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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Ein zukünftiger Kriegsschauplatz.

vielfach in der Hand von Deutschen befinden, großenteils in hoher Kultur ist.
Sehr reich an Vieh ist ferner Volhynien, das im Südwesten auch ausgedehnte
Strecken guten Ackerlandes besitzt. Eine hervorragende Rolle endlich würde bei
einem Kriege in den östlichen Grenzländern Deutschlands und Österreichs
Podolien in Betreff der Ernährung der Armeen zu spielen berufen sein. Es
giebt hier wenig Wald mehr, und der größte Teil des Gouvernements gehört
nach seiner Bodenbeschaffenheit dem Gebiete des "Tschcrnosom," jener schwarz-
braunen Humuserde an, welche sich vom Dnjestr durch die Gouvernements Kjew,
Pultawa, Charkow, Kursk, Orel und Tula bis zur Wolga hinzieht und diese
Gegenden zur Kornkammer des russischen Reiches macht.

Bis vor kurzem ruhte die Landesverteidigung an der Westgrenze Rußlands
auf schwachen Füßen, aber in den letzten Jahren hat die Regierung durch
Festungsbauten eifrig gesorgt, sie zu verstärken. Die Festungen der Weichscl-
liuie sind folgende: Jwcmgorod, am Einfluß des Wieprz in die Weichsel gelegen
und mit sechs vorgeschobenen Werken versehen. Es bildet, zwölf Meilen von
der galizischen Grenze und ebensoweit von Warschau entfernt, den linken Flügel
der russischen Front an der Weichsel und ist wichtig als Stützpunkt des Auf¬
marsches der russischen Armee hinter der letzterei?, da hier die Eisenbahnen von
Brest-Litcwsk und Kjew zusammenlaufen. 1884 ist noch eine Bahn nach
Dombrowa mit einer eisernen Brücke hinzugekommen, welche der Festung vsfensive
Bedeutung verleiht, da mit ihr die hier zusammengezogenen Truppen leicht auf
das linke Weichselufer geworfen werden können- Sodann Warschau-Pmga mit
einer Zitadelle und fünfzehn Forts, von denen elf auf dem linken (Warschauer)
und vier auf dem rechten (Prcigaer) Ufer des Stromes liegen und die von der
großen Brücke über denselben durchschnittlich fünf bis sieben Kilometer entfernt
sind. An diesen Forts wird seit 1883 gearbeitet, der Bau macht indes sehr
langsame Fortschritte, und einige von den Werten sind noch garnicht in Angriff
genommen. Nach ihrer Vollendung aber werden sie ein verschanztes Lager
bilden, welches die Form eines Kreises von ungefähr zehn Kilometer Durchmesser
hat. Dasselbe bietet in den zahlreichen Kasernen der Stadt und durch geräumige
Baracken an deren Peripherie Raum zur Unterbringuinz sehr ansehnlicher
Truppenmassen, die vermöge der Brücke leicht den Uferwechsel vollziehen können.
Drittens Rooo-Gevrgiewsk (Motum) an der Mündung des Narcw in die
Weichsel gelegen. An sich schon mit ihren alten Werken sehr stark, wird diese
Festung von acht vorgeschobenen Forts, die man 1883 um sie anzulegen be¬
gonnen hat und die der Vollendung nahe sind, allen Anforderungen an
einen modernen Platz, der als verschanztes Lager dienen soll, entsprechen und
ihren strategischen Zweck, die Flanke der beiden Verteidigungslinien an der
Weichsel und am Narew zu führen, den Uferwechsel und das Operiren nach
verschiednen Richtungen hin möglich zu machen und den Angreifer zum Über¬
gänge über einen der beiden Flüsse weit außerhalb ihrer Wirkungssphäre zu


Ein zukünftiger Kriegsschauplatz.

vielfach in der Hand von Deutschen befinden, großenteils in hoher Kultur ist.
Sehr reich an Vieh ist ferner Volhynien, das im Südwesten auch ausgedehnte
Strecken guten Ackerlandes besitzt. Eine hervorragende Rolle endlich würde bei
einem Kriege in den östlichen Grenzländern Deutschlands und Österreichs
Podolien in Betreff der Ernährung der Armeen zu spielen berufen sein. Es
giebt hier wenig Wald mehr, und der größte Teil des Gouvernements gehört
nach seiner Bodenbeschaffenheit dem Gebiete des „Tschcrnosom," jener schwarz-
braunen Humuserde an, welche sich vom Dnjestr durch die Gouvernements Kjew,
Pultawa, Charkow, Kursk, Orel und Tula bis zur Wolga hinzieht und diese
Gegenden zur Kornkammer des russischen Reiches macht.

