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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Herr auf die Arbeit drückt, wenn nicht große Flächen unproduktive" Zwecken
dienen müssen nud Maugel an Arbeitern die Ursache ist, daß beträchtliche
Strecken unnötiger Bräche oder spärlicher Beweidnng verfallen. Es wird sich
zeigen, daß solche Ansiedler sehr wenig von dem Niedergange der Getreidepreise
berührt werden, weil sie das Meiste, was sie baue", mit ihren Familien und
dem Gesinde selbst verzehren oder zur Aussaat verbrauchen.

Wenn die Verwandlung der großen Güter in Baucrustellen im großen be¬
trieben würde, so würde es gelingen, dem bei Zunahme der Gesamtbevölkerung
wahrhaft beängstigenden Drängen der Landbevölkerung nach den Städten und
der Verödung des platten Landes zu steuern. Die Volkszählung vom Dezember
1885 giebt eine Zunahme ini ganzen von 3,9 Prozent; aber zwei Fünftel der
Preußischen Kreise, darunter 104 in den östlichen Provinzen, weisen einen Rück¬
gang der Volkszahl auf, und ähnlich ist es in andern Staaten.

Verdoppelung unsrer Volkszahl in fünfzig Jahren, Zurückbleiben der Be¬
wohner des platten Landes, unablässiges Drängen der Menschen nach den krank¬
haft wachsenden Städten, Fortdauer der industriellen Überproduktion und Not¬
lage der Landwirtschaft durch Maugel an Arbeitern -- das sind die Aussichten,
welche wir bei Anbauer der jetzigen Bodenverteilung und der Ausbeutung des
Monopols am Grundeigentum vor Augen haben. Ist es da nicht Pflicht,
jeden Vorschlag mit allein Ernste zu prüfen, der eine freundlichere Aussicht
verheißt? Wenn es möglich wäre, durch eine Reform des Monopols das
Grundeigentum von dein Krebsschaden der hohen und bis ins Unerträgliche
steigenden Gutspreise und damit die Wirtschaft von dem Drucke der Grundrente
zu befreien, wenn es gelänge, auf den großen Flächen, die jetzt nur wenige
Meuscheu und die meisten davon nur kümmerlich ernähren, einige Millionen Fa¬
milienväter anzusiedeln, die als behäbige Leute imstande wären, unsrer Industrie
>hre Überproduktion abzunehmen, würden damit nicht die bedenklichsten unsrer
^zucken Befürchtungen beseitigt sein? Mit Befremden würden die Enkel auf
unsre Zeit zurückblicken, wo man nicht wußte, das Volk zu ernähren, während
Nahrungsmittel und Verbrauchsgegeustäude im Überflüsse erzeugt wurden, wo
>nan Abnehmer unsrer Produkte mühsam im fernsten Auslande suchte, während
sie im Julnude in Fülle zu haben waren! Und wenn -- was Gott verhüte --
die Fortdauer der gegenwärtigen Zustände zu eiuer sozialen Katastrophe ge¬
führt haben sollte, müßten wir uns nicht von unsern Enkeln den Vorwurf
gefallen lassen, daß wir durch geistige Trägheit, durch Vorurteil und Befangen¬
heit in überkommenen Zuständen, während sich alles ringsum verändert hatte,
^nie untilgbare Schuld ans uns genommen hätten?

Darum sollen wir alles unbefangen lind ernstlich prüfen, was uns die
Laudliga vortragen wird. Sie möge unsers Wohlwollens versichert sein. Allein
sie möge bedenken, daß ihre Sache nicht gerade zu den einfachen gehört, die sich
ob"e weiteres dekretiren ließen. Man kann, wie ich es thue, zugeben, daß den


Herr auf die Arbeit drückt, wenn nicht große Flächen unproduktive» Zwecken
dienen müssen nud Maugel an Arbeitern die Ursache ist, daß beträchtliche
Strecken unnötiger Bräche oder spärlicher Beweidnng verfallen. Es wird sich
zeigen, daß solche Ansiedler sehr wenig von dem Niedergange der Getreidepreise
berührt werden, weil sie das Meiste, was sie baue», mit ihren Familien und
dem Gesinde selbst verzehren oder zur Aussaat verbrauchen.

Wenn die Verwandlung der großen Güter in Baucrustellen im großen be¬
trieben würde, so würde es gelingen, dem bei Zunahme der Gesamtbevölkerung
wahrhaft beängstigenden Drängen der Landbevölkerung nach den Städten und
der Verödung des platten Landes zu steuern. Die Volkszählung vom Dezember
1885 giebt eine Zunahme ini ganzen von 3,9 Prozent; aber zwei Fünftel der
Preußischen Kreise, darunter 104 in den östlichen Provinzen, weisen einen Rück¬
gang der Volkszahl auf, und ähnlich ist es in andern Staaten.

Verdoppelung unsrer Volkszahl in fünfzig Jahren, Zurückbleiben der Be¬
wohner des platten Landes, unablässiges Drängen der Menschen nach den krank¬
haft wachsenden Städten, Fortdauer der industriellen Überproduktion und Not¬
lage der Landwirtschaft durch Maugel an Arbeitern — das sind die Aussichten,
welche wir bei Anbauer der jetzigen Bodenverteilung und der Ausbeutung des
Monopols am Grundeigentum vor Augen haben. Ist es da nicht Pflicht,
jeden Vorschlag mit allein Ernste zu prüfen, der eine freundlichere Aussicht
verheißt? Wenn es möglich wäre, durch eine Reform des Monopols das
Grundeigentum von dein Krebsschaden der hohen und bis ins Unerträgliche
steigenden Gutspreise und damit die Wirtschaft von dem Drucke der Grundrente
zu befreien, wenn es gelänge, auf den großen Flächen, die jetzt nur wenige
Meuscheu und die meisten davon nur kümmerlich ernähren, einige Millionen Fa¬
milienväter anzusiedeln, die als behäbige Leute imstande wären, unsrer Industrie
>hre Überproduktion abzunehmen, würden damit nicht die bedenklichsten unsrer
^zucken Befürchtungen beseitigt sein? Mit Befremden würden die Enkel auf
unsre Zeit zurückblicken, wo man nicht wußte, das Volk zu ernähren, während
Nahrungsmittel und Verbrauchsgegeustäude im Überflüsse erzeugt wurden, wo
>nan Abnehmer unsrer Produkte mühsam im fernsten Auslande suchte, während
sie im Julnude in Fülle zu haben waren! Und wenn — was Gott verhüte —
die Fortdauer der gegenwärtigen Zustände zu eiuer sozialen Katastrophe ge¬
führt haben sollte, müßten wir uns nicht von unsern Enkeln den Vorwurf
gefallen lassen, daß wir durch geistige Trägheit, durch Vorurteil und Befangen¬
heit in überkommenen Zuständen, während sich alles ringsum verändert hatte,
^nie untilgbare Schuld ans uns genommen hätten?

Darum sollen wir alles unbefangen lind ernstlich prüfen, was uns die
Laudliga vortragen wird. Sie möge unsers Wohlwollens versichert sein. Allein
sie möge bedenken, daß ihre Sache nicht gerade zu den einfachen gehört, die sich
ob»e weiteres dekretiren ließen. Man kann, wie ich es thue, zugeben, daß den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/555>, abgerufen am 24.08.2024.