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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zur Reform des juristischen Studiums.

stellen. Diese Andeutung mag genügen; wer die Ruhmestitel der preußischen
Bureaukratie in lichtvoller Darstellung kennen lernen will, der lese die letzten
beiden Baude der Treitschkeschen Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Mau
wird in der Annahme nicht fehlgehen, daß ein tüchtiges Beamtentum im wesent¬
lichen abhängig sei von seiner Ausbildung, und es wird deshalb der Rückschluß
gestattet sein, daß dieselbe in der fridcriemnischen Zeit wie in der Zeit nach
den Freiheitskriegen eine sehr gute gewesen sein muß. Sucht man aber die
Natur dieser Ausbildung näher zu ergründen, so wird man zu dem Ergebnis
gelangen, daß in jenen Perioden die wissenschaftliche Seite wesentlich im
Hintergrunde stand. Das juristische und wirtschaftliche Studium -- darüber
kann kein Zweifel sein -- war damals auf einem sehr niedrigen Niveau; zu
einer Systematik hatte es kaum das römische Recht gebracht, das öffentliche
Recht erhielt erst durch Moser eine lebenskräftige Stätte auf den Universitäten.
Die juristischen Fakultäten hatten in ihrer Eigenschaft als Spruchkollegien eine
sehr umfangreiche praktische Thätigkeit; sie ersetzten in vielen Territorien die
hohem Jnstanzgerichte, und man wird sicherlich nicht fehlgehen, wenn man an¬
nimmt, daß dieser praktische Beruf auch einen sehr wirksamen Einfluß auf die
Art des Lehrens hatte. Und diese mangelhafte Wissenschaft hat doch die Re¬
daktoren des preußischen Landrechts hervorgebracht; trotz der fehlenden theo¬
retischen Vorbildung sind aus ihr die Männer hervorgegangen, welche den Staat
aus seinen wirtschaftlichen Nöten retteten und im Zollvereine die ersten Grund¬
lagen zur deutschen Einheit legten. Freilich je mangelhafter das theoretische
Studium war, desto sorglicher war die Vorbereitung in der Praxis. Der
Status vlruWö et oontrovoiÄg-ö und die Relationen, welche der Auskultator und
Referendar anzufertigen hatten, lehrten klar denken, den verwirrten Stoff
übersichtlich darstellen und den Nechtskern aus seiner Hülle herausschälen.
Die Vermischung von Justiz und Verwaltung und ihre Vereinigung in den¬
selben Kollegien führten den jungen Juristen unmittelbar in die praktischen
Verhältnisse ein, weihten ihn in die verschlungenen Bedürfnisse des Lebens ein
und gaben ihm nicht nur Stoff zum Denken, sondern auch zur Bethätigung
dessen, was er gefunden hatte.

Kommen wir noch einmal auf das Universitätsstudium zurück. Dasselbe
mußte auch schon aus dem Grunde einen Reiz ausüben, weil es Kompendien,
welche den Lehrstoff in gründlicher und verstündlicher Form zur Darstellung
bringen, nicht gab. Noch eine Vorlesung über römisches Recht von Savigny
oder Puchta gab dem Zuhörer ein Heft, wie es durch kein gedrucktes Buch
zu ersetzen war. Der Vortrag des Lehrers war nirgends anders wiederzufinden,
wer hätte da nicht fleißig, mit Genuß und Erfolg das Kolleg besuchen wollen?
Dazu kam noch die Beschränktheit des Stoffes; Nationalökonomie war noch nicht
vorhanden, das öffentliche Recht kaum darstellnngsfähig. Ein allgemeines
Staatsrecht hatte sich noch nicht entwickelt, das Staatsrecht des deutscheu


Zur Reform des juristischen Studiums.

stellen. Diese Andeutung mag genügen; wer die Ruhmestitel der preußischen
Bureaukratie in lichtvoller Darstellung kennen lernen will, der lese die letzten
beiden Baude der Treitschkeschen Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Mau
wird in der Annahme nicht fehlgehen, daß ein tüchtiges Beamtentum im wesent¬
lichen abhängig sei von seiner Ausbildung, und es wird deshalb der Rückschluß
gestattet sein, daß dieselbe in der fridcriemnischen Zeit wie in der Zeit nach
den Freiheitskriegen eine sehr gute gewesen sein muß. Sucht man aber die
Natur dieser Ausbildung näher zu ergründen, so wird man zu dem Ergebnis
gelangen, daß in jenen Perioden die wissenschaftliche Seite wesentlich im
Hintergrunde stand. Das juristische und wirtschaftliche Studium — darüber
kann kein Zweifel sein — war damals auf einem sehr niedrigen Niveau; zu
einer Systematik hatte es kaum das römische Recht gebracht, das öffentliche
Recht erhielt erst durch Moser eine lebenskräftige Stätte auf den Universitäten.
Die juristischen Fakultäten hatten in ihrer Eigenschaft als Spruchkollegien eine
sehr umfangreiche praktische Thätigkeit; sie ersetzten in vielen Territorien die
hohem Jnstanzgerichte, und man wird sicherlich nicht fehlgehen, wenn man an¬
nimmt, daß dieser praktische Beruf auch einen sehr wirksamen Einfluß auf die
Art des Lehrens hatte. Und diese mangelhafte Wissenschaft hat doch die Re¬
daktoren des preußischen Landrechts hervorgebracht; trotz der fehlenden theo¬
retischen Vorbildung sind aus ihr die Männer hervorgegangen, welche den Staat
aus seinen wirtschaftlichen Nöten retteten und im Zollvereine die ersten Grund¬
lagen zur deutschen Einheit legten. Freilich je mangelhafter das theoretische
Studium war, desto sorglicher war die Vorbereitung in der Praxis. Der
Status vlruWö et oontrovoiÄg-ö und die Relationen, welche der Auskultator und
Referendar anzufertigen hatten, lehrten klar denken, den verwirrten Stoff
übersichtlich darstellen und den Nechtskern aus seiner Hülle herausschälen.
Die Vermischung von Justiz und Verwaltung und ihre Vereinigung in den¬
selben Kollegien führten den jungen Juristen unmittelbar in die praktischen
Verhältnisse ein, weihten ihn in die verschlungenen Bedürfnisse des Lebens ein
und gaben ihm nicht nur Stoff zum Denken, sondern auch zur Bethätigung
dessen, was er gefunden hatte.

