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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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an das sich unten einige Schindellagen anschließen. Das Äußere des Gebäudes
fällt außer durch die hochreichende Wandfläche auf durch das merkwürdige Aus¬
sehen der Giebelseite. Der sonst nur mit senkrechten Brettern verschlagene Giebel
hat nämlich einen nur etwa einen Meter langen Walmansatz, das schon von
Schröer in seiner Beschreibung des Gaidler Hauses bemerkte "Thürmel," das
wohl den Zweck haben soll, die untern Bretter zu schirmen. Den gleichen Zweck
strebt ein kurzes, vorspringendes Schutzdach an, welches diese Giebelbrettcr von
den unten anstoßenden Wandbalken der Giebelseite trennt, ein Vordach, das ich
mich erinnere auch in den slowakischen Dörfern bei Sillcin gesehen zu haben.

Ich habe bei der Beschreibung dieses Mttnichwieser Hauses etwas ver¬
weilt, weil es das erste Geschlechtshaus war, das ich sah, zugleich eines der
ältesten und nebenbei das einzige, welches ich Gelegenheit fand so genau zu
besichtigen. Das Haus ist indes noch aus einem besondern Grunde merkwürdig.
Es unterscheidet sich von dem Bau in allen andern deutschen Dörfern durch
die Annäherung an slowakische Art, einmal in der Einrichtung der "schwarzen
Stube" mit Herd nud "Rauchofen," eine Benennung, die sie mit demselben
Rechte führt wie die tMQoi'UH'g, Mg. der Russen, und vielleicht in der Eiu-
stöckigkeit, denn in allen andern Haudörfern, die ich gesehen, haben die Häuser
regelmäßig zwei volle Stock. Indes darf man nicht vergessen, daß ich in
Münichwies mir dies eine alte Haus gesehen habe und daher nicht dafür ein¬
stehen kann, daß es in allen Stücken den ortsüblichen Typus wiedergiebt.
Da ich späterhin auch in Krickerhciu ähnliche einstöckige Hänser bemerkte, ist es
wahrscheinlicher, daß diese Abart eine durch Armut der Besitzer bedingte Ver¬
kümmerung darstellt oder daß sie als der letzte Nest einer frühern einfachern
Bauweise, eine Übergaugsform aus dem einstöckigen Bau anzusehen ist.

Die Nachmittcigsstnnde war schon vorgerückt, als ich den im Westen des
Ortes ansteigende" Berg auf einem Fußpfade überschritt und unten wieder auf
die neue Straße traf, die in zweiundeinhalb Stunden von singers Wirtshaus
durch stilles Waldgelände nach Gaidel führt. Der kühlere Hauch des Abends
machte sich wohlthuend bemerklich, als ich die ersten Häuser erreicht hatte und
die lange Zeile des Dorfes aufmerksam nach beiden Seiten spähend abzuschreiten
begann, wobei mir vor allem auffiel, daß in Gnidel noch überall die alten
Häuser erhalten waren. Vorn im Dorfe traf ich einen alten Bauer vor seinem
Hause stehen, dessen ganze Erscheinung meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
Eine milde, fast kindliche Freundlichkeit sprach aus seinen offenen Zügen nud
seinen klaren, hellblauen Augen, während die graue", auf den Rock fallenden
Locken und die schön geschwungene Nase seinem Gesicht einen Ausdruck von
Würde, ja fast von Adel gaben, den man bei unsern Bauern selten findet und
der in auffallendem Gegensatze stand zu seiner mehr als dürftigen Kleidung.
Er trug das gewöhnliche Arbeitsgewand der deutschen Bauern, eine bequeme
Weiße Linnenhosc, die um deu Leib geschnürt wird, und ein nicht über, sondern


an das sich unten einige Schindellagen anschließen. Das Äußere des Gebäudes
fällt außer durch die hochreichende Wandfläche auf durch das merkwürdige Aus¬
sehen der Giebelseite. Der sonst nur mit senkrechten Brettern verschlagene Giebel
hat nämlich einen nur etwa einen Meter langen Walmansatz, das schon von
Schröer in seiner Beschreibung des Gaidler Hauses bemerkte „Thürmel," das
wohl den Zweck haben soll, die untern Bretter zu schirmen. Den gleichen Zweck
strebt ein kurzes, vorspringendes Schutzdach an, welches diese Giebelbrettcr von
den unten anstoßenden Wandbalken der Giebelseite trennt, ein Vordach, das ich
mich erinnere auch in den slowakischen Dörfern bei Sillcin gesehen zu haben.

Ich habe bei der Beschreibung dieses Mttnichwieser Hauses etwas ver¬
weilt, weil es das erste Geschlechtshaus war, das ich sah, zugleich eines der
ältesten und nebenbei das einzige, welches ich Gelegenheit fand so genau zu
besichtigen. Das Haus ist indes noch aus einem besondern Grunde merkwürdig.
Es unterscheidet sich von dem Bau in allen andern deutschen Dörfern durch
die Annäherung an slowakische Art, einmal in der Einrichtung der „schwarzen
Stube" mit Herd nud „Rauchofen," eine Benennung, die sie mit demselben
Rechte führt wie die tMQoi'UH'g, Mg. der Russen, und vielleicht in der Eiu-
stöckigkeit, denn in allen andern Haudörfern, die ich gesehen, haben die Häuser
regelmäßig zwei volle Stock. Indes darf man nicht vergessen, daß ich in
Münichwies mir dies eine alte Haus gesehen habe und daher nicht dafür ein¬
stehen kann, daß es in allen Stücken den ortsüblichen Typus wiedergiebt.
Da ich späterhin auch in Krickerhciu ähnliche einstöckige Hänser bemerkte, ist es
wahrscheinlicher, daß diese Abart eine durch Armut der Besitzer bedingte Ver¬
kümmerung darstellt oder daß sie als der letzte Nest einer frühern einfachern
Bauweise, eine Übergaugsform aus dem einstöckigen Bau anzusehen ist.

