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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Land und Leute in Bulgarien.

Dampfbooten befahren werden könnten. An Landseen sind folgende der Er¬
wähnung wert: der Dewna Jesero bei Varna, der Atanaskoje, der Wajaköj
und der Atrianu Jesero bei Burgas, die Lagune Solcuoje bei Auchioli am
Schwarzen Meere, die Seengruppe der Straldscha zwischen Karnabad und
Jamboli und der See von Swischtow nicht weit von der Donau, die auch bei
Nustschuk und Silistria solche Wasserbecken neben sich hat.

Was die bulgarische Fauna betrifft, so finden sich hier außer unsern Jagdtieren
auch Bären und Wölfe und auf den höchsten Gipfeln des Balkans Gemsen und Stein¬
böcke. Die Seen wimmeln von wilden Enten und Gänsen, Reihern, Schnepfen,
Störchen und Pelikanen. Die Donau liefert den Fischern reichen Fang, und in den
kleinern Flüssen giebt es Forellen und Krebse in Menge. Die Flora ist ebenfalls
nicht arm, indem sie im Süden auch subtropische Arten umfaßt, z. V. den Oliven¬
baum, die Edelkastanie, die Platane und den Sumach. Die Wälder enthalten,
obwohl sie Leichtsinn und Unverstand hin und wieder stark verwüstet haben,
größtenteils noch schöne Bestände, auch an Nutzhölzern. Von dem gesamten
für den Ackerbau geeigneten Areal des Landes ist gegenwärtig kaum der dritte
Teil unter dem Pfluge, und doch erzielt Bulgarien, da weite Strecken desselben
von Natur äußerst fruchtbar sind, verhältnismäßig eine sehr große Menge von
Getreide. Es würde aber davon noch weit mehr auf den Markt liefern können,
wenn vernünftige Bodenkultur auch die jetzt unbebauten Teile der Ebenen und
Thäler der Landwirtschaft dienstbar gemacht hätte. Wäre dies der Fall und
wäre zweitens für billige Verkehrsmittel, gute Fahrstraßen und ein Netz von
Eisenbahnen gesorgt, so vermöchte das Land eine mindestens dreimal stärkere
Bevölkerung zu ernähren und wenigstens doppelt soviel Korn auszuführen. Wenn
viele Gegenden an Wassermangel leiden, sodaß die dortigen Dörfer verlassen
werden mußten, so ließe sich dem durch Abdämmuugen und Berieselungen
wenigstens teilweise abhelfen, und anderwärts könnte man künstliche Brunnen
anlegen. Vor allem aber müßte für Schonung der Wälder gesorgt werden,
deren Vernachlässigung die Hauptschuld trägt, wenn die Gewässer im Sommer
einen niedrigen Stand zeigen und der fette Lehmboden austrocknet. Besonders
in dem ungemein fruchtbaren Thalkessel Ostrumeliens ließe sich in jenen Be¬
ziehungen viel erreichen. Aber bis jetzt ist wenig geschehen. Der Bauer ist
an sich allem neuen in der Landwirtschaft abhold, er beharrt bei dem her¬
kömmlichen Schlendrian, er betrachtet den Fortschritt mit Mißtrauen, und da¬
neben wirkt bei ihm die Erinnerung an die türkische Zeit fort, wo er nur das
Notwendigste baute, weil ihm jeder Überschuß, der zur Kenntnis der Beamten
des Paschas gelangte, in der Regel weggenommen wurde. Die Regierung aber
behielt bei ihrer steten Beschäftigung mit politischen Angelegenheiten, Minister¬
krisen, Wahlen für das ordentliche und außerordentliche Sobranje, Beaufsich¬
tigung und Ersetzung oppositioneller Amtleute, Zänkereien mit Serbien und
ähnlichen Dingen nicht viel Zeit übrig, an volkswirtschaftliche Fragen zu denken.


Land und Leute in Bulgarien.

