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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die Theater der Reichshauxtstadt.

Wie die Pilze über Nacht herauskommen, natürlich ebenso schnell wieder ver¬
schwinden, zerpflückt, verbraucht für den Hansgebrauch des Publikums, und
ebenso rasch durch neue ersetzt werden. Diese Erscheinung giebt doch zu denken.
Sie beweist, daß es mit dem edeln Ziergarten der neuen deutschen Dramatik
doch immer noch eine bedenkliche Sache ist, daß er gar sehr noch der Pflege,
der Wartung, des Samens bedarf, der doch immer nur wieder vom Publikum
ausgestreut werden kann, und daß daher schließlich immer noch die meisten
Leute die Pilze lieber haben müssen als die Blumen.

An dieser Pflege und Wartung hat es äußerlich wenigstens ja nie gefehlt.
Die "Pflege der Kunst," "dem Edeln, Guten, Schönen" ist noch immer die
Devise der deutschen Schauspielhäuser, auch bei der dreihundertsten Aufführung
des "Bettclftudenten" oder bei dem fünfhundertsten Moserschen "Schwank."
Auch nicht an wirklichen Ansätzen dazu hat es gefehlt. Es giebt zwischen Rhein
und Weichsel eine ganz erkleckliche Menge von Theciterdirektorcn, die sich bei
nur entfernter Erwähnung des deutschen Dramas auf die männliche Brust
schlagen und dumpf mit feierlicher Miene und einem Seitenblicke auf ihr Vilanz-
buch ausrufen: "Ich, ich hab' es retten -- wollen!" Hier in Berlin beruft
man sich noch immer auf die jugendlichen Schwärmer, die vor Jahren im
"Nationalthcciter" -- zu altem, gutem Deutschen-Michel-Unstern mußte
es natürlich diesen Namen führen -- ihre ebenso anerkennenswerten, als un¬
glücklichen Experimente machten. Dann kam die Idee zum "Deutschen Theater."
Nicht bloß mit Wohlwollen, mit Schwärmerei wurde sie begrüßt. Da hatte
man, was man wollte. Eine erlesene Zahl bedeutender Schauspielerkräfte gleich
von vornherein gegeben, mit Mitteln, um es eine Zeit darauf ankommen zu
lassen, unabhängig und ohne die vielen Rücksichten, welche der Hvfbühne des
neuen Reiches auferlegt waren. Dazu neu und frisch gestaltend, nicht gebannt
vom Zwange des Alten, Überkommenen -- das war etwas in Deutschland un¬
erhörtes, das erinnerte zu sehr an ähnliche Anfänge dramatischer Glanzcpoche"
in Spanien, England und Frankreich, um nicht zu deu kühnsten Erwartungen
Anlaß zu geben. Hat sie das Deutsche Theater erfüllt? Es hat negativ
manches Gute gewirkt. Es hat verhindert, daß der Gedanke an so etwas wie
dramatische Kunst, wie es bereits den Anschein hatte, im großen Publikum
völlig einschlief, es hat das bereits begehrlich auf dies heilige Gebiet hinüber¬
lugende Grüudertum unmöglich gemacht, das sonst fraglos darauf ein großes
Unwesen begonnen hätte, es hat vor allem günstig auf seine Rivalin, die Hof¬
bühne, hinübergewirkt, deren künstlerisches stagniren sprichwörtlich geworden
war und die doch seither etwas mehr Zug zeigte. Das ist aber auch alles.
Als von den Schauspielerunternehmern aus Mangel an geeigneten Aufgabe"
bei der zu bald hervortretenden altbackenem Grundrichtung des Theaters einer
nach dem andern abschwenkte, als es da gelang, in den Durchschnittsfächern
einige gute jüngere Kräfte als "Ersatz" zu gewinnen, da erfüllte die Bühne


Die Theater der Reichshauxtstadt.

Wie die Pilze über Nacht herauskommen, natürlich ebenso schnell wieder ver¬
schwinden, zerpflückt, verbraucht für den Hansgebrauch des Publikums, und
ebenso rasch durch neue ersetzt werden. Diese Erscheinung giebt doch zu denken.
Sie beweist, daß es mit dem edeln Ziergarten der neuen deutschen Dramatik
doch immer noch eine bedenkliche Sache ist, daß er gar sehr noch der Pflege,
der Wartung, des Samens bedarf, der doch immer nur wieder vom Publikum
ausgestreut werden kann, und daß daher schließlich immer noch die meisten
Leute die Pilze lieber haben müssen als die Blumen.

