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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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"Lamoens.

deren greller Schein weit hinaus auf das Wasser und weit über den Platz
leuchtete, die rote Helle lockte neue Menschenschwärme heran, und die Kunde,
daß jene beiden Schiffe von Tanger kämen, flog von Mund zu Munde. Ca¬
moens achtete uicht auf die Gesichter derer, welche sich hinter ihm sammelten,
er hörte nicht, daß sein Name mit drohendem Murren genannt ward. Auch
an Bord der Schiffe wurden jetzt Lichter entzündet, sie näherten sich der Lande-
steile, die Bemannung drängte sich nach dem Vorderteil, Ankerketten rasselten
und starke Taue wurden ans Ufer geschleudert. Eines derselben traf Camoens
an der linken Schläfe und betäubte ihn für eine kurze Zeit. Über die hölzernen
Landebrücken erdröhnten Tritte, vom Bord erschollen Weherufe, welche aus den
Reihen der am Ufer stehenden erwiedert wurden, die erregte Meuge umringte
die ersten Männer, welche vom Deck herüberkamen, und vernahm enttäuscht und
dumpf grollend, daß keine Geretteten von Alcacer, sondern nur Verwundete aus
früheren Gefechten an Bord seien. Indem Camoens wieder zum Bewußtsein
kam und unter den aus dem nächsten Schiff steigenden umherblickte, wen er
ansprechen könne, schlug eine Stimme an sein Ohr, die er, zusammenschreckend,
erkannte, er vernahm durch das Getöse die bittenden Worte: Gebt ein wenig
Raum, ihr Leute! und verhelfe mir, wenn ihr könnt, zu einer Sänfte oder
einem Maultier für meine kranke Dame! Ich werde den, welcher mir herzuruft,
was ich bedarf, nach Kräften reich belohnen.

Camoens wandte sich blitzschnell um, der zweiten der Landebrücken zu; in
dem Augenblicke, wo er den Sprecher, den alten Miraflores, den Stallmeister
der Gräfin Palmeirim, vor sich sah, beugte sich derselbe, ohne ihn zu erkennen,
nach dem Schiffsrande zurück und bot seine Hand einer Frauengestalt, die in
dunkle Gewänder gehüllt war, deren Gesicht niemand wahrnehmen konnte und
die der Herzustürzeude doch erkannt haben würde, und wäre sie noch tiefer und
dichter verhüllt gewesen. Camoens beugte seine Kniee vor ihr, er versuchte um¬
sonst ihre Hand zu erfassen und rief mit einer Stimme, die von schmerzlicher
Bewegung und wildem Entzücken zugleich halb erstickt war: Ihr seid es selbst,
Herrin! Das heiß' ich Gottes reinste Gnade mitten in Gottes Zorn. Erlaubt,
daß ich Euch beistehe, und verfügt über mich, wie über Euern letzten Knecht!

Die Verhüllte zuckte wie bei einem schmerzlichen Stich zusammen, als sie
ni dem roten Scheine am Ufer den vor ihr knieenden erkannte. Mit zitternder
Hand schlug sie den Schleier zurück und enthüllte das bleiche, edle Gesicht, dem
folternder Gram und Thränen seine Schönheit nicht geraubt hatten. Aber ans
diesem Gesicht sahen die dunkeln Augen jetzt nicht verweint, sondern zornsprühend,
mit wildem Haß auf Camoens. Sie streckte ihre Hand gegen ihn aus, als ob
sie ihn zurückstoße" wolle, und sagte mit bitterm Tone: Was wühlte Ihr, was
stellt Ihr Euch in meinen Weg, Luis Camoens? Ihr seid es gewesen, der mit
seinem falschen Lied des unglücklichen Königs Entscheidung herbeigeführt hat,
Ihr hube ihn bethörend, ruhmverheißeud angespornt, in die Speere der Mohren


Grenzl'olor III. 1886, W
«Lamoens.

