Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Wein- und andre Fälschungen.

Handel eine Rolle spielen, so muß er vor allem gleichmäßig sein, und der Käufer
oder Händler muß mit einer gewissen Genauigkeit wissen, was er hat. Dies
ist aber ohne Behandlung, Verschnitt, auch allerhand Zusätze nicht möglich; von
dem nämlichen Rebstocke kaun mau nicht zwei Jahre hintereinander genau den¬
selben Wein erhalten, und zwar handelt es sich hier nicht etwa um unbedeutende,
nur dem feinen Kenner zum Bewußtsein kommende, sondern um sehr wesentliche
Abweichungen. Nicht einmal zwei Jahrgänge gleichen einander unbedingt,
sondern, wenn z. B. der eine hauptsächlich auf gutem Verlauf der Blüte, der
andre mehr auf einem günstigen Spätsommer beruht, so zeigen sie sehr erhebliche
Unterschiede. Der Handel aber verlangt, wie gesagt, eine Waare, welche von
einem Jahre zum andern annähernd die nämliche oder doch eine im hohen Maße
gleichartige ist, und der immer noch weit vorherrschende Welthandelswein, der
Bordeaux, erfüllt diese Bedingung anch; freilich nur dadurch, daß der Wein¬
handel (wie dies die französischen Handelskammern in ihren Berichten oft genug
auszuweisen haben) ihn je nach Maßgabe der verschiednen üblichen Marken und
der Preise durch Verschnitt, Behandlung und Zusätze zu dem gleichartigen Ge¬
tränke macht, welches die Natur uun einmal nicht liefert. Machen wir es
nicht ebenso, so müssen wir darauf verzichten, selbst unsre feinsten Produkte
-- vielleicht mit Ausnahme der hochfeinen Kabiuetsweine -- in das Ausland
abzusetzen. Aber noch mehr: auch die meisten unsrer weinbautreibendeu ein¬
heimischen Landschaften werden, wenn der Grundsatz der absoluten Reinheit
streng durchgeführt werde" soll, darauf verzichten müssen, ihren Wein auch dem
übrigen Deutschland anzubieten. Die badischen Seeweiue z. B. werden von
Baduern sehr gern getrunken, die Neckar- und Tauberweine ebenso in ihrer
Heimat; aber außerhalb trinkt sie niemand, weil die ersteren zu rauh, die letzteren
zu dünn sind. Verschneidet man die Neckarweinc mit dem kräftig schmeckenden
Seewein, so giebt dies ein sehr befriedigendes, anch im übrigen Deutsch¬
land über ein gewisses bescheidenes Absatzgebiet verfügendes Getränk. Und
nun kommen wir erst zu dem eigentlich entscheidenden Punkte. Es wächst in
unserm lieben Deutschland eine stattliche Menge Wein, aber die ganz guten
Weinjahre sind selten, und die ganz schlechten ziemlich häufig, und wir glauben
kühn behaupten zu dürfen, daß ein absolutes Verbot jeder Veredlung die Folge
haben würde, das schlechte Produkt für die Verbraucher außerhalb seiner engsten
Heimat schlechterdings ungenießbar, damit aber zugleich den ganzen Weinbau
unrentabel und bestandsunfähig zu machen. Wer sagt: Keinen andern wie ab¬
solut reinen Wem! der sagt: Keinen deutschen Wem! und da es in den andern
Weinländern erst recht keinen absolut reinen Wein giebt, so sagt er sogar:
Keinen Wein! Wir stimmen ganz bei, daß es besser sei, völlig reinen als noch
so gut behandelten Wein zu haben, und wir persönlich gehen noch einen Schritt
weiter und wollen lieber einen etwas sauern als einen "geschmierten" Wein
trinken. Aber alles mit Maß. Es wächst in geringen Lagen und schlechten


Wein- und andre Fälschungen.

