle und ähnlichem natürlich ganz zu geschweige") auf
dem Wege polizeilichen Zwanges überall wieder durch Wolle und Leinen ersetzt
werden?

Zu solchen Konsequenzen würde man kommen, wenn man den prinzipiellen
Standpunkt, von dem aus jede künstliche Behandlung des Weines verboten
werden soll, auch auf andre Verbrauchsgegenstände anwenden wollte. Da sind
wir denn, trotz der konservativsten Gesinnung (und zwar nicht nur in poli¬
tischen, sondern gerade auch in wirtschaftlichen Fragen), viel zu sehr Kiuder
unsrer Zeit, um solche Dummheiten mitmachen zu wollen. Es giebt Leute, die
nicht mit den Wimpern zucken, wenn man ihnen sagt, die und die Verhältnisse
richteten den ganzen Handwerkerstand vollends zu Gründe; daran, meinen sie,
lasse sich nun einmal im Drange der heutigen industriellen Bewegung nichts
ändern. Aber daß mau nicht in jedem brandenburgischen Weinstübcheu sicher
sein kann, garantirt reinen Wein zu bekomme", sodaß man dann und wann
sogar einmal einem Getränk in die Klanen fällt, welches ganz zweifellos ein
Produkt der Manschcrei und Pantscherei ist, das empört solche Gemüter aufs


Wein- und andre Fälschungen.

denn? Ist denn Milch noch Milch? Hat nur nicht durch die künstliche Schlempe¬
fütterung die Milch zu etwas ganz anderen gemacht, als sie früher war? Kann,
darf das erlaubt sei«? Fort mit den, ohnehin aus dem schon angeführten Grunde
so bedenklichen Spiritusbrcuncreien; auf die Weide mit den Kühen, und wenn
es an Gras und Heu fehlt, so muß der Viehstand entsprechend reduzirt werden!
Fort auch mit alle» den sogenannten „Kraftfuttern," allen jenen Ölkuchen und
Rückständen und ähnlichem, was doch alles offenbar kein „wirkliches" Futter ist!

Weiter: wenn wir leinen andern Wein mehr trinken dürfen, als einen
gegohrenen Traubensaft, so ist doch wirklich nicht abzusehen, warum wir einen
andern Zucker sollen genießen dürfen, als den krystallisirten Saft des Zucker¬
rohres. Freilich, eine sehr ausgiebige Quelle unsers nationalen Wohlstandes
würden wir uns damit selbst abgegraben haben; aber wie kann man denn auch
so unreell sei», aus Runkelrüben mit allerhand nicht sehr appetitlichen Zusätzen
Zucker zu macheu! „Natürlich" ist das doch gewiß uicht!

Von der Herstellung künstliche» Sagos und künstlicher Vanille, von den
verschiednen Kaffee-Surrogaten :c. wollen wir schon ganz schweigen. Hier muß
es sich von diesem Staudpunkte ans ganz von selbst verstehen, daß die Polizei
aufs rücksichtsloseste und durchgreifendste allen diesen fälschenden Manipulationen
ein Ende mache!

Aber warum sollen wir denn bei deu Nahrungsmitteln stehen bleiben?
Ist nicht die ganze Entwicklung, welche Produkte der Fabrikindustrie an die
Stelle ähnlicher, sorgfältiger, haltbarer Handwcrksarbeit gesetzt hat, eine genau
in demselben Sinne verwerfliche? Muß also nicht, wenn hier statt einem Inter¬
esse einiger wenigen wirklich ein Prinzip in Frage kommen soll, diese ganze in¬
dustrielle Entwicklung rückgängig gemacht, muß nicht fernerhin die nichtsnutzige
Baumwolle (von Knnstwolle und ähnlichem natürlich ganz zu geschweige») auf
dem Wege polizeilichen Zwanges überall wieder durch Wolle und Leinen ersetzt
werden?