An dieser Pflege und Wartung hat es äußerlich wenigstens ja nie gefehlt.
Die „Pflege der Kunst," „dem Edeln, Guten, Schönen" ist noch immer die
Devise der deutschen Schauspielhäuser, auch bei der dreihundertsten Aufführung
des „Bettclftudenten" oder bei dem fünfhundertsten Moserschen „Schwank."
Auch nicht an wirklichen Ansätzen dazu hat es gefehlt. Es giebt zwischen Rhein
und Weichsel eine ganz erkleckliche Menge von Theciterdirektorcn, die sich bei
nur entfernter Erwähnung des deutschen Dramas auf die männliche Brust
schlagen und dumpf mit feierlicher Miene und einem Seitenblicke auf ihr Vilanz-
buch ausrufen: „Ich, ich hab' es retten — wollen!" Hier in Berlin beruft
man sich noch immer auf die jugendlichen Schwärmer, die vor Jahren im
„Nationalthcciter" — zu altem, gutem Deutschen-Michel-Unstern mußte
es natürlich diesen Namen führen — ihre ebenso anerkennenswerten, als un¬
glücklichen Experimente machten. Dann kam die Idee zum „Deutschen Theater."
Nicht bloß mit Wohlwollen, mit Schwärmerei wurde sie begrüßt. Da hatte
man, was man wollte. Eine erlesene Zahl bedeutender Schauspielerkräfte gleich
von vornherein gegeben, mit Mitteln, um es eine Zeit darauf ankommen zu
lassen, unabhängig und ohne die vielen Rücksichten, welche der Hvfbühne des
neuen Reiches auferlegt waren. Dazu neu und frisch gestaltend, nicht gebannt
vom Zwange des Alten, Überkommenen — das war etwas in Deutschland un¬
erhörtes, das erinnerte zu sehr an ähnliche Anfänge dramatischer Glanzcpoche»
in Spanien, England und Frankreich, um nicht zu deu kühnsten Erwartungen
Anlaß zu geben. Hat sie das Deutsche Theater erfüllt? Es hat negativ
manches Gute gewirkt. Es hat verhindert, daß der Gedanke an so etwas wie
dramatische Kunst, wie es bereits den Anschein hatte, im großen Publikum
völlig einschlief, es hat das bereits begehrlich auf dies heilige Gebiet hinüber¬
lugende Grüudertum unmöglich gemacht, das sonst fraglos darauf ein großes
Unwesen begonnen hätte, es hat vor allem günstig auf seine Rivalin, die Hof¬
bühne, hinübergewirkt, deren künstlerisches stagniren sprichwörtlich geworden
war und die doch seither etwas mehr Zug zeigte. Das ist aber auch alles.
Als von den Schauspielerunternehmern aus Mangel an geeigneten Aufgabe«
bei der zu bald hervortretenden altbackenem Grundrichtung des Theaters einer
nach dem andern abschwenkte, als es da gelang, in den Durchschnittsfächern
einige gute jüngere Kräfte als „Ersatz" zu gewinnen, da erfüllte die Bühne


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[0139] Die Theater der Reichshauxtstadt. Wie die Pilze über Nacht herauskommen, natürlich ebenso schnell wieder ver¬ schwinden, zerpflückt, verbraucht für den Hansgebrauch des Publikums, und ebenso rasch durch neue ersetzt werden. Diese Erscheinung giebt doch zu denken. Sie beweist, daß es mit dem edeln Ziergarten der neuen deutschen Dramatik doch immer noch eine bedenkliche Sache ist, daß er gar sehr noch der Pflege, der Wartung, des Samens bedarf, der doch immer nur wieder vom Publikum ausgestreut werden kann, und daß daher schließlich immer noch die meisten Leute die Pilze lieber haben müssen als die Blumen. An dieser Pflege und Wartung hat es äußerlich wenigstens ja nie gefehlt. Die „Pflege der Kunst," „dem Edeln, Guten, Schönen" ist noch immer die Devise der deutschen Schauspielhäuser, auch bei der dreihundertsten Aufführung des „Bettclftudenten" oder bei dem fünfhundertsten Moserschen „Schwank." Auch nicht an wirklichen Ansätzen dazu hat es gefehlt. Es giebt zwischen Rhein und Weichsel eine ganz erkleckliche Menge von Theciterdirektorcn, die sich bei nur entfernter Erwähnung des deutschen Dramas auf die männliche Brust schlagen und dumpf mit feierlicher Miene und einem Seitenblicke auf ihr Vilanz- buch ausrufen: „Ich, ich hab' es retten — wollen!" Hier in Berlin beruft man sich noch immer auf die jugendlichen Schwärmer, die vor Jahren im „Nationalthcciter" — zu altem, gutem Deutschen-Michel-Unstern mußte es natürlich diesen Namen führen — ihre ebenso anerkennenswerten, als un¬ glücklichen Experimente machten. Dann kam die Idee zum „Deutschen Theater." Nicht bloß mit Wohlwollen, mit Schwärmerei wurde sie begrüßt. Da hatte man, was man wollte. Eine erlesene Zahl bedeutender Schauspielerkräfte gleich von vornherein gegeben, mit Mitteln, um es eine Zeit darauf ankommen zu lassen, unabhängig und ohne die vielen Rücksichten, welche der Hvfbühne des neuen Reiches auferlegt waren. Dazu neu und frisch gestaltend, nicht gebannt vom Zwange des Alten, Überkommenen — das war etwas in Deutschland un¬ erhörtes, das erinnerte zu sehr an ähnliche Anfänge dramatischer Glanzcpoche» in Spanien, England und Frankreich, um nicht zu deu kühnsten Erwartungen Anlaß zu geben. Hat sie das Deutsche Theater erfüllt? Es hat negativ manches Gute gewirkt. Es hat verhindert, daß der Gedanke an so etwas wie dramatische Kunst, wie es bereits den Anschein hatte, im großen Publikum völlig einschlief, es hat das bereits begehrlich auf dies heilige Gebiet hinüber¬ lugende Grüudertum unmöglich gemacht, das sonst fraglos darauf ein großes Unwesen begonnen hätte, es hat vor allem günstig auf seine Rivalin, die Hof¬ bühne, hinübergewirkt, deren künstlerisches stagniren sprichwörtlich geworden war und die doch seither etwas mehr Zug zeigte. Das ist aber auch alles. Als von den Schauspielerunternehmern aus Mangel an geeigneten Aufgabe« bei der zu bald hervortretenden altbackenem Grundrichtung des Theaters einer nach dem andern abschwenkte, als es da gelang, in den Durchschnittsfächern einige gute jüngere Kräfte als „Ersatz" zu gewinnen, da erfüllte die Bühne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/139>, abgerufen am 27.09.2024.