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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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und daß er also von seinem Jmmobilienkonto fünfzigtausend Mark als Verlust
abschreiben muß. Sobald er dies gethan, wird seine Bilanz einen Nutzen
ergeben.

In keiner andern Lage ist der Landwirt. Ist er nur Pächter, so wird er
den Kampf gegen den Grundherrn unternehmen. Wo, wie in England, Italien,
Mecklenburg, der Großbesitz herrscht und die Verpachtung die Regel bildet, wird
dieser Kampf den Charakter eines Streiks annehmen und entweder zu einem
Vergleich oder zum Ruin der einen Partei führen. Wenn der Landwirt aber
auf eignem Grund und Boden sitzt, so wird er sich, wie der Industrielle unsers
Beispiels, gestehen müssen, daß sein Gut im Werte gesunken ist, daß es die
frühere Rente nicht mehr abwerfen kann, daß er die Zinsen seiner Hypotheken
nicht mehr aus dem Ernteerträgnis decken kann, kurz, daß er vom Grundkapital
abschreiben muß. Vermag er dies nicht, so ist er freilich in einer schlimmen
Lage; aber er darf deshalb nicht über einen Notstand der Landwirtschaft
klagen; seine Lage ist nicht schlimmer als die eines Fabrikanten, der keine
Mittel hat, seine Verluste zu decken. Kurz, der Grundbesitzer ist ein Ge¬
schäftsmann, der die Bewirtschaftung seines Gutes selbst betreibt oder zum Be¬
triebe einem andern überläßt. Die Reute wird durch die Bewirtschaftung er¬
zeugt, und sie kann nur in demjenigen Betrage bestehen, welchen die Wirtschaft
übrig läßt.

Es kann dies nicht oft und nicht eindringlich genug gesagt werden, denn
die Verblendung der Agrarier -- von bewußter Absicht bin ich weit entfernt
zu reden -- wird nicht müde, die niedrigen Preise und die Konkurrenz für die
bedrohte Bodenrenke verantwortlich zu machen.

Unter den Mitteln, durch welche der Landwirtschaft geholfen werden soll,
befindet sich auch die Erleichterung des Nealkredits, oder sagen wir des Schulden-
machcns. Als ob die Verschuldung des Grund und Bodens nicht bereits groß
genug wäre, und als ob nicht gerade diejenigen, welche die Schulden am wenigsten
vertragen können, die Kleinbesitzer, deren am meisten hätten! Denn nach Rnh-
lcmds Ermittlungen steht im südlichen und südwestlichen Deutschland, wo mitt¬
lerer und kleiner Besitz vorherrscht, die Verschuldung im umgekehrten Verhältnis
zur Vesitzgröße. "Nur im Nordosten zeigt der Großbesitz neben dem kleinsten
die höchste Verschuldung."

Das Verlangen der Gutsbesitzer nach Kredit ist übrigens sehr wohl be¬
greiflich; sie wissen recht gut, daß das eigentliche Betriebskapital sich sehr gut
verzinst. Ein namhafter Landwirt, der glänzende Erfolge erzielt hat, gab mir
einmal, als ich mich nach dem Zins erkundigte, den er aus seinem Gute ziehe,
folgende bemerkenswerte Antwort: Das fixe Kapital, welches im Gute angelegt
ist, verzinst sich gut oder schlecht oder auch garnicht, je nach der Höhe, mit
welcher es eingestellt ist; dies geht die Wirtschaft eigentlich nichts an. Aber
mein Betriebskapital kann sich ebensogut auf fünf und zehn Prozent, ja höher


und daß er also von seinem Jmmobilienkonto fünfzigtausend Mark als Verlust
abschreiben muß. Sobald er dies gethan, wird seine Bilanz einen Nutzen
ergeben.

In keiner andern Lage ist der Landwirt. Ist er nur Pächter, so wird er
den Kampf gegen den Grundherrn unternehmen. Wo, wie in England, Italien,
Mecklenburg, der Großbesitz herrscht und die Verpachtung die Regel bildet, wird
dieser Kampf den Charakter eines Streiks annehmen und entweder zu einem
Vergleich oder zum Ruin der einen Partei führen. Wenn der Landwirt aber
auf eignem Grund und Boden sitzt, so wird er sich, wie der Industrielle unsers
Beispiels, gestehen müssen, daß sein Gut im Werte gesunken ist, daß es die
frühere Rente nicht mehr abwerfen kann, daß er die Zinsen seiner Hypotheken
nicht mehr aus dem Ernteerträgnis decken kann, kurz, daß er vom Grundkapital
abschreiben muß. Vermag er dies nicht, so ist er freilich in einer schlimmen
Lage; aber er darf deshalb nicht über einen Notstand der Landwirtschaft
klagen; seine Lage ist nicht schlimmer als die eines Fabrikanten, der keine
Mittel hat, seine Verluste zu decken. Kurz, der Grundbesitzer ist ein Ge¬
schäftsmann, der die Bewirtschaftung seines Gutes selbst betreibt oder zum Be¬
triebe einem andern überläßt. Die Reute wird durch die Bewirtschaftung er¬
zeugt, und sie kann nur in demjenigen Betrage bestehen, welchen die Wirtschaft
übrig läßt.

Es kann dies nicht oft und nicht eindringlich genug gesagt werden, denn
die Verblendung der Agrarier — von bewußter Absicht bin ich weit entfernt
zu reden — wird nicht müde, die niedrigen Preise und die Konkurrenz für die
bedrohte Bodenrenke verantwortlich zu machen.

Unter den Mitteln, durch welche der Landwirtschaft geholfen werden soll,
befindet sich auch die Erleichterung des Nealkredits, oder sagen wir des Schulden-
machcns. Als ob die Verschuldung des Grund und Bodens nicht bereits groß
genug wäre, und als ob nicht gerade diejenigen, welche die Schulden am wenigsten
vertragen können, die Kleinbesitzer, deren am meisten hätten! Denn nach Rnh-
lcmds Ermittlungen steht im südlichen und südwestlichen Deutschland, wo mitt¬
lerer und kleiner Besitz vorherrscht, die Verschuldung im umgekehrten Verhältnis
zur Vesitzgröße. „Nur im Nordosten zeigt der Großbesitz neben dem kleinsten
die höchste Verschuldung."

Das Verlangen der Gutsbesitzer nach Kredit ist übrigens sehr wohl be¬
greiflich; sie wissen recht gut, daß das eigentliche Betriebskapital sich sehr gut
verzinst. Ein namhafter Landwirt, der glänzende Erfolge erzielt hat, gab mir
einmal, als ich mich nach dem Zins erkundigte, den er aus seinem Gute ziehe,
folgende bemerkenswerte Antwort: Das fixe Kapital, welches im Gute angelegt
ist, verzinst sich gut oder schlecht oder auch garnicht, je nach der Höhe, mit
welcher es eingestellt ist; dies geht die Wirtschaft eigentlich nichts an. Aber
mein Betriebskapital kann sich ebensogut auf fünf und zehn Prozent, ja höher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/464>, abgerufen am 03.07.2024.