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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Schwur- und Schöffengerichte.

Rechtsgelehrten übertragen. Warum man diese Trennung vorgenommen hat,
ist nicht recht einzusehen, es läßt sich nur dadurch erklären, daß man in diesem
Teil der Strafrechtspflege nicht von rein sachlichen Erwägungen ausging,
sondern die politischen Rücksichten auf das Schwurgericht walten ließ. Denn
es ist doch keinem Zweifel unterworfen, daß die den Geschwornen übertragene
Feststellung der Schuld und der strafrechtlichen Verantwortlichkeit und das
Urteil hierüber die Entscheidung über zahlreiche rechtliche Momente in sich
schließt. Man denke an die Frage der Zurechnungsfühigkeit, an den Einwand
des Irrtums, die Notwehr u. s. w. Das Gesetz kann sodann nicht vermeiden,
bei seinen Geboten und Verboten Ausdrücke zu gebrauchen, die eine technisch¬
juristische Bedeutung haben. Das Gesetz spricht von einem gegenwärtigen
rechtswidrigen Begriffe als Voraussetzung rechter Notwehr; es spricht von
widerrechtlichen Einsperren, von rechtswidriger Zueignung. Die Ausdrücke:
Rechtswidrigkeit und Widerrechtlichkeit werden in diesen, wie in zahlreichen
andern Beziehungen gebraucht, ohne daß uns der Gesetzgeber sagt, was darunter
zu verstehen sei. Die Begriffe: umschlossener Raum, Einbruch, Einsteigen,
Waffen sind stehende Ausdrücke in den Bestimmungen über den Diebstahl.
Die Ausdrücke Unbescholtenheit, Unzucht, Gewerbsmäßigkeit werden ohne Er¬
läuterung gebraucht. Der Gesetzgeber greift mit solchen Ausdrücken eine Mehr¬
heit von Willensvorgängen, Zuständen, Eigenschaften oder äußern Erscheinungen
auf einmal. Es ist das kein Fehler des Gesetzes, denn der Gesetzgeber kann
sich unmöglich auf eine Umschreibung und Erläuterung aller von ihm gebrauchten
Begriffe einlassen. Er würde sonst in eine schwerfällige, seinem Willen doch
nicht genau Ausdruck gebende Sprachweise verfallen, die sich bald als zu eng,
bald als zu weit erweist. Zeuge dafür sind die deutschen Strafgesetzbücher aus
der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, von welchen sich unser neues deutsches
Strafgesetzbuch durch seine kurze und bündige Sprache, welche Definitionen fast
gänzlich vermeidet, äußerst vorteilhaft unterscheidet. Wie aber der Gesetzgeber
den Gebrauch von juristisch-technischen Ausdrücken nicht entbehren kann, ebenso
ist es deu Parteien und dem Gerichte unmöglich, sie in der Fragestellung zu
vermeiden. Die Fragen, welche auf die Feststellung des gesetzlichen That¬
bestandes abzielen, würden sonst an denselben Fehlern leiden, an denen die
früheren Gesetzbücher tränkten. Sie würden zu umfangreich und schwerfällig
werden. Die deutsche Strafprozeßordnung verlangt denn auch im Z 293, daß
die gestellte Frage die dem Angeklagten zur Last gelegte That nach ihren gesetz¬
lichen Merkmalen und uuter Hervorhebung der zu ihrer Unterscheidung erforder¬
lichen Umstände bezeichnen müsse. Und mit Recht, denn wenn in andern
deutschen Gesetzgebungen vorgeschrieben war, daß Rechtsbegriffe möglichst ver¬
mieden und auf das entsprechende thatsächliche Verhältnis zurückgeführt werden
sollten, so bergen solche Umschreibungen die Gefahr in sich, daß dem gesetzlichen
Begriffe Merkmale untergelegt werden, welche ihn nicht decken.


Schwur- und Schöffengerichte.

Rechtsgelehrten übertragen. Warum man diese Trennung vorgenommen hat,
ist nicht recht einzusehen, es läßt sich nur dadurch erklären, daß man in diesem
Teil der Strafrechtspflege nicht von rein sachlichen Erwägungen ausging,
sondern die politischen Rücksichten auf das Schwurgericht walten ließ. Denn
es ist doch keinem Zweifel unterworfen, daß die den Geschwornen übertragene
Feststellung der Schuld und der strafrechtlichen Verantwortlichkeit und das
Urteil hierüber die Entscheidung über zahlreiche rechtliche Momente in sich
schließt. Man denke an die Frage der Zurechnungsfühigkeit, an den Einwand
des Irrtums, die Notwehr u. s. w. Das Gesetz kann sodann nicht vermeiden,
bei seinen Geboten und Verboten Ausdrücke zu gebrauchen, die eine technisch¬
juristische Bedeutung haben. Das Gesetz spricht von einem gegenwärtigen
rechtswidrigen Begriffe als Voraussetzung rechter Notwehr; es spricht von
widerrechtlichen Einsperren, von rechtswidriger Zueignung. Die Ausdrücke:
Rechtswidrigkeit und Widerrechtlichkeit werden in diesen, wie in zahlreichen
andern Beziehungen gebraucht, ohne daß uns der Gesetzgeber sagt, was darunter
zu verstehen sei. Die Begriffe: umschlossener Raum, Einbruch, Einsteigen,
Waffen sind stehende Ausdrücke in den Bestimmungen über den Diebstahl.
Die Ausdrücke Unbescholtenheit, Unzucht, Gewerbsmäßigkeit werden ohne Er¬
läuterung gebraucht. Der Gesetzgeber greift mit solchen Ausdrücken eine Mehr¬
heit von Willensvorgängen, Zuständen, Eigenschaften oder äußern Erscheinungen
auf einmal. Es ist das kein Fehler des Gesetzes, denn der Gesetzgeber kann
sich unmöglich auf eine Umschreibung und Erläuterung aller von ihm gebrauchten
Begriffe einlassen. Er würde sonst in eine schwerfällige, seinem Willen doch
nicht genau Ausdruck gebende Sprachweise verfallen, die sich bald als zu eng,
bald als zu weit erweist. Zeuge dafür sind die deutschen Strafgesetzbücher aus
der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, von welchen sich unser neues deutsches
Strafgesetzbuch durch seine kurze und bündige Sprache, welche Definitionen fast
gänzlich vermeidet, äußerst vorteilhaft unterscheidet. Wie aber der Gesetzgeber
den Gebrauch von juristisch-technischen Ausdrücken nicht entbehren kann, ebenso
ist es deu Parteien und dem Gerichte unmöglich, sie in der Fragestellung zu
vermeiden. Die Fragen, welche auf die Feststellung des gesetzlichen That¬
bestandes abzielen, würden sonst an denselben Fehlern leiden, an denen die
früheren Gesetzbücher tränkten. Sie würden zu umfangreich und schwerfällig
werden. Die deutsche Strafprozeßordnung verlangt denn auch im Z 293, daß
die gestellte Frage die dem Angeklagten zur Last gelegte That nach ihren gesetz¬
lichen Merkmalen und uuter Hervorhebung der zu ihrer Unterscheidung erforder¬
lichen Umstände bezeichnen müsse. Und mit Recht, denn wenn in andern
deutschen Gesetzgebungen vorgeschrieben war, daß Rechtsbegriffe möglichst ver¬
mieden und auf das entsprechende thatsächliche Verhältnis zurückgeführt werden
sollten, so bergen solche Umschreibungen die Gefahr in sich, daß dem gesetzlichen
Begriffe Merkmale untergelegt werden, welche ihn nicht decken.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/597>, abgerufen am 22.07.2024.