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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Poetik der Renaissance.

französischen (noch aus Malherbe stammenden), den italienischen und den neu-
französischen (Vvileanschen) Einflüssen. Alles das und dabei das erfolgreiche
Streben nach strengster und umfassender wissenschaftlicher Begründung stellen
die günstige Wirkung des vortrefflichen Buches in wissenschaftlichen und in
solchen Kreisen, die fähig sind, dem Verfasser genan zu folgen und scharf zu
unterscheiden, außer Zweifel. Für andre Kreise, und namentlich für die ästhe¬
tische und üsthctisirendc Tagespresse, welche Arbeiten wie die Borinskis zwar
nicht würdigt, aber gelegentlich benutzt und ausbeutet, hätte sich eine schärfere,
oder sagen wir besser wiederholte Betonung gewisser Punkte empfohlen. Der
Verfasser der "Poetik der Renaissance" weiß natürlich ganz genau, wie fern
diese Poetik, die deutsche Poetik zumal, den Grieche,, und der Grundlage aller
griechischen Dichtung, der lebendigen Natur und dem lebensvollen Vvlksdasein
gestanden hat, wie vorwiegend und überstark sie von der römischen Kunstpoesie be¬
einflußt worden ist. Wenn Borinski sich mit Recht darauf berufen darf, daß die
Aufänge der aus der "Poetik der Renaissance" erwachsenen literarischen Kritik
der römischen, schon einigermaßen akademischen Dichtung näher stehen als der
griechischen Poesie, so ist ihm doch nicht verborgen, daß der wahrhaft heil¬
bringende und glückliche Einfluß des Altertums immer in dem Maße wuchs,
als mau Homer und den attischen Dramatikern näher kam. Die "Klarheit der
Antike" ergab sich nicht schlechthin ans dem Studium der römische" Dichter,
und wenn Borinski alle moderne Dichtung durch das Studium der antiken
Literatur belehrt und in ihrer Nachahmung befangen nennt, so würde es glück¬
licher wirken, wenn er hier und überall die notwendige und unerläßliche Be¬
lehrung von der befangenen Nachahmung scharf und streng schiebe. Die natu¬
ralistischen Bemühungen, deu lebenspendcuden Born des Altertums zu verschütten,
sind im Kern so sinnlos, als sie trostlos sind, aber es wäre gefährlich, ihnen
jedwede von der Antike abstammende, zu ihr in irgend welche Beziehung gesetzte
Literaturbenüihnng entgegenstellen zu wollen. Nur diejenige", welche empfanden
und erkannten, daß ein mächtiges, mannichfaltiges, künstlerische Gestaltung hei¬
schendes Leben hinter der antiken Kunst stand, die diese Erkenntnis zu dem sie
selbst umwogenden Leben in Beziehung zu setze" verstände", haben wahrhaft ans
dem Juugbrunncn des Altertums zu schöpfen vermocht. Und dies gilt in be¬
schränkterem Sinne ebensowohl vom französischen Klassizismus wie im weiteren
und größeren von Lessing, Goethe und Schiller. Weist nun Borinski mit "n-
gcmcincr Spürkraft und seltener Kenntnis der glücklichsten Anläufe der deutscheu
Nenaissancepocsie nach, daß dieselbe dieser Erkenntnis und einem wahrhaften,
lebendigen Inhalte nicht so völlig fremd und fern gewesen sei, wie es den Nach¬
lebenden auf den ersten Blick erscheinen will, so ist er doch außer stände, den
widerwärtigen Gesamteindruck hinwegzudisputircn, den die rhetorische Un¬
wahrheit und die akademischen Exerzitien dieser Literatur ans uns hervor¬
bringen. Und wenn anch gewisse Anschauungen, gewisse theoretische Ein-


Die Poetik der Renaissance.