Zu solchen Konsequenzen würde man kommen, wenn man den prinzipiellen
Standpunkt, von dem aus jede künstliche Behandlung des Weines verboten
werden soll, auch auf andre Verbrauchsgegenstände anwenden wollte. Da sind
wir denn, trotz der konservativsten Gesinnung (und zwar nicht nur in poli¬
tischen, sondern gerade auch in wirtschaftlichen Fragen), viel zu sehr Kiuder
unsrer Zeit, um solche Dummheiten mitmachen zu wollen. Es giebt Leute, die
nicht mit den Wimpern zucken, wenn man ihnen sagt, die und die Verhältnisse
richteten den ganzen Handwerkerstand vollends zu Gründe; daran, meinen sie,
lasse sich nun einmal im Drange der heutigen industriellen Bewegung nichts
ändern. Aber daß mau nicht in jedem brandenburgischen Weinstübcheu sicher
sein kann, garantirt reinen Wein zu bekomme», sodaß man dann und wann
sogar einmal einem Getränk in die Klanen fällt, welches ganz zweifellos ein
Produkt der Manschcrei und Pantscherei ist, das empört solche Gemüter aufs


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[0173] Wein- und andre Fälschungen. denn? Ist denn Milch noch Milch? Hat nur nicht durch die künstliche Schlempe¬ fütterung die Milch zu etwas ganz anderen gemacht, als sie früher war? Kann, darf das erlaubt sei«? Fort mit den, ohnehin aus dem schon angeführten Grunde so bedenklichen Spiritusbrcuncreien; auf die Weide mit den Kühen, und wenn es an Gras und Heu fehlt, so muß der Viehstand entsprechend reduzirt werden! Fort auch mit alle» den sogenannten „Kraftfuttern," allen jenen Ölkuchen und Rückständen und ähnlichem, was doch alles offenbar kein „wirkliches" Futter ist! Weiter: wenn wir leinen andern Wein mehr trinken dürfen, als einen gegohrenen Traubensaft, so ist doch wirklich nicht abzusehen, warum wir einen andern Zucker sollen genießen dürfen, als den krystallisirten Saft des Zucker¬ rohres. Freilich, eine sehr ausgiebige Quelle unsers nationalen Wohlstandes würden wir uns damit selbst abgegraben haben; aber wie kann man denn auch so unreell sei», aus Runkelrüben mit allerhand nicht sehr appetitlichen Zusätzen Zucker zu macheu! „Natürlich" ist das doch gewiß uicht! Von der Herstellung künstliche» Sagos und künstlicher Vanille, von den verschiednen Kaffee-Surrogaten :c. wollen wir schon ganz schweigen. Hier muß es sich von diesem Staudpunkte ans ganz von selbst verstehen, daß die Polizei aufs rücksichtsloseste und durchgreifendste allen diesen fälschenden Manipulationen ein Ende mache! Aber warum sollen wir denn bei deu Nahrungsmitteln stehen bleiben? Ist nicht die ganze Entwicklung, welche Produkte der Fabrikindustrie an die Stelle ähnlicher, sorgfältiger, haltbarer Handwcrksarbeit gesetzt hat, eine genau in demselben Sinne verwerfliche? Muß also nicht, wenn hier statt einem Inter¬ esse einiger wenigen wirklich ein Prinzip in Frage kommen soll, diese ganze in¬ dustrielle Entwicklung rückgängig gemacht, muß nicht fernerhin die nichtsnutzige Baumwolle (von Knnstwolle und ähnlichem natürlich ganz zu geschweige») auf dem Wege polizeilichen Zwanges überall wieder durch Wolle und Leinen ersetzt werden? Zu solchen Konsequenzen würde man kommen, wenn man den prinzipiellen Standpunkt, von dem aus jede künstliche Behandlung des Weines verboten werden soll, auch auf andre Verbrauchsgegenstände anwenden wollte. Da sind wir denn, trotz der konservativsten Gesinnung (und zwar nicht nur in poli¬ tischen, sondern gerade auch in wirtschaftlichen Fragen), viel zu sehr Kiuder unsrer Zeit, um solche Dummheiten mitmachen zu wollen. Es giebt Leute, die nicht mit den Wimpern zucken, wenn man ihnen sagt, die und die Verhältnisse richteten den ganzen Handwerkerstand vollends zu Gründe; daran, meinen sie, lasse sich nun einmal im Drange der heutigen industriellen Bewegung nichts ändern. Aber daß mau nicht in jedem brandenburgischen Weinstübcheu sicher sein kann, garantirt reinen Wein zu bekomme», sodaß man dann und wann sogar einmal einem Getränk in die Klanen fällt, welches ganz zweifellos ein Produkt der Manschcrei und Pantscherei ist, das empört solche Gemüter aufs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/173>, abgerufen am 19.10.2024.