deren greller Schein weit hinaus auf das Wasser und weit über den Platz
leuchtete, die rote Helle lockte neue Menschenschwärme heran, und die Kunde,
daß jene beiden Schiffe von Tanger kämen, flog von Mund zu Munde. Ca¬
moens achtete uicht auf die Gesichter derer, welche sich hinter ihm sammelten,
er hörte nicht, daß sein Name mit drohendem Murren genannt ward. Auch
an Bord der Schiffe wurden jetzt Lichter entzündet, sie näherten sich der Lande-
steile, die Bemannung drängte sich nach dem Vorderteil, Ankerketten rasselten
und starke Taue wurden ans Ufer geschleudert. Eines derselben traf Camoens
an der linken Schläfe und betäubte ihn für eine kurze Zeit. Über die hölzernen
Landebrücken erdröhnten Tritte, vom Bord erschollen Weherufe, welche aus den
Reihen der am Ufer stehenden erwiedert wurden, die erregte Meuge umringte
die ersten Männer, welche vom Deck herüberkamen, und vernahm enttäuscht und
dumpf grollend, daß keine Geretteten von Alcacer, sondern nur Verwundete aus
früheren Gefechten an Bord seien. Indem Camoens wieder zum Bewußtsein
kam und unter den aus dem nächsten Schiff steigenden umherblickte, wen er
ansprechen könne, schlug eine Stimme an sein Ohr, die er, zusammenschreckend,
erkannte, er vernahm durch das Getöse die bittenden Worte: Gebt ein wenig
Raum, ihr Leute! und verhelfe mir, wenn ihr könnt, zu einer Sänfte oder
einem Maultier für meine kranke Dame! Ich werde den, welcher mir herzuruft,
was ich bedarf, nach Kräften reich belohnen.

Camoens wandte sich blitzschnell um, der zweiten der Landebrücken zu; in
dem Augenblicke, wo er den Sprecher, den alten Miraflores, den Stallmeister
der Gräfin Palmeirim, vor sich sah, beugte sich derselbe, ohne ihn zu erkennen,
nach dem Schiffsrande zurück und bot seine Hand einer Frauengestalt, die in
dunkle Gewänder gehüllt war, deren Gesicht niemand wahrnehmen konnte und
die der Herzustürzeude doch erkannt haben würde, und wäre sie noch tiefer und
dichter verhüllt gewesen. Camoens beugte seine Kniee vor ihr, er versuchte um¬
sonst ihre Hand zu erfassen und rief mit einer Stimme, die von schmerzlicher
Bewegung und wildem Entzücken zugleich halb erstickt war: Ihr seid es selbst,
Herrin! Das heiß' ich Gottes reinste Gnade mitten in Gottes Zorn. Erlaubt,
daß ich Euch beistehe, und verfügt über mich, wie über Euern letzten Knecht!

Die Verhüllte zuckte wie bei einem schmerzlichen Stich zusammen, als sie
ni dem roten Scheine am Ufer den vor ihr knieenden erkannte. Mit zitternder
Hand schlug sie den Schleier zurück und enthüllte das bleiche, edle Gesicht, dem
folternder Gram und Thränen seine Schönheit nicht geraubt hatten. Aber ans
diesem Gesicht sahen die dunkeln Augen jetzt nicht verweint, sondern zornsprühend,
mit wildem Haß auf Camoens. Sie streckte ihre Hand gegen ihn aus, als ob
sie ihn zurückstoße» wolle, und sagte mit bitterm Tone: Was wühlte Ihr, was
stellt Ihr Euch in meinen Weg, Luis Camoens? Ihr seid es gewesen, der mit
seinem falschen Lied des unglücklichen Königs Entscheidung herbeigeführt hat,
Ihr hube ihn bethörend, ruhmverheißeud angespornt, in die Speere der Mohren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/281>, abgerufen am 22.07.2024.