Die Nachmittcigsstnnde war schon vorgerückt, als ich den im Westen des
Ortes ansteigende» Berg auf einem Fußpfade überschritt und unten wieder auf
die neue Straße traf, die in zweiundeinhalb Stunden von singers Wirtshaus
durch stilles Waldgelände nach Gaidel führt. Der kühlere Hauch des Abends
machte sich wohlthuend bemerklich, als ich die ersten Häuser erreicht hatte und
die lange Zeile des Dorfes aufmerksam nach beiden Seiten spähend abzuschreiten
begann, wobei mir vor allem auffiel, daß in Gnidel noch überall die alten
Häuser erhalten waren. Vorn im Dorfe traf ich einen alten Bauer vor seinem
Hause stehen, dessen ganze Erscheinung meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
Eine milde, fast kindliche Freundlichkeit sprach aus seinen offenen Zügen nud
seinen klaren, hellblauen Augen, während die graue«, auf den Rock fallenden
Locken und die schön geschwungene Nase seinem Gesicht einen Ausdruck von
Würde, ja fast von Adel gaben, den man bei unsern Bauern selten findet und
der in auffallendem Gegensatze stand zu seiner mehr als dürftigen Kleidung.
Er trug das gewöhnliche Arbeitsgewand der deutschen Bauern, eine bequeme
Weiße Linnenhosc, die um deu Leib geschnürt wird, und ein nicht über, sondern


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[0605] an das sich unten einige Schindellagen anschließen. Das Äußere des Gebäudes fällt außer durch die hochreichende Wandfläche auf durch das merkwürdige Aus¬ sehen der Giebelseite. Der sonst nur mit senkrechten Brettern verschlagene Giebel hat nämlich einen nur etwa einen Meter langen Walmansatz, das schon von Schröer in seiner Beschreibung des Gaidler Hauses bemerkte „Thürmel," das wohl den Zweck haben soll, die untern Bretter zu schirmen. Den gleichen Zweck strebt ein kurzes, vorspringendes Schutzdach an, welches diese Giebelbrettcr von den unten anstoßenden Wandbalken der Giebelseite trennt, ein Vordach, das ich mich erinnere auch in den slowakischen Dörfern bei Sillcin gesehen zu haben. Ich habe bei der Beschreibung dieses Mttnichwieser Hauses etwas ver¬ weilt, weil es das erste Geschlechtshaus war, das ich sah, zugleich eines der ältesten und nebenbei das einzige, welches ich Gelegenheit fand so genau zu besichtigen. Das Haus ist indes noch aus einem besondern Grunde merkwürdig. Es unterscheidet sich von dem Bau in allen andern deutschen Dörfern durch die Annäherung an slowakische Art, einmal in der Einrichtung der „schwarzen Stube" mit Herd nud „Rauchofen," eine Benennung, die sie mit demselben Rechte führt wie die tMQoi'UH'g, Mg. der Russen, und vielleicht in der Eiu- stöckigkeit, denn in allen andern Haudörfern, die ich gesehen, haben die Häuser regelmäßig zwei volle Stock. Indes darf man nicht vergessen, daß ich in Münichwies mir dies eine alte Haus gesehen habe und daher nicht dafür ein¬ stehen kann, daß es in allen Stücken den ortsüblichen Typus wiedergiebt. Da ich späterhin auch in Krickerhciu ähnliche einstöckige Hänser bemerkte, ist es wahrscheinlicher, daß diese Abart eine durch Armut der Besitzer bedingte Ver¬ kümmerung darstellt oder daß sie als der letzte Nest einer frühern einfachern Bauweise, eine Übergaugsform aus dem einstöckigen Bau anzusehen ist. Die Nachmittcigsstnnde war schon vorgerückt, als ich den im Westen des Ortes ansteigende» Berg auf einem Fußpfade überschritt und unten wieder auf die neue Straße traf, die in zweiundeinhalb Stunden von singers Wirtshaus durch stilles Waldgelände nach Gaidel führt. Der kühlere Hauch des Abends machte sich wohlthuend bemerklich, als ich die ersten Häuser erreicht hatte und die lange Zeile des Dorfes aufmerksam nach beiden Seiten spähend abzuschreiten begann, wobei mir vor allem auffiel, daß in Gnidel noch überall die alten Häuser erhalten waren. Vorn im Dorfe traf ich einen alten Bauer vor seinem Hause stehen, dessen ganze Erscheinung meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Eine milde, fast kindliche Freundlichkeit sprach aus seinen offenen Zügen nud seinen klaren, hellblauen Augen, während die graue«, auf den Rock fallenden Locken und die schön geschwungene Nase seinem Gesicht einen Ausdruck von Würde, ja fast von Adel gaben, den man bei unsern Bauern selten findet und der in auffallendem Gegensatze stand zu seiner mehr als dürftigen Kleidung. Er trug das gewöhnliche Arbeitsgewand der deutschen Bauern, eine bequeme Weiße Linnenhosc, die um deu Leib geschnürt wird, und ein nicht über, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/605>, abgerufen am 22.07.2024.