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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Bulgarien und sein Fürst.

wenn alle Mittel der Versöhnlichkeit gegenüber den Liberalen erschöpft seien,
nicht in den Weg zu treten, den er vorhabe. Auch Gladstone wurde ange¬
gangen, in eine Verfassnngsvcrnnderung zu willigen, lehnte dies aber entschieden
ab. Die neuen Wahlen fielen wieder nicht günstig für die Regierung aus, und
als der Fürst am 4. April das Sobrauje eröffnete, saßen in demselben 138 Li¬
berale und nur 32 Konservative. Die Minister erbaten sich jetzt ihre Entlassung,
und schon drei Tage nachher waren sie durch ein liberales Kabinet ersetzt, in
welchem Dragau Zanlow die Präsidentschaft und das Äußere, Kamwelow die
Finanzen, Tischew das Innere, Stojanow die Justiz, Grisolow den Unterricht
und der russische General Ehruroth das Kriegswesen übernommen hatte.

Die siegreiche Partei benutzte den Sieg, der ihr die Gewalt verschaffte,
mit größter Rücksichtslosigkeit. Die von den .Konservativen ernannten Beamten
mußten ihre Posten Liberalen überlassen, und viele wurden wegen Betrugs und
Unterschleifs in Anklagestand versetzt. Die Mehrheit im Sobranje schrie die
Redner der Minderheit nieder, und einer dieser Herren bekam sogar Prügel.
Die Reformvorschläge der verdrängten Negierung wurden meist ungeprüft ver¬
worfen oder in ihr radikales Gegenteil verwandelt. Daneben suchte man sich
bereits der Ausländer, die mau in der ersten Not zur Organisation der Ver¬
waltung selbst ins Land gerufen, möglichst zu entledigen, indem man ihre Kon¬
trakte aufhob und ihren Gehalt verminderte. In der auswärtigen Politik schlug
Zanlow die großbulgarische Richtung ein, was zu Streitigkeiten mit Serbien
und Rumänien führte, die Aufregung in Mazedonien schürte und ein "Zentral¬
komitee zur Herstellung der Integrität des bulgarischen Staates" entstehe"? ließ,
welches Waffen anschasste und mit Beihilfe des Moskaner Slawenkomitces
einen Fonds von 3^ Millionen Lewa (Franks) auftrieb. Trotz der mißlichen
Finanzlage beschloß das Sobranje in geheimer Sitzung, der Nationalbank in
Sofia 800000 Lewa zu entnehmen und den Ostrnmeliern "für gemeinnützige
Zwecke" vorzustrecken. Mit den Vertretern der fremden Mächte stand das li¬
berale Kabinet weniger gut als das konservative, und Zankows Verhalten gegen
Graf Khevcnhüller, den diplomatischen Agenten Österreichs in Sofia, wurde
Anlaß zum Sturze des erstern. Österreich hatte, als die "Donaukommission"
in Gnlaz zusammentreten sollte, Zanlow durch Khevenhnller befragen lassen, ob
er gegen sein Verlangen, daß ihm dort die Präsidentschaft mit Ausschlag ge¬
hender Stimme übertragen werde, etwas einzuwenden habe. Er halte dies ver¬
neint, trotzdem aber stimmte der Vertreter Bulgariens, ein Bruder Zankows,
als die Kommission sich zur Beratung vereinigte, gegen das österreichische Projekt,
und nun schrieb der Fürst eine Note an den Ministerrat, in welcher er sich
beklagte, Zanlow habe Bulgarien kompromittirt. Dieser gab darauf seiue Ent¬
lassung, ließ sich daun aber von seinen Kollegen überreden, im Kabinet zu ver¬
bleiben. Er trat nur die Präsidentschaft und das Äußere an Karawclow ab
und wurde Minister des Innern. Erst als nach mehreren Wochen der Fürst


Bulgarien und sein Fürst.

wenn alle Mittel der Versöhnlichkeit gegenüber den Liberalen erschöpft seien,
nicht in den Weg zu treten, den er vorhabe. Auch Gladstone wurde ange¬
gangen, in eine Verfassnngsvcrnnderung zu willigen, lehnte dies aber entschieden
ab. Die neuen Wahlen fielen wieder nicht günstig für die Regierung aus, und
als der Fürst am 4. April das Sobrauje eröffnete, saßen in demselben 138 Li¬
berale und nur 32 Konservative. Die Minister erbaten sich jetzt ihre Entlassung,
und schon drei Tage nachher waren sie durch ein liberales Kabinet ersetzt, in
welchem Dragau Zanlow die Präsidentschaft und das Äußere, Kamwelow die
Finanzen, Tischew das Innere, Stojanow die Justiz, Grisolow den Unterricht
und der russische General Ehruroth das Kriegswesen übernommen hatte.

Die siegreiche Partei benutzte den Sieg, der ihr die Gewalt verschaffte,
mit größter Rücksichtslosigkeit. Die von den .Konservativen ernannten Beamten
mußten ihre Posten Liberalen überlassen, und viele wurden wegen Betrugs und
Unterschleifs in Anklagestand versetzt. Die Mehrheit im Sobranje schrie die
Redner der Minderheit nieder, und einer dieser Herren bekam sogar Prügel.
Die Reformvorschläge der verdrängten Negierung wurden meist ungeprüft ver¬
worfen oder in ihr radikales Gegenteil verwandelt. Daneben suchte man sich
bereits der Ausländer, die mau in der ersten Not zur Organisation der Ver¬
waltung selbst ins Land gerufen, möglichst zu entledigen, indem man ihre Kon¬
trakte aufhob und ihren Gehalt verminderte. In der auswärtigen Politik schlug
Zanlow die großbulgarische Richtung ein, was zu Streitigkeiten mit Serbien
und Rumänien führte, die Aufregung in Mazedonien schürte und ein „Zentral¬
komitee zur Herstellung der Integrität des bulgarischen Staates" entstehe»? ließ,
welches Waffen anschasste und mit Beihilfe des Moskaner Slawenkomitces
einen Fonds von 3^ Millionen Lewa (Franks) auftrieb. Trotz der mißlichen
Finanzlage beschloß das Sobranje in geheimer Sitzung, der Nationalbank in
Sofia 800000 Lewa zu entnehmen und den Ostrnmeliern „für gemeinnützige
Zwecke" vorzustrecken. Mit den Vertretern der fremden Mächte stand das li¬
berale Kabinet weniger gut als das konservative, und Zankows Verhalten gegen
Graf Khevcnhüller, den diplomatischen Agenten Österreichs in Sofia, wurde
Anlaß zum Sturze des erstern. Österreich hatte, als die „Donaukommission"
in Gnlaz zusammentreten sollte, Zanlow durch Khevenhnller befragen lassen, ob
er gegen sein Verlangen, daß ihm dort die Präsidentschaft mit Ausschlag ge¬
hender Stimme übertragen werde, etwas einzuwenden habe. Er halte dies ver¬
neint, trotzdem aber stimmte der Vertreter Bulgariens, ein Bruder Zankows,
als die Kommission sich zur Beratung vereinigte, gegen das österreichische Projekt,
und nun schrieb der Fürst eine Note an den Ministerrat, in welcher er sich
beklagte, Zanlow habe Bulgarien kompromittirt. Dieser gab darauf seiue Ent¬
lassung, ließ sich daun aber von seinen Kollegen überreden, im Kabinet zu ver¬
bleiben. Er trat nur die Präsidentschaft und das Äußere an Karawclow ab
und wurde Minister des Innern. Erst als nach mehreren Wochen der Fürst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/494>, abgerufen am 22.07.2024.