Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Land und Leute in Bulgarien.

die ein Abende nach der Geburt eines Kindes herbeieilen, um dessen Lebens¬
dauer und Schicksale festzustellen, wobei die dritte mit ihrer Gunst oder Un¬
gunst den Ausschlag giebt. Feindselige übernatürliche Wesen sind endlich die
in allen Naturreligionen eine wichtige Rolle spielenden Schlangen und Drachen,
welche der Bulgare mit dem Blitze in Verbindung bringt. Gleich dem Sonnen-
gotte und den Wilen verfolgen auch die Drachen, unter denen man sich nicht
unsre reptilienartigeu und geflügelten Ungeheuer vorstellt, bisweilen Sterbliche
mit ihrer Zuneigung, beschenken sie und entführen sie auch wohl. Der oder
die Geliebte erkrankt aber von dieser Leidenschaft und stirbt davon verzehrt. Zu
den Schlangen dieses Volksglaubens gehören auch die Launen, die unter andern
unschönen Eigenschaften auch die haben, daß sie dem Getreide des Bauern nach¬
stellen. Wenn es donnert, so sagen die Leute, der heilige Elias mache in seinem
Feuerwagen Jagd auf die weizenfressenden Launen, und wenn es einschlüge, so
meint man, er habe sie erschossen. Ein seltsamer Zug ist, daß man behauptet,
bei Gewittern schliefen alle nach dem Tode ihres Vaters gebornen Säuglinge,
und ihre Seelen verließen zeitweilig ihren Leib, um dem Heiligen bei seiner
Verfolgung der Feldverderber Hilfe zu leisten.

Spiele und Tänze sind bei den Bulgaren sehr beliebt, doch werden letztere
von beiden Geschlechtern stets getrennt aufgeführt. Der Schatz der Volkslieder
ist außerordentlich reich. Er stimmt indes großenteils mit den bekanntesten
Stücken der serbischen Volkspoesie überein, und der Süden Bulgariens, das
alte thrcizische Land, wo es schon im Altertume allenthalben tönte, wo der
Orpheus der Mythe lebte, hat zu ihr weit mehr beigetragen als der Norden.
"Wie bei den westlichen Stammverwandten der Bulgaren, den Serben -- sagt
Rosen im Vorworte zu seineu "Bulgarischen Volksdichtungen" --, die dichterische
Begabung sehr ungleich verteilt ist und ueben der poetischen Herzegowina das
Fürstentum Serbien als das Land der Prosa bezeichnet werden kann, so sind
es von den Bulgaren hauptsächlich die Macedonier und die Südthrazier, welche
die Dichtkunst Pflegen. Was im Balkan und in der eigentlichen Bulgarei, dem
Lande zwischen Balkan und Donau, gedichtet und gesungen wird, reicht weder
an Masse noch an innerem Werte an das poetische Erzeugnis des Südens."

Wir kommen schließlich auf die militärischen Eigenschaften der Bulgare".
Eine Zeit lang hatte man Ursache, in dieser Hinsicht sehr gering von ihnen
zu denken. Die bulgarische Legion, die sich 1876 während des Krieges zwischen
der Pforte und Serbien dem Heere des letzteren anschloß -- sie zählte 800 Mann
und stand unter Filip Holi --, zeichnete sich nur durch Feigheit aus, und als ihr
der Oberbefehlshaber beim Angriff auf Akpalanka eine Rolle zuwies, erfuhr er,
daß er damit eine Unbesonnenheit begangen hatte. Die Bulgaren ließen ihn
beim Vorrücken im Stich und vereitelten zuletzt das ganze Unternehmen, indem
sie in der folgenden Nacht spurlos verschwanden. Auch die bulgarischen Dru¬
schinen, welche 1877 an der Seite der Russen fochten, erwarben sich wenig Lob


Land und Leute in Bulgarien.

