Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.Die Mcineidpest. trächtigen sollten, zu behaupten und zu beweisen. Im Strafverfahren war es ") Einem österreichische Dichter ist dies wirklich geschehen. **) Auch Vornamen können erheblich sein! Dem oben erwähnten Vorsitzenden hatte -- auch
in einer Meincidsverhnndlung -- ein Mädchen als Namen ihres Vater "Eitel Huber" an¬ gegeben; der Vorsitzende war im Begriff, den Geschwornen einen Vortrag darüber zu halten, wie ans jenem Namen hervorgehe, daß in der Familie des Mädchens UnzuverlKssigkeit und Verlogenheit zu Haus seien, und hatte schon die F-ruge gestellt: "Warum heißt Ihr Vater Eitel?" als zum Glück der Stcmtsnnwnlt einsprang mit der Belehrung, daß Eitel ein in der Gegend üblicher Vorname ohne jede schlimme Nebenbedeutung sei. Die Mcineidpest. trächtigen sollten, zu behaupten und zu beweisen. Im Strafverfahren war es ") Einem österreichische Dichter ist dies wirklich geschehen. **) Auch Vornamen können erheblich sein! Dem oben erwähnten Vorsitzenden hatte — auch
in einer Meincidsverhnndlung — ein Mädchen als Namen ihres Vater „Eitel Huber" an¬ gegeben; der Vorsitzende war im Begriff, den Geschwornen einen Vortrag darüber zu halten, wie ans jenem Namen hervorgehe, daß in der Familie des Mädchens UnzuverlKssigkeit und Verlogenheit zu Haus seien, und hatte schon die F-ruge gestellt: „Warum heißt Ihr Vater Eitel?" als zum Glück der Stcmtsnnwnlt einsprang mit der Belehrung, daß Eitel ein in der Gegend üblicher Vorname ohne jede schlimme Nebenbedeutung sei. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199123"/> <fw type="header" place="top"> Die Mcineidpest.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1213" prev="#ID_1212" next="#ID_1214"> trächtigen sollten, zu behaupten und zu beweisen. Im Strafverfahren war es<lb/> zur Zeit des Jnquisitionsprozesses allerdings Aufgabe des Richters, sich über<lb/> die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu vergewissern (womit noch keineswegs gesagt<lb/> sein soll, daß unter diesem Verfahren jene brutale Frage gerechtfertigt gewesen<lb/> sei), wir haben aber jetzt den Auklageprozeß, und da find die Parteien, ist vor<lb/> allem der Staatsanwalt berufen, wenn er über die Glaubwürdigkeit eines Zeugen<lb/> Bedenken hat, das Material zu deren Begründung herbeizuschaffen; der Zeuge hat<lb/> es ihm nicht zu liefern. Man vergegenwärtige sich doch auch die Folgen der<lb/> Lehre, daß durch falsche Angaben über die persönlichen Verhältnisse des Zeugen<lb/> ein Meineid begangen werde; ein lediges, dreißig Jahre altes Frauenzimmer,<lb/> das die Hoffnung auf eine Heirat noch nicht aufgegeben hat, giebt auf Befragen<lb/> ihr Alter zu achtundzwanzig Jahren um; ein Mann, der das Unglück hatte, in<lb/> einem bigotten Lande geboren zu werde», wo die Eltern jedem Kinde den Namen<lb/> geben, den sein Geburtstag im Kalender führt, und der hierdurch in den Besitz<lb/> des Vornamens „Petri Kettenfeier" gelangt ist,*) nennt sich als Zeuge vor<lb/> Gericht „Peter"; ein angesehener Mann, vielleicht Staats- oder städtischer<lb/> Beamter, hat vor dreißig oder vierzig Jahren als Schulknabe einem Kameraden<lb/> einige Sechser oder Groschen entwendet, ist wegen dieses Diebstahls gerichtlich<lb/> bestraft worden und antwortet nun auf die Frage: „Noch nie bestraft?" mit<lb/> nein: haben sich diese drei Zeugen des Meineides schuldig gemacht? In den<lb/> beiden ersten Fällen hilft sich der Richter vielleicht mit der geistreichen Unter¬<lb/> scheidung: die Angaben über Alter, Namen*") u. s. w, des Zeugen seien zwar um<lb/> sich nicht ganz unerheblich; aber ob jenes Mädchen achtundzwnnzig oder dreißig<lb/> Jahre alt sei, ob der Mann Petri Kettcnfeier oder Peter heiße, sei doch ganz<lb/> unerheblich; dem dritten Zeugen mochte ich aber nicht wünschen, daß er sich<lb/> vor Gericht zu verantworten habe; an Staatsanwälten, welche die Anklage<lb/> auf Meineid mit Feuer vertreten, würde es nicht fehlen; der Richter wird den<lb/> Geschwornen sagen: ganz unerheblich sei unter Umständen auch eine vor dreißig<lb/> Jahren verbüßte Strafe nicht; und die irregeleiteten Geschwornen, denen doch<lb/> eine Verurteilung wegen Meineides widerstrebt, ergreifen schließlich begierig<lb/> das Nettungsseil, das ihnen in Gestalt der Hilfsfragc zugeworfen worden ist:<lb/> ob sich der Angeklagte eines fahrlässigen Meineides schuldig gemacht habe?<lb/> Solche und ähnliche Fälle liefern das zahlreichste Kontingent zu den Vernr-</p><lb/> <note xml:id="FID_36" place="foot"> ") Einem österreichische Dichter ist dies wirklich geschehen.</note><lb/> <note xml:id="FID_37" place="foot"> **) Auch Vornamen können erheblich sein! Dem oben erwähnten Vorsitzenden hatte — auch<lb/> in einer Meincidsverhnndlung — ein Mädchen als Namen ihres Vater „Eitel Huber" an¬<lb/> gegeben; der Vorsitzende war im Begriff, den Geschwornen einen Vortrag darüber zu halten,<lb/> wie ans jenem Namen hervorgehe, daß in der Familie des Mädchens UnzuverlKssigkeit und<lb/> Verlogenheit zu Haus seien, und hatte schon die F-ruge gestellt: „Warum heißt Ihr Vater<lb/> Eitel?" als zum Glück der Stcmtsnnwnlt einsprang mit der Belehrung, daß Eitel ein in der<lb/> Gegend üblicher Vorname ohne jede schlimme Nebenbedeutung sei.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0403]
Die Mcineidpest.