Kommen wir noch einmal auf das Universitätsstudium zurück. Dasselbe
mußte auch schon aus dem Grunde einen Reiz ausüben, weil es Kompendien,
welche den Lehrstoff in gründlicher und verstündlicher Form zur Darstellung
bringen, nicht gab. Noch eine Vorlesung über römisches Recht von Savigny
oder Puchta gab dem Zuhörer ein Heft, wie es durch kein gedrucktes Buch
zu ersetzen war. Der Vortrag des Lehrers war nirgends anders wiederzufinden,
wer hätte da nicht fleißig, mit Genuß und Erfolg das Kolleg besuchen wollen?
Dazu kam noch die Beschränktheit des Stoffes; Nationalökonomie war noch nicht
vorhanden, das öffentliche Recht kaum darstellnngsfähig. Ein allgemeines
Staatsrecht hatte sich noch nicht entwickelt, das Staatsrecht des deutscheu


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[0154] Zur Reform des juristischen Studiums. stellen. Diese Andeutung mag genügen; wer die Ruhmestitel der preußischen Bureaukratie in lichtvoller Darstellung kennen lernen will, der lese die letzten beiden Baude der Treitschkeschen Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Mau wird in der Annahme nicht fehlgehen, daß ein tüchtiges Beamtentum im wesent¬ lichen abhängig sei von seiner Ausbildung, und es wird deshalb der Rückschluß gestattet sein, daß dieselbe in der fridcriemnischen Zeit wie in der Zeit nach den Freiheitskriegen eine sehr gute gewesen sein muß. Sucht man aber die Natur dieser Ausbildung näher zu ergründen, so wird man zu dem Ergebnis gelangen, daß in jenen Perioden die wissenschaftliche Seite wesentlich im Hintergrunde stand. Das juristische und wirtschaftliche Studium — darüber kann kein Zweifel sein — war damals auf einem sehr niedrigen Niveau; zu einer Systematik hatte es kaum das römische Recht gebracht, das öffentliche Recht erhielt erst durch Moser eine lebenskräftige Stätte auf den Universitäten. Die juristischen Fakultäten hatten in ihrer Eigenschaft als Spruchkollegien eine sehr umfangreiche praktische Thätigkeit; sie ersetzten in vielen Territorien die hohem Jnstanzgerichte, und man wird sicherlich nicht fehlgehen, wenn man an¬ nimmt, daß dieser praktische Beruf auch einen sehr wirksamen Einfluß auf die Art des Lehrens hatte. Und diese mangelhafte Wissenschaft hat doch die Re¬ daktoren des preußischen Landrechts hervorgebracht; trotz der fehlenden theo¬ retischen Vorbildung sind aus ihr die Männer hervorgegangen, welche den Staat aus seinen wirtschaftlichen Nöten retteten und im Zollvereine die ersten Grund¬ lagen zur deutschen Einheit legten. Freilich je mangelhafter das theoretische Studium war, desto sorglicher war die Vorbereitung in der Praxis. Der Status vlruWö et oontrovoiÄg-ö und die Relationen, welche der Auskultator und Referendar anzufertigen hatten, lehrten klar denken, den verwirrten Stoff übersichtlich darstellen und den Nechtskern aus seiner Hülle herausschälen. Die Vermischung von Justiz und Verwaltung und ihre Vereinigung in den¬ selben Kollegien führten den jungen Juristen unmittelbar in die praktischen Verhältnisse ein, weihten ihn in die verschlungenen Bedürfnisse des Lebens ein und gaben ihm nicht nur Stoff zum Denken, sondern auch zur Bethätigung dessen, was er gefunden hatte. Kommen wir noch einmal auf das Universitätsstudium zurück. Dasselbe mußte auch schon aus dem Grunde einen Reiz ausüben, weil es Kompendien, welche den Lehrstoff in gründlicher und verstündlicher Form zur Darstellung bringen, nicht gab. Noch eine Vorlesung über römisches Recht von Savigny oder Puchta gab dem Zuhörer ein Heft, wie es durch kein gedrucktes Buch zu ersetzen war. Der Vortrag des Lehrers war nirgends anders wiederzufinden, wer hätte da nicht fleißig, mit Genuß und Erfolg das Kolleg besuchen wollen? Dazu kam noch die Beschränktheit des Stoffes; Nationalökonomie war noch nicht vorhanden, das öffentliche Recht kaum darstellnngsfähig. Ein allgemeines Staatsrecht hatte sich noch nicht entwickelt, das Staatsrecht des deutscheu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/154>, abgerufen am 27.09.2024.