die ein Abende nach der Geburt eines Kindes herbeieilen, um dessen Lebens¬
dauer und Schicksale festzustellen, wobei die dritte mit ihrer Gunst oder Un¬
gunst den Ausschlag giebt. Feindselige übernatürliche Wesen sind endlich die
in allen Naturreligionen eine wichtige Rolle spielenden Schlangen und Drachen,
welche der Bulgare mit dem Blitze in Verbindung bringt. Gleich dem Sonnen-
gotte und den Wilen verfolgen auch die Drachen, unter denen man sich nicht
unsre reptilienartigeu und geflügelten Ungeheuer vorstellt, bisweilen Sterbliche
mit ihrer Zuneigung, beschenken sie und entführen sie auch wohl. Der oder
die Geliebte erkrankt aber von dieser Leidenschaft und stirbt davon verzehrt. Zu
den Schlangen dieses Volksglaubens gehören auch die Launen, die unter andern
unschönen Eigenschaften auch die haben, daß sie dem Getreide des Bauern nach¬
stellen. Wenn es donnert, so sagen die Leute, der heilige Elias mache in seinem
Feuerwagen Jagd auf die weizenfressenden Launen, und wenn es einschlüge, so
meint man, er habe sie erschossen. Ein seltsamer Zug ist, daß man behauptet,
bei Gewittern schliefen alle nach dem Tode ihres Vaters gebornen Säuglinge,
und ihre Seelen verließen zeitweilig ihren Leib, um dem Heiligen bei seiner
Verfolgung der Feldverderber Hilfe zu leisten.

Spiele und Tänze sind bei den Bulgaren sehr beliebt, doch werden letztere
von beiden Geschlechtern stets getrennt aufgeführt. Der Schatz der Volkslieder
ist außerordentlich reich. Er stimmt indes großenteils mit den bekanntesten
Stücken der serbischen Volkspoesie überein, und der Süden Bulgariens, das
alte thrcizische Land, wo es schon im Altertume allenthalben tönte, wo der
Orpheus der Mythe lebte, hat zu ihr weit mehr beigetragen als der Norden.
„Wie bei den westlichen Stammverwandten der Bulgaren, den Serben — sagt
Rosen im Vorworte zu seineu »Bulgarischen Volksdichtungen« —, die dichterische
Begabung sehr ungleich verteilt ist und ueben der poetischen Herzegowina das
Fürstentum Serbien als das Land der Prosa bezeichnet werden kann, so sind
es von den Bulgaren hauptsächlich die Macedonier und die Südthrazier, welche
die Dichtkunst Pflegen. Was im Balkan und in der eigentlichen Bulgarei, dem
Lande zwischen Balkan und Donau, gedichtet und gesungen wird, reicht weder
an Masse noch an innerem Werte an das poetische Erzeugnis des Südens."

Wir kommen schließlich auf die militärischen Eigenschaften der Bulgare».
Eine Zeit lang hatte man Ursache, in dieser Hinsicht sehr gering von ihnen
zu denken. Die bulgarische Legion, die sich 1876 während des Krieges zwischen
der Pforte und Serbien dem Heere des letzteren anschloß — sie zählte 800 Mann
und stand unter Filip Holi —, zeichnete sich nur durch Feigheit aus, und als ihr
der Oberbefehlshaber beim Angriff auf Akpalanka eine Rolle zuwies, erfuhr er,
daß er damit eine Unbesonnenheit begangen hatte. Die Bulgaren ließen ihn
beim Vorrücken im Stich und vereitelten zuletzt das ganze Unternehmen, indem
sie in der folgenden Nacht spurlos verschwanden. Auch die bulgarischen Dru¬
schinen, welche 1877 an der Seite der Russen fochten, erwarben sich wenig Lob