trächtigen sollten, zu behaupten und zu beweisen. Im Strafverfahren war es
zur Zeit des Jnquisitionsprozesses allerdings Aufgabe des Richters, sich über
die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu vergewissern (womit noch keineswegs gesagt
sein soll, daß unter diesem Verfahren jene brutale Frage gerechtfertigt gewesen
sei), wir haben aber jetzt den Auklageprozeß, und da find die Parteien, ist vor
allem der Staatsanwalt berufen, wenn er über die Glaubwürdigkeit eines Zeugen
Bedenken hat, das Material zu deren Begründung herbeizuschaffen; der Zeuge hat
es ihm nicht zu liefern. Man vergegenwärtige sich doch auch die Folgen der
Lehre, daß durch falsche Angaben über die persönlichen Verhältnisse des Zeugen
ein Meineid begangen werde; ein lediges, dreißig Jahre altes Frauenzimmer,
das die Hoffnung auf eine Heirat noch nicht aufgegeben hat, giebt auf Befragen
ihr Alter zu achtundzwanzig Jahren um; ein Mann, der das Unglück hatte, in
einem bigotten Lande geboren zu werde», wo die Eltern jedem Kinde den Namen
geben, den sein Geburtstag im Kalender führt, und der hierdurch in den Besitz
des Vornamens „Petri Kettenfeier" gelangt ist,*) nennt sich als Zeuge vor
Gericht „Peter"; ein angesehener Mann, vielleicht Staats- oder städtischer
Beamter, hat vor dreißig oder vierzig Jahren als Schulknabe einem Kameraden
einige Sechser oder Groschen entwendet, ist wegen dieses Diebstahls gerichtlich
bestraft worden und antwortet nun auf die Frage: „Noch nie bestraft?" mit
nein: haben sich diese drei Zeugen des Meineides schuldig gemacht? In den
beiden ersten Fällen hilft sich der Richter vielleicht mit der geistreichen Unter¬
scheidung: die Angaben über Alter, Namen*") u. s. w, des Zeugen seien zwar um
sich nicht ganz unerheblich; aber ob jenes Mädchen achtundzwnnzig oder dreißig
Jahre alt sei, ob der Mann Petri Kettcnfeier oder Peter heiße, sei doch ganz
unerheblich; dem dritten Zeugen mochte ich aber nicht wünschen, daß er sich
vor Gericht zu verantworten habe; an Staatsanwälten, welche die Anklage
auf Meineid mit Feuer vertreten, würde es nicht fehlen; der Richter wird den
Geschwornen sagen: ganz unerheblich sei unter Umständen auch eine vor dreißig
Jahren verbüßte Strafe nicht; und die irregeleiteten Geschwornen, denen doch
eine Verurteilung wegen Meineides widerstrebt, ergreifen schließlich begierig
das Nettungsseil, das ihnen in Gestalt der Hilfsfragc zugeworfen worden ist:
ob sich der Angeklagte eines fahrlässigen Meineides schuldig gemacht habe?
Solche und ähnliche Fälle liefern das zahlreichste Kontingent zu den Vernr-
") Einem österreichische Dichter ist dies wirklich geschehen.
**) Auch Vornamen können erheblich sein! Dem oben erwähnten Vorsitzenden hatte — auch
in einer Meincidsverhnndlung — ein Mädchen als Namen ihres Vater „Eitel Huber" an¬
gegeben; der Vorsitzende war im Begriff, den Geschwornen einen Vortrag darüber zu halten,
wie ans jenem Namen hervorgehe, daß in der Familie des Mädchens UnzuverlKssigkeit und
Verlogenheit zu Haus seien, und hatte schon die F-ruge gestellt: „Warum heißt Ihr Vater
Eitel?" als zum Glück der Stcmtsnnwnlt einsprang mit der Belehrung, daß Eitel ein in der
Gegend üblicher Vorname ohne jede schlimme Nebenbedeutung sei.
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