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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Germanische Altertümer aus den Lauerdörfern Norduugarus.

Hauses selbst, das meist nur für das gewöhnlich überdachte Thor mit Thür und
etwa eine" kurzen Zaun oder ein kleines Nebengebäude Raum laßt. Auf der einen
Seite des .Hofes steht etwa der Viehstall, auf der audern Schuppen, Pferdestall,
Schweinestall. Auf der Rückseite scheint der Hof keinen rechten Abschluß zu haben,
wenigstens erinnere ich mich bestimmt, daß bei Woland -- der, wie ich hier beiläufig
bemerke, nichts andres ist als ein gebildeter Bauer, welcher die Post uach Privitz
fährt, ohne eigentliche Gastwirtschaft -- die Scheune (hier Scham, in Kuneschhän
Schaia ^ Scheuer) nicht im Hofe selbst, sondern dahinter auf einem Rasen¬
platze stand, also uach tschechisch-slowakischer Sitte, die möglicherweise auch die
auffallende Längsrichtung des Hauses bestimmt hat. Auch in Krickerhüu sind
alle alten Häuser aus ganzen Balken, alle neuern dagegen find aus Stein und
haben ebenfalls mit ihren zwei Stock und dem nie fehlenden Portal von zwei
Sandsteinsäulen ein ganz stattliches Ansehen. Um so wunderlicher nimmt sich
auf diesen bäuerlichen "Palästen" das unvermeidliche Strohdach aus, welches
außerdem für unser Auge dadurch etwas fremdartiges hat, daß es nicht nach
deutscher, sondern uach slawischer Weise angelegt ist. Während nämlich jedes
deutsche Strohdach glatt beschnitten ist und in allen Flüchen und Ecken eben¬
mäßig verläuft, lassen die Tschechen, die Slowaken, auch die Polen die verschiednen
Lagen der Strvhbedachuug in ihren natürlichen Absätzen, die besonders an den
Ecken des Daches, wo die Büschel zu größerer Widerstandsfähigkeit verstärkt
werden, staffelförmig hervortreten. Die Firstlage wird durch ein dicht unter der
Firstlinie auf beiden Seiten hinlaufendes Langholz gehalten, das an beiden
Giebeln in ein stärkeres, kurzes Querholz eingefügt ist. Diese sonderbare
Manier, über den ganzen First einen Nahmen zu drücken, erinnere ich mich
nirgends sonst gesehen zu haben.

Im Innern stimmt die Einrichtung des Wohnhauses -- ich rede immer
nur von dem alten Geschlechtshause -- im ganzen mit dem Gaidelschen überein,
nur ist die schmale "Köche" nicht, wie dort, im Hintergründe des Vorhauses,
sondern mit einem anschließenden Kämmerchen seitlich von der Stube angebracht.
Der Herd liegt an der Stubenseite, um den viereckigen Kachelofen (mit glatten
Kacheln) heizen zu können.

Regelmäßig ist mich hier der Oberstock, doch habe ich auch in Krickerhüu
einige alte Häuser gesehen, die sich, wie in Müuichwies, mit einem Mittclstock
auf der einen Seite behalfen und dementsprechend auch das ungleiche Dach
zeigten. Der Oberstock ist niedrig, mit kleinen Fenstern versehen und enthält
die Schlafkammern der verheirateten Paare, während die auf der andern Seite
der Hausflur befindlichen Kammern zur Aufbewahrung von Erdäpfeln und
andern Vorräten dienen. Einen Umgang um den zweiten Stock, wie in Gaidel,
habe ich hier nicht gesehen, dagegen läuft über dem Erdgeschosse her el" eben¬
solches Vvrdächcl von Schindeln, wie wir es in Müuichwies an der Giebelseite
gesehen haben.


Germanische Altertümer aus den Lauerdörfern Norduugarus.

Hauses selbst, das meist nur für das gewöhnlich überdachte Thor mit Thür und
etwa eine» kurzen Zaun oder ein kleines Nebengebäude Raum laßt. Auf der einen
Seite des .Hofes steht etwa der Viehstall, auf der audern Schuppen, Pferdestall,
Schweinestall. Auf der Rückseite scheint der Hof keinen rechten Abschluß zu haben,
wenigstens erinnere ich mich bestimmt, daß bei Woland — der, wie ich hier beiläufig
bemerke, nichts andres ist als ein gebildeter Bauer, welcher die Post uach Privitz
fährt, ohne eigentliche Gastwirtschaft — die Scheune (hier Scham, in Kuneschhän
Schaia ^ Scheuer) nicht im Hofe selbst, sondern dahinter auf einem Rasen¬
platze stand, also uach tschechisch-slowakischer Sitte, die möglicherweise auch die
auffallende Längsrichtung des Hauses bestimmt hat. Auch in Krickerhüu sind
alle alten Häuser aus ganzen Balken, alle neuern dagegen find aus Stein und
haben ebenfalls mit ihren zwei Stock und dem nie fehlenden Portal von zwei
Sandsteinsäulen ein ganz stattliches Ansehen. Um so wunderlicher nimmt sich
auf diesen bäuerlichen „Palästen" das unvermeidliche Strohdach aus, welches
außerdem für unser Auge dadurch etwas fremdartiges hat, daß es nicht nach
deutscher, sondern uach slawischer Weise angelegt ist. Während nämlich jedes
deutsche Strohdach glatt beschnitten ist und in allen Flüchen und Ecken eben¬
mäßig verläuft, lassen die Tschechen, die Slowaken, auch die Polen die verschiednen
Lagen der Strvhbedachuug in ihren natürlichen Absätzen, die besonders an den
Ecken des Daches, wo die Büschel zu größerer Widerstandsfähigkeit verstärkt
werden, staffelförmig hervortreten. Die Firstlage wird durch ein dicht unter der
Firstlinie auf beiden Seiten hinlaufendes Langholz gehalten, das an beiden
Giebeln in ein stärkeres, kurzes Querholz eingefügt ist. Diese sonderbare
Manier, über den ganzen First einen Nahmen zu drücken, erinnere ich mich
nirgends sonst gesehen zu haben.

Im Innern stimmt die Einrichtung des Wohnhauses — ich rede immer
nur von dem alten Geschlechtshause — im ganzen mit dem Gaidelschen überein,
nur ist die schmale „Köche" nicht, wie dort, im Hintergründe des Vorhauses,
sondern mit einem anschließenden Kämmerchen seitlich von der Stube angebracht.
Der Herd liegt an der Stubenseite, um den viereckigen Kachelofen (mit glatten
Kacheln) heizen zu können.

Regelmäßig ist mich hier der Oberstock, doch habe ich auch in Krickerhüu
einige alte Häuser gesehen, die sich, wie in Müuichwies, mit einem Mittclstock
auf der einen Seite behalfen und dementsprechend auch das ungleiche Dach
zeigten. Der Oberstock ist niedrig, mit kleinen Fenstern versehen und enthält
die Schlafkammern der verheirateten Paare, während die auf der andern Seite
der Hausflur befindlichen Kammern zur Aufbewahrung von Erdäpfeln und
andern Vorräten dienen. Einen Umgang um den zweiten Stock, wie in Gaidel,
habe ich hier nicht gesehen, dagegen läuft über dem Erdgeschosse her el» eben¬
solches Vvrdächcl von Schindeln, wie wir es in Müuichwies an der Giebelseite
gesehen haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/120>, abgerufen am 19.10.2024.