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0168" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199522"/>
          <fw type="header" place="top"> Land und Leute in Bulgarien.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_594" prev="#ID_593"> die ein Abende nach der Geburt eines Kindes herbeieilen, um dessen Lebens¬<lb/>
dauer und Schicksale festzustellen, wobei die dritte mit ihrer Gunst oder Un¬<lb/>
gunst den Ausschlag giebt. Feindselige übernatürliche Wesen sind endlich die<lb/>
in allen Naturreligionen eine wichtige Rolle spielenden Schlangen und Drachen,<lb/>
welche der Bulgare mit dem Blitze in Verbindung bringt. Gleich dem Sonnen-<lb/>
gotte und den Wilen verfolgen auch die Drachen, unter denen man sich nicht<lb/>
unsre reptilienartigeu und geflügelten Ungeheuer vorstellt, bisweilen Sterbliche<lb/>
mit ihrer Zuneigung, beschenken sie und entführen sie auch wohl. Der oder<lb/>
die Geliebte erkrankt aber von dieser Leidenschaft und stirbt davon verzehrt. Zu<lb/>
den Schlangen dieses Volksglaubens gehören auch die Launen, die unter andern<lb/>
unschönen Eigenschaften auch die haben, daß sie dem Getreide des Bauern nach¬<lb/>
stellen. Wenn es donnert, so sagen die Leute, der heilige Elias mache in seinem<lb/>
Feuerwagen Jagd auf die weizenfressenden Launen, und wenn es einschlüge, so<lb/>
meint man, er habe sie erschossen. Ein seltsamer Zug ist, daß man behauptet,<lb/>
bei Gewittern schliefen alle nach dem Tode ihres Vaters gebornen Säuglinge,<lb/>
und ihre Seelen verließen zeitweilig ihren Leib, um dem Heiligen bei seiner<lb/>
Verfolgung der Feldverderber Hilfe zu leisten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_595"> Spiele und Tänze sind bei den Bulgaren sehr beliebt, doch werden letztere<lb/>
von beiden Geschlechtern stets getrennt aufgeführt. Der Schatz der Volkslieder<lb/>
ist außerordentlich reich. Er stimmt indes großenteils mit den bekanntesten<lb/>
Stücken der serbischen Volkspoesie überein, und der Süden Bulgariens, das<lb/>
alte thrcizische Land, wo es schon im Altertume allenthalben tönte, wo der<lb/>
Orpheus der Mythe lebte, hat zu ihr weit mehr beigetragen als der Norden.<lb/>
&#x201E;Wie bei den westlichen Stammverwandten der Bulgaren, den Serben &#x2014; sagt<lb/>
Rosen im Vorworte zu seineu »Bulgarischen Volksdichtungen« &#x2014;, die dichterische<lb/>
Begabung sehr ungleich verteilt ist und ueben der poetischen Herzegowina das<lb/>
Fürstentum Serbien als das Land der Prosa bezeichnet werden kann, so sind<lb/>
es von den Bulgaren hauptsächlich die Macedonier und die Südthrazier, welche<lb/>
die Dichtkunst Pflegen. Was im Balkan und in der eigentlichen Bulgarei, dem<lb/>
Lande zwischen Balkan und Donau, gedichtet und gesungen wird, reicht weder<lb/>
an Masse noch an innerem Werte an das poetische Erzeugnis des Südens."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_596" next="#ID_597"> Wir kommen schließlich auf die militärischen Eigenschaften der Bulgare».<lb/>
Eine Zeit lang hatte man Ursache, in dieser Hinsicht sehr gering von ihnen<lb/>
zu denken. Die bulgarische Legion, die sich 1876 während des Krieges zwischen<lb/>
der Pforte und Serbien dem Heere des letzteren anschloß &#x2014; sie zählte 800 Mann<lb/>
und stand unter Filip Holi &#x2014;, zeichnete sich nur durch Feigheit aus, und als ihr<lb/>
der Oberbefehlshaber beim Angriff auf Akpalanka eine Rolle zuwies, erfuhr er,<lb/>
daß er damit eine Unbesonnenheit begangen hatte. Die Bulgaren ließen ihn<lb/>
beim Vorrücken im Stich und vereitelten zuletzt das ganze Unternehmen, indem<lb/>