Handel eine Rolle spielen, so muß er vor allem gleichmäßig sein, und der Käufer
oder Händler muß mit einer gewissen Genauigkeit wissen, was er hat. Dies
ist aber ohne Behandlung, Verschnitt, auch allerhand Zusätze nicht möglich; von
dem nämlichen Rebstocke kaun mau nicht zwei Jahre hintereinander genau den¬
selben Wein erhalten, und zwar handelt es sich hier nicht etwa um unbedeutende,
nur dem feinen Kenner zum Bewußtsein kommende, sondern um sehr wesentliche
Abweichungen. Nicht einmal zwei Jahrgänge gleichen einander unbedingt,
sondern, wenn z. B. der eine hauptsächlich auf gutem Verlauf der Blüte, der
andre mehr auf einem günstigen Spätsommer beruht, so zeigen sie sehr erhebliche
Unterschiede. Der Handel aber verlangt, wie gesagt, eine Waare, welche von
einem Jahre zum andern annähernd die nämliche oder doch eine im hohen Maße
gleichartige ist, und der immer noch weit vorherrschende Welthandelswein, der
Bordeaux, erfüllt diese Bedingung anch; freilich nur dadurch, daß der Wein¬
handel (wie dies die französischen Handelskammern in ihren Berichten oft genug
auszuweisen haben) ihn je nach Maßgabe der verschiednen üblichen Marken und
der Preise durch Verschnitt, Behandlung und Zusätze zu dem gleichartigen Ge¬
tränke macht, welches die Natur uun einmal nicht liefert. Machen wir es
nicht ebenso, so müssen wir darauf verzichten, selbst unsre feinsten Produkte
— vielleicht mit Ausnahme der hochfeinen Kabiuetsweine — in das Ausland
abzusetzen. Aber noch mehr: auch die meisten unsrer weinbautreibendeu ein¬
heimischen Landschaften werden, wenn der Grundsatz der absoluten Reinheit
streng durchgeführt werde» soll, darauf verzichten müssen, ihren Wein auch dem
übrigen Deutschland anzubieten. Die badischen Seeweiue z. B. werden von
Baduern sehr gern getrunken, die Neckar- und Tauberweine ebenso in ihrer
Heimat; aber außerhalb trinkt sie niemand, weil die ersteren zu rauh, die letzteren
zu dünn sind. Verschneidet man die Neckarweinc mit dem kräftig schmeckenden
Seewein, so giebt dies ein sehr befriedigendes, anch im übrigen Deutsch¬
land über ein gewisses bescheidenes Absatzgebiet verfügendes Getränk. Und
nun kommen wir erst zu dem eigentlich entscheidenden Punkte. Es wächst in
unserm lieben Deutschland eine stattliche Menge Wein, aber die ganz guten
Weinjahre sind selten, und die ganz schlechten ziemlich häufig, und wir glauben
kühn behaupten zu dürfen, daß ein absolutes Verbot jeder Veredlung die Folge
haben würde, das schlechte Produkt für die Verbraucher außerhalb seiner engsten
Heimat schlechterdings ungenießbar, damit aber zugleich den ganzen Weinbau
unrentabel und bestandsunfähig zu machen. Wer sagt: Keinen andern wie ab¬
solut reinen Wem! der sagt: Keinen deutschen Wem! und da es in den andern
Weinländern erst recht keinen absolut reinen Wein giebt, so sagt er sogar:
Keinen Wein! Wir stimmen ganz bei, daß es besser sei, völlig reinen als noch
so gut behandelten Wein zu haben, und wir persönlich gehen noch einen Schritt
weiter und wollen lieber einen etwas sauern als einen „geschmierten" Wein
trinken. Aber alles mit Maß. Es wächst in geringen Lagen und schlechten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0170" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199524"/>
          <fw type="header" place="top"> Wein- und andre Fälschungen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_600" prev="#ID_599" next="#ID_601"> Handel eine Rolle spielen, so muß er vor allem gleichmäßig sein, und der Käufer<lb/>