Bis vor kurzem ruhte die Landesverteidigung an der Westgrenze Rußlands
auf schwachen Füßen, aber in den letzten Jahren hat die Regierung durch
Festungsbauten eifrig gesorgt, sie zu verstärken. Die Festungen der Weichscl-
liuie sind folgende: Jwcmgorod, am Einfluß des Wieprz in die Weichsel gelegen
und mit sechs vorgeschobenen Werken versehen. Es bildet, zwölf Meilen von
der galizischen Grenze und ebensoweit von Warschau entfernt, den linken Flügel
der russischen Front an der Weichsel und ist wichtig als Stützpunkt des Auf¬
marsches der russischen Armee hinter der letzterei?, da hier die Eisenbahnen von
Brest-Litcwsk und Kjew zusammenlaufen. 1884 ist noch eine Bahn nach
Dombrowa mit einer eisernen Brücke hinzugekommen, welche der Festung vsfensive
Bedeutung verleiht, da mit ihr die hier zusammengezogenen Truppen leicht auf
das linke Weichselufer geworfen werden können- Sodann Warschau-Pmga mit
einer Zitadelle und fünfzehn Forts, von denen elf auf dem linken (Warschauer)
und vier auf dem rechten (Prcigaer) Ufer des Stromes liegen und die von der
großen Brücke über denselben durchschnittlich fünf bis sieben Kilometer entfernt
sind. An diesen Forts wird seit 1883 gearbeitet, der Bau macht indes sehr
langsame Fortschritte, und einige von den Werten sind noch garnicht in Angriff
genommen. Nach ihrer Vollendung aber werden sie ein verschanztes Lager
bilden, welches die Form eines Kreises von ungefähr zehn Kilometer Durchmesser
hat. Dasselbe bietet in den zahlreichen Kasernen der Stadt und durch geräumige
Baracken an deren Peripherie Raum zur Unterbringuinz sehr ansehnlicher
Truppenmassen, die vermöge der Brücke leicht den Uferwechsel vollziehen können.
Drittens Rooo-Gevrgiewsk (Motum) an der Mündung des Narcw in die
Weichsel gelegen. An sich schon mit ihren alten Werken sehr stark, wird diese
Festung von acht vorgeschobenen Forts, die man 1883 um sie anzulegen be¬
gonnen hat und die der Vollendung nahe sind, allen Anforderungen an
einen modernen Platz, der als verschanztes Lager dienen soll, entsprechen und
ihren strategischen Zweck, die Flanke der beiden Verteidigungslinien an der
Weichsel und am Narew zu führen, den Uferwechsel und das Operiren nach
verschiednen Richtungen hin möglich zu machen und den Angreifer zum Über¬
gänge über einen der beiden Flüsse weit außerhalb ihrer Wirkungssphäre zu


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[0398] Ein zukünftiger Kriegsschauplatz. vielfach in der Hand von Deutschen befinden, großenteils in hoher Kultur ist. Sehr reich an Vieh ist ferner Volhynien, das im Südwesten auch ausgedehnte Strecken guten Ackerlandes besitzt. Eine hervorragende Rolle endlich würde bei einem Kriege in den östlichen Grenzländern Deutschlands und Österreichs Podolien in Betreff der Ernährung der Armeen zu spielen berufen sein. Es giebt hier wenig Wald mehr, und der größte Teil des Gouvernements gehört nach seiner Bodenbeschaffenheit dem Gebiete des „Tschcrnosom," jener schwarz- braunen Humuserde an, welche sich vom Dnjestr durch die Gouvernements Kjew, Pultawa, Charkow, Kursk, Orel und Tula bis zur Wolga hinzieht und diese Gegenden zur Kornkammer des russischen Reiches macht. Bis vor kurzem ruhte die Landesverteidigung an der Westgrenze Rußlands auf schwachen Füßen, aber in den letzten Jahren hat die Regierung durch Festungsbauten eifrig gesorgt, sie zu verstärken. Die Festungen der Weichscl- liuie sind folgende: Jwcmgorod, am Einfluß des Wieprz in die Weichsel gelegen und mit sechs vorgeschobenen Werken versehen. Es bildet, zwölf Meilen von der galizischen Grenze und ebensoweit von Warschau entfernt, den linken Flügel der russischen Front an der Weichsel und ist wichtig als Stützpunkt des Auf¬ marsches der russischen Armee hinter der letzterei?, da hier die Eisenbahnen von Brest-Litcwsk und Kjew zusammenlaufen. 1884 ist noch eine Bahn nach Dombrowa mit einer eisernen Brücke hinzugekommen, welche der Festung vsfensive Bedeutung verleiht, da mit ihr die hier zusammengezogenen Truppen leicht auf das linke Weichselufer geworfen werden können- Sodann Warschau-Pmga mit einer Zitadelle und fünfzehn Forts, von denen elf auf dem linken (Warschauer) und vier auf dem rechten (Prcigaer) Ufer des Stromes liegen und die von der großen Brücke über denselben durchschnittlich fünf bis sieben Kilometer entfernt sind. An diesen Forts wird seit 1883 gearbeitet, der Bau macht indes sehr langsame Fortschritte, und einige von den Werten sind noch garnicht in Angriff genommen. Nach ihrer Vollendung aber werden sie ein verschanztes Lager bilden, welches die Form eines Kreises von ungefähr zehn Kilometer Durchmesser hat. Dasselbe bietet in den zahlreichen Kasernen der Stadt und durch geräumige Baracken an deren Peripherie Raum zur Unterbringuinz sehr ansehnlicher Truppenmassen, die vermöge der Brücke leicht den Uferwechsel vollziehen können. Drittens Rooo-Gevrgiewsk (Motum) an der Mündung des Narcw in die Weichsel gelegen. An sich schon mit ihren alten Werken sehr stark, wird diese Festung von acht vorgeschobenen Forts, die man 1883 um sie anzulegen be¬ gonnen hat und die der Vollendung nahe sind, allen Anforderungen an einen modernen Platz, der als verschanztes Lager dienen soll, entsprechen und ihren strategischen Zweck, die Flanke der beiden Verteidigungslinien an der Weichsel und am Narew zu führen, den Uferwechsel und das Operiren nach verschiednen Richtungen hin möglich zu machen und den Angreifer zum Über¬ gänge über einen der beiden Flüsse weit außerhalb ihrer Wirkungssphäre zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/398>, abgerufen am 22.07.2024.