sie in der folgenden Nacht spurlos verschwanden. Auch die bulgarischen Dru¬<lb/>
schinen, welche 1877 an der Seite der Russen fochten, erwarben sich wenig Lob</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0168] Land und Leute in Bulgarien. die ein Abende nach der Geburt eines Kindes herbeieilen, um dessen Lebens¬ dauer und Schicksale festzustellen, wobei die dritte mit ihrer Gunst oder Un¬ gunst den Ausschlag giebt. Feindselige übernatürliche Wesen sind endlich die in allen Naturreligionen eine wichtige Rolle spielenden Schlangen und Drachen, welche der Bulgare mit dem Blitze in Verbindung bringt. Gleich dem Sonnen- gotte und den Wilen verfolgen auch die Drachen, unter denen man sich nicht unsre reptilienartigeu und geflügelten Ungeheuer vorstellt, bisweilen Sterbliche mit ihrer Zuneigung, beschenken sie und entführen sie auch wohl. Der oder die Geliebte erkrankt aber von dieser Leidenschaft und stirbt davon verzehrt. Zu den Schlangen dieses Volksglaubens gehören auch die Launen, die unter andern unschönen Eigenschaften auch die haben, daß sie dem Getreide des Bauern nach¬ stellen. Wenn es donnert, so sagen die Leute, der heilige Elias mache in seinem Feuerwagen Jagd auf die weizenfressenden Launen, und wenn es einschlüge, so meint man, er habe sie erschossen. Ein seltsamer Zug ist, daß man behauptet, bei Gewittern schliefen alle nach dem Tode ihres Vaters gebornen Säuglinge, und ihre Seelen verließen zeitweilig ihren Leib, um dem Heiligen bei seiner Verfolgung der Feldverderber Hilfe zu leisten. Spiele und Tänze sind bei den Bulgaren sehr beliebt, doch werden letztere von beiden Geschlechtern stets getrennt aufgeführt. Der Schatz der Volkslieder ist außerordentlich reich. Er stimmt indes großenteils mit den bekanntesten Stücken der serbischen Volkspoesie überein, und der Süden Bulgariens, das alte thrcizische Land, wo es schon im Altertume allenthalben tönte, wo der Orpheus der Mythe lebte, hat zu ihr weit mehr beigetragen als der Norden. „Wie bei den westlichen Stammverwandten der Bulgaren, den Serben — sagt Rosen im Vorworte zu seineu »Bulgarischen Volksdichtungen« —, die dichterische Begabung sehr ungleich verteilt ist und ueben der poetischen Herzegowina das Fürstentum Serbien als das Land der Prosa bezeichnet werden kann, so sind es von den Bulgaren hauptsächlich die Macedonier und die Südthrazier, welche die Dichtkunst Pflegen. Was im Balkan und in der eigentlichen Bulgarei, dem Lande zwischen Balkan und Donau, gedichtet und gesungen wird, reicht weder an Masse noch an innerem Werte an das poetische Erzeugnis des Südens." Wir kommen schließlich auf die militärischen Eigenschaften der Bulgare». Eine Zeit lang hatte man Ursache, in dieser Hinsicht sehr gering von ihnen zu denken. Die bulgarische Legion, die sich 1876 während des Krieges zwischen der Pforte und Serbien dem Heere des letzteren anschloß — sie zählte 800 Mann und stand unter Filip Holi —, zeichnete sich nur durch Feigheit aus, und als ihr der Oberbefehlshaber beim Angriff auf Akpalanka eine Rolle zuwies, erfuhr er, daß er damit eine Unbesonnenheit begangen hatte. Die Bulgaren ließen ihn beim Vorrücken im Stich und vereitelten zuletzt das ganze Unternehmen, indem sie in der folgenden Nacht spurlos verschwanden. Auch die bulgarischen Dru¬ schinen, welche 1877 an der Seite der Russen fochten, erwarben sich wenig Lob

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/168
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/168>, abgerufen am 27.09.2024.