oder Händler muß mit einer gewissen Genauigkeit wissen, was er hat. Dies<lb/>
ist aber ohne Behandlung, Verschnitt, auch allerhand Zusätze nicht möglich; von<lb/>
dem nämlichen Rebstocke kaun mau nicht zwei Jahre hintereinander genau den¬<lb/>
selben Wein erhalten, und zwar handelt es sich hier nicht etwa um unbedeutende,<lb/>
nur dem feinen Kenner zum Bewußtsein kommende, sondern um sehr wesentliche<lb/>
Abweichungen. Nicht einmal zwei Jahrgänge gleichen einander unbedingt,<lb/>
sondern, wenn z. B. der eine hauptsächlich auf gutem Verlauf der Blüte, der<lb/>
andre mehr auf einem günstigen Spätsommer beruht, so zeigen sie sehr erhebliche<lb/>
Unterschiede. Der Handel aber verlangt, wie gesagt, eine Waare, welche von<lb/>
einem Jahre zum andern annähernd die nämliche oder doch eine im hohen Maße<lb/>
gleichartige ist, und der immer noch weit vorherrschende Welthandelswein, der<lb/>
Bordeaux, erfüllt diese Bedingung anch; freilich nur dadurch, daß der Wein¬<lb/>
handel (wie dies die französischen Handelskammern in ihren Berichten oft genug<lb/>
auszuweisen haben) ihn je nach Maßgabe der verschiednen üblichen Marken und<lb/>
der Preise durch Verschnitt, Behandlung und Zusätze zu dem gleichartigen Ge¬<lb/>
tränke macht, welches die Natur uun einmal nicht liefert. Machen wir es<lb/>
nicht ebenso, so müssen wir darauf verzichten, selbst unsre feinsten Produkte<lb/>
&#x2014; vielleicht mit Ausnahme der hochfeinen Kabiuetsweine &#x2014; in das Ausland<lb/>
abzusetzen. Aber noch mehr: auch die meisten unsrer weinbautreibendeu ein¬<lb/>
heimischen Landschaften werden, wenn der Grundsatz der absoluten Reinheit<lb/>
streng durchgeführt werde» soll, darauf verzichten müssen, ihren Wein auch dem<lb/>
übrigen Deutschland anzubieten. Die badischen Seeweiue z. B. werden von<lb/>
Baduern sehr gern getrunken, die Neckar- und Tauberweine ebenso in ihrer<lb/>
Heimat; aber außerhalb trinkt sie niemand, weil die ersteren zu rauh, die letzteren<lb/>
zu dünn sind. Verschneidet man die Neckarweinc mit dem kräftig schmeckenden<lb/>
Seewein, so giebt dies ein sehr befriedigendes, anch im übrigen Deutsch¬<lb/>
land über ein gewisses bescheidenes Absatzgebiet verfügendes Getränk. Und<lb/>
nun kommen wir erst zu dem eigentlich entscheidenden Punkte. Es wächst in<lb/>
unserm lieben Deutschland eine stattliche Menge Wein, aber die ganz guten<lb/>
Weinjahre sind selten, und die ganz schlechten ziemlich häufig, und wir glauben<lb/>
kühn behaupten zu dürfen, daß ein absolutes Verbot jeder Veredlung die Folge<lb/>
haben würde, das schlechte Produkt für die Verbraucher außerhalb seiner engsten<lb/>
Heimat schlechterdings ungenießbar, damit aber zugleich den ganzen Weinbau<lb/>
unrentabel und bestandsunfähig zu machen. Wer sagt: Keinen andern wie ab¬<lb/>
solut reinen Wem! der sagt: Keinen deutschen Wem! und da es in den andern<lb/>
Weinländern erst recht keinen absolut reinen Wein giebt, so sagt er sogar:<lb/>
Keinen Wein! Wir stimmen ganz bei, daß es besser sei, völlig reinen als noch<lb/>
so gut behandelten Wein zu haben, und wir persönlich gehen noch einen Schritt<lb/>
weiter und wollen lieber einen etwas sauern als einen &#x201E;geschmierten" Wein<lb/>