französischen (noch aus Malherbe stammenden), den italienischen und den neu-
französischen (Vvileanschen) Einflüssen. Alles das und dabei das erfolgreiche
Streben nach strengster und umfassender wissenschaftlicher Begründung stellen
die günstige Wirkung des vortrefflichen Buches in wissenschaftlichen und in
solchen Kreisen, die fähig sind, dem Verfasser genan zu folgen und scharf zu
unterscheiden, außer Zweifel. Für andre Kreise, und namentlich für die ästhe¬
tische und üsthctisirendc Tagespresse, welche Arbeiten wie die Borinskis zwar
nicht würdigt, aber gelegentlich benutzt und ausbeutet, hätte sich eine schärfere,
oder sagen wir besser wiederholte Betonung gewisser Punkte empfohlen. Der
Verfasser der „Poetik der Renaissance" weiß natürlich ganz genau, wie fern
diese Poetik, die deutsche Poetik zumal, den Grieche,, und der Grundlage aller
griechischen Dichtung, der lebendigen Natur und dem lebensvollen Vvlksdasein
gestanden hat, wie vorwiegend und überstark sie von der römischen Kunstpoesie be¬
einflußt worden ist. Wenn Borinski sich mit Recht darauf berufen darf, daß die
Aufänge der aus der „Poetik der Renaissance" erwachsenen literarischen Kritik
der römischen, schon einigermaßen akademischen Dichtung näher stehen als der
griechischen Poesie, so ist ihm doch nicht verborgen, daß der wahrhaft heil¬
bringende und glückliche Einfluß des Altertums immer in dem Maße wuchs,
als mau Homer und den attischen Dramatikern näher kam. Die „Klarheit der
Antike" ergab sich nicht schlechthin ans dem Studium der römische» Dichter,
und wenn Borinski alle moderne Dichtung durch das Studium der antiken
Literatur belehrt und in ihrer Nachahmung befangen nennt, so würde es glück¬
licher wirken, wenn er hier und überall die notwendige und unerläßliche Be¬
lehrung von der befangenen Nachahmung scharf und streng schiebe. Die natu¬
ralistischen Bemühungen, deu lebenspendcuden Born des Altertums zu verschütten,
sind im Kern so sinnlos, als sie trostlos sind, aber es wäre gefährlich, ihnen
jedwede von der Antike abstammende, zu ihr in irgend welche Beziehung gesetzte
Literaturbenüihnng entgegenstellen zu wollen. Nur diejenige», welche empfanden
und erkannten, daß ein mächtiges, mannichfaltiges, künstlerische Gestaltung hei¬
schendes Leben hinter der antiken Kunst stand, die diese Erkenntnis zu dem sie
selbst umwogenden Leben in Beziehung zu setze» verstände», haben wahrhaft ans
dem Juugbrunncn des Altertums zu schöpfen vermocht. Und dies gilt in be¬
schränkterem Sinne ebensowohl vom französischen Klassizismus wie im weiteren
und größeren von Lessing, Goethe und Schiller. Weist nun Borinski mit »n-
gcmcincr Spürkraft und seltener Kenntnis der glücklichsten Anläufe der deutscheu
Nenaissancepocsie nach, daß dieselbe dieser Erkenntnis und einem wahrhaften,
lebendigen Inhalte nicht so völlig fremd und fern gewesen sei, wie es den Nach¬
lebenden auf den ersten Blick erscheinen will, so ist er doch außer stände, den
widerwärtigen Gesamteindruck hinwegzudisputircn, den die rhetorische Un¬
wahrheit und die akademischen Exerzitien dieser Literatur ans uns hervor¬
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[0560] Die Poetik der Renaissance. französischen (noch aus Malherbe stammenden), den italienischen und den neu- französischen (Vvileanschen) Einflüssen. Alles das und dabei das erfolgreiche Streben nach strengster und umfassender wissenschaftlicher Begründung stellen die günstige Wirkung des vortrefflichen Buches in wissenschaftlichen und in solchen Kreisen, die fähig sind, dem Verfasser genan zu folgen und scharf zu unterscheiden, außer Zweifel. Für andre Kreise, und namentlich für die ästhe¬ tische und üsthctisirendc Tagespresse, welche Arbeiten wie die Borinskis zwar nicht würdigt, aber gelegentlich benutzt und ausbeutet, hätte sich eine schärfere, oder sagen wir besser wiederholte Betonung gewisser Punkte empfohlen. Der Verfasser der „Poetik der Renaissance" weiß natürlich ganz genau, wie fern diese Poetik, die deutsche Poetik zumal, den Grieche,, und der Grundlage aller griechischen Dichtung, der lebendigen Natur und dem lebensvollen Vvlksdasein gestanden hat, wie vorwiegend und überstark sie von der römischen Kunstpoesie be¬ einflußt worden ist. Wenn Borinski sich mit Recht darauf berufen darf, daß die Aufänge der aus der „Poetik der Renaissance" erwachsenen literarischen Kritik der römischen, schon einigermaßen akademischen Dichtung näher stehen als der griechischen Poesie, so ist ihm doch nicht verborgen, daß der wahrhaft heil¬ bringende und glückliche Einfluß des Altertums immer in dem Maße wuchs, als mau Homer und den attischen Dramatikern näher kam. Die „Klarheit der Antike" ergab sich nicht schlechthin ans dem Studium der römische» Dichter, und wenn Borinski alle moderne Dichtung durch das Studium der antiken Literatur belehrt und in ihrer Nachahmung befangen nennt, so würde es glück¬ licher wirken, wenn er hier und überall die notwendige und unerläßliche Be¬ lehrung von der befangenen Nachahmung scharf und streng schiebe. Die natu¬ ralistischen Bemühungen, deu lebenspendcuden Born des Altertums zu verschütten, sind im Kern so sinnlos, als sie trostlos sind, aber es wäre gefährlich, ihnen jedwede von der Antike abstammende, zu ihr in irgend welche Beziehung gesetzte Literaturbenüihnng entgegenstellen zu wollen. Nur diejenige», welche empfanden und erkannten, daß ein mächtiges, mannichfaltiges, künstlerische Gestaltung hei¬ schendes Leben hinter der antiken Kunst stand, die diese Erkenntnis zu dem sie selbst umwogenden Leben in Beziehung zu setze» verstände», haben wahrhaft ans dem Juugbrunncn des Altertums zu schöpfen vermocht. Und dies gilt in be¬ schränkterem Sinne ebensowohl vom französischen Klassizismus wie im weiteren und größeren von Lessing, Goethe und Schiller. Weist nun Borinski mit »n- gcmcincr Spürkraft und seltener Kenntnis der glücklichsten Anläufe der deutscheu Nenaissancepocsie nach, daß dieselbe dieser Erkenntnis und einem wahrhaften, lebendigen Inhalte nicht so völlig fremd und fern gewesen sei, wie es den Nach¬ lebenden auf den ersten Blick erscheinen will, so ist er doch außer stände, den widerwärtigen Gesamteindruck hinwegzudisputircn, den die rhetorische Un¬ wahrheit und die akademischen Exerzitien dieser Literatur ans uns hervor¬ bringen. Und wenn anch gewisse Anschauungen, gewisse theoretische Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/560>, abgerufen am 22.07.2024.