Dampfbooten befahren werden könnten. An Landseen sind folgende der Er¬
wähnung wert: der Dewna Jesero bei Varna, der Atanaskoje, der Wajaköj
und der Atrianu Jesero bei Burgas, die Lagune Solcuoje bei Auchioli am
Schwarzen Meere, die Seengruppe der Straldscha zwischen Karnabad und
Jamboli und der See von Swischtow nicht weit von der Donau, die auch bei
Nustschuk und Silistria solche Wasserbecken neben sich hat.

Was die bulgarische Fauna betrifft, so finden sich hier außer unsern Jagdtieren
auch Bären und Wölfe und auf den höchsten Gipfeln des Balkans Gemsen und Stein¬
böcke. Die Seen wimmeln von wilden Enten und Gänsen, Reihern, Schnepfen,
Störchen und Pelikanen. Die Donau liefert den Fischern reichen Fang, und in den
kleinern Flüssen giebt es Forellen und Krebse in Menge. Die Flora ist ebenfalls
nicht arm, indem sie im Süden auch subtropische Arten umfaßt, z. V. den Oliven¬
baum, die Edelkastanie, die Platane und den Sumach. Die Wälder enthalten,
obwohl sie Leichtsinn und Unverstand hin und wieder stark verwüstet haben,
größtenteils noch schöne Bestände, auch an Nutzhölzern. Von dem gesamten
für den Ackerbau geeigneten Areal des Landes ist gegenwärtig kaum der dritte
Teil unter dem Pfluge, und doch erzielt Bulgarien, da weite Strecken desselben
von Natur äußerst fruchtbar sind, verhältnismäßig eine sehr große Menge von
Getreide. Es würde aber davon noch weit mehr auf den Markt liefern können,
wenn vernünftige Bodenkultur auch die jetzt unbebauten Teile der Ebenen und
Thäler der Landwirtschaft dienstbar gemacht hätte. Wäre dies der Fall und
wäre zweitens für billige Verkehrsmittel, gute Fahrstraßen und ein Netz von
Eisenbahnen gesorgt, so vermöchte das Land eine mindestens dreimal stärkere
Bevölkerung zu ernähren und wenigstens doppelt soviel Korn auszuführen. Wenn
viele Gegenden an Wassermangel leiden, sodaß die dortigen Dörfer verlassen
werden mußten, so ließe sich dem durch Abdämmuugen und Berieselungen
wenigstens teilweise abhelfen, und anderwärts könnte man künstliche Brunnen
anlegen. Vor allem aber müßte für Schonung der Wälder gesorgt werden,
deren Vernachlässigung die Hauptschuld trägt, wenn die Gewässer im Sommer
einen niedrigen Stand zeigen und der fette Lehmboden austrocknet. Besonders
in dem ungemein fruchtbaren Thalkessel Ostrumeliens ließe sich in jenen Be¬
ziehungen viel erreichen. Aber bis jetzt ist wenig geschehen. Der Bauer ist
an sich allem neuen in der Landwirtschaft abhold, er beharrt bei dem her¬
kömmlichen Schlendrian, er betrachtet den Fortschritt mit Mißtrauen, und da¬
neben wirkt bei ihm die Erinnerung an die türkische Zeit fort, wo er nur das
Notwendigste baute, weil ihm jeder Überschuß, der zur Kenntnis der Beamten
des Paschas gelangte, in der Regel weggenommen wurde. Die Regierung aber
behielt bei ihrer steten Beschäftigung mit politischen Angelegenheiten, Minister¬
krisen, Wahlen für das ordentliche und außerordentliche Sobranje, Beaufsich¬
tigung und Ersetzung oppositioneller Amtleute, Zänkereien mit Serbien und
ähnlichen Dingen nicht viel Zeit übrig, an volkswirtschaftliche Fragen zu denken.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/108>, abgerufen am 27.09.2024.