trinken. Aber alles mit Maß.  Es wächst in geringen Lagen und schlechten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0170] Wein- und andre Fälschungen. Handel eine Rolle spielen, so muß er vor allem gleichmäßig sein, und der Käufer oder Händler muß mit einer gewissen Genauigkeit wissen, was er hat. Dies ist aber ohne Behandlung, Verschnitt, auch allerhand Zusätze nicht möglich; von dem nämlichen Rebstocke kaun mau nicht zwei Jahre hintereinander genau den¬ selben Wein erhalten, und zwar handelt es sich hier nicht etwa um unbedeutende, nur dem feinen Kenner zum Bewußtsein kommende, sondern um sehr wesentliche Abweichungen. Nicht einmal zwei Jahrgänge gleichen einander unbedingt, sondern, wenn z. B. der eine hauptsächlich auf gutem Verlauf der Blüte, der andre mehr auf einem günstigen Spätsommer beruht, so zeigen sie sehr erhebliche Unterschiede. Der Handel aber verlangt, wie gesagt, eine Waare, welche von einem Jahre zum andern annähernd die nämliche oder doch eine im hohen Maße gleichartige ist, und der immer noch weit vorherrschende Welthandelswein, der Bordeaux, erfüllt diese Bedingung anch; freilich nur dadurch, daß der Wein¬ handel (wie dies die französischen Handelskammern in ihren Berichten oft genug auszuweisen haben) ihn je nach Maßgabe der verschiednen üblichen Marken und der Preise durch Verschnitt, Behandlung und Zusätze zu dem gleichartigen Ge¬ tränke macht, welches die Natur uun einmal nicht liefert. Machen wir es nicht ebenso, so müssen wir darauf verzichten, selbst unsre feinsten Produkte — vielleicht mit Ausnahme der hochfeinen Kabiuetsweine — in das Ausland abzusetzen. Aber noch mehr: auch die meisten unsrer weinbautreibendeu ein¬ heimischen Landschaften werden, wenn der Grundsatz der absoluten Reinheit streng durchgeführt werde» soll, darauf verzichten müssen, ihren Wein auch dem übrigen Deutschland anzubieten. Die badischen Seeweiue z. B. werden von Baduern sehr gern getrunken, die Neckar- und Tauberweine ebenso in ihrer Heimat; aber außerhalb trinkt sie niemand, weil die ersteren zu rauh, die letzteren zu dünn sind. Verschneidet man die Neckarweinc mit dem kräftig schmeckenden Seewein, so giebt dies ein sehr befriedigendes, anch im übrigen Deutsch¬ land über ein gewisses bescheidenes Absatzgebiet verfügendes Getränk. Und nun kommen wir erst zu dem eigentlich entscheidenden Punkte. Es wächst in unserm lieben Deutschland eine stattliche Menge Wein, aber die ganz guten Weinjahre sind selten, und die ganz schlechten ziemlich häufig, und wir glauben kühn behaupten zu dürfen, daß ein absolutes Verbot jeder Veredlung die Folge haben würde, das schlechte Produkt für die Verbraucher außerhalb seiner engsten Heimat schlechterdings ungenießbar, damit aber zugleich den ganzen Weinbau unrentabel und bestandsunfähig zu machen. Wer sagt: Keinen andern wie ab¬ solut reinen Wem! der sagt: Keinen deutschen Wem! und da es in den andern Weinländern erst recht keinen absolut reinen Wein giebt, so sagt er sogar: Keinen Wein! Wir stimmen ganz bei, daß es besser sei, völlig reinen als noch so gut behandelten Wein zu haben, und wir persönlich gehen noch einen Schritt weiter und wollen lieber einen etwas sauern als einen „geschmierten" Wein trinken. Aber alles mit Maß. Es wächst in geringen Lagen und schlechten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/170
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/170>, abgerufen am 15.01.2025.