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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Skizzen aus der Levante und Griechenland.

oder gar Zeutralisirung mit und in dem Pcmslawismus, vielleicht umso schärfer,
als man damit das in Europa seiner Zeit verbreitete Vorurteil, die heutigen
Hellenen seien eigentlich Slawen, widerlegen will. Mit Rußland speziell sind
alle Verbindungen abgebrochen, die Sympathien der Königin für ihre Heimat
erstrecken sich nicht weiter als auf die hcinfigen Besuche, die sie von ihren Ver¬
wandten erhält, welche sich ganz gut amüsiren, aber so harmlos und inoffensiv
als möglich auftreten. Der König ist Protestant geblieben, die Kinder dagegen
werden im griechischen Glauben erzogen. Gegen Österreich, seit es Bosnien
und die Herzegowina okkupirt hat und Miene macht nach Snlonichi vorzudringen
und ein Südslawenrcich uuter sein Protektorat zu nehmen, hat die öffentliche
Meinung ebenfalls Front gemacht, obgleich in dieser Richtung eine entschiedn"
Aktion wohl weder von Wien noch von Pest aus zu befürchten steht. Die
byzantinische Idee, d. h. die Wiederherstellung eines griechischen Kaisertums,
ist zwar noch nicht ausgestorben, aber doch in weite, ungewisse Ferne ge¬
rückt. Durch die Bildung neuer und an materieller Kraft Griechenland über¬
legner Staaten auf der Balkanhalbinsel, wie z. B. Rumäniens, sind für die
Erbschaft des kranken Mannes am Bosporus Konkurrenten entstanden, mit denen
man rechnen muß. Für die zukünftige Gestaltung des Orients wird jedenfalls
die griechische Nation das wichtigste Kulturelement bilden, ob sie aber die po¬
litische Hegemonie zu führen vermag, darüber naße ich mir nicht an zu urteilen.
Auf den Inseln und in Kleinasien stünden die Aspekten schon etwas günstiger,
allein wenn man schließlich die Türken aus Europa vertreibt, muß man sie
doch wenigstens in Asien lassen.

Beinahe ganz ihres Ansehens und Kredits verlustig gegangen sind die
sogenannten Fcmarioten, d. h. jene Griechen, welche nach der Eroberung Kon¬
stantinopels dort zurückblieben und durch Lift, Biegsamkeit und Intrigue" aller
Art bei den neuen Herren sich in Gunst zu setzen wußten. Sie bewohnen
das stille, abgelegne Quartier Fanar -- daher der Name -- am Fuße des nörd¬
lichsten Hügels von Stambul, wo sich das goldne Horn nach den süßen Wassern
hin verengt, wo die Kaiserpaläste der Paläologen und Komnenen standen und
noch heutzutage melancholische Erinnerungen aus verfallenen Säulenhallen und
Kirchenruinen sprechen. Die Fcmarioten sind mehrfach die Überreste des alten
byzantinischen Adels, so gehören ihnen die Mcmrokordatos, Kcilimachis, Ipsilantis,
Soutzos, Ghikas u. a. an, die früher, als die Türkei noch in ihrer Integrität
bestand, in hohen Verwaltungsstellen als Hospodare der Donaufürstentümer
(Walachei und Moldau) verwendet wurden oder sich im Handel und als Bankiers
und Fincmzpcichtcr enorme Vermögen erwarben, wie z. B. das Haus Beltcizzi.
Mit jenen Ämtern und Würden hat es jetzt ein Ende genommen, und was die
Geldgeschäfte betrifft, so wendet sich die Pforte mit mehr Vertrauen den Ar¬
meniern und Juden zu. Wenn die Fcmarioten gewissermaßen die griechische
Aristokratie zu reprcisentiren sich das Ansehen geben, so wolle man damit nicht


Skizzen aus der Levante und Griechenland.

oder gar Zeutralisirung mit und in dem Pcmslawismus, vielleicht umso schärfer,
als man damit das in Europa seiner Zeit verbreitete Vorurteil, die heutigen
Hellenen seien eigentlich Slawen, widerlegen will. Mit Rußland speziell sind
alle Verbindungen abgebrochen, die Sympathien der Königin für ihre Heimat
erstrecken sich nicht weiter als auf die hcinfigen Besuche, die sie von ihren Ver¬
wandten erhält, welche sich ganz gut amüsiren, aber so harmlos und inoffensiv
als möglich auftreten. Der König ist Protestant geblieben, die Kinder dagegen
werden im griechischen Glauben erzogen. Gegen Österreich, seit es Bosnien
und die Herzegowina okkupirt hat und Miene macht nach Snlonichi vorzudringen
und ein Südslawenrcich uuter sein Protektorat zu nehmen, hat die öffentliche
Meinung ebenfalls Front gemacht, obgleich in dieser Richtung eine entschiedn«
Aktion wohl weder von Wien noch von Pest aus zu befürchten steht. Die
byzantinische Idee, d. h. die Wiederherstellung eines griechischen Kaisertums,
ist zwar noch nicht ausgestorben, aber doch in weite, ungewisse Ferne ge¬
rückt. Durch die Bildung neuer und an materieller Kraft Griechenland über¬
legner Staaten auf der Balkanhalbinsel, wie z. B. Rumäniens, sind für die
Erbschaft des kranken Mannes am Bosporus Konkurrenten entstanden, mit denen
man rechnen muß. Für die zukünftige Gestaltung des Orients wird jedenfalls
die griechische Nation das wichtigste Kulturelement bilden, ob sie aber die po¬
litische Hegemonie zu führen vermag, darüber naße ich mir nicht an zu urteilen.
Auf den Inseln und in Kleinasien stünden die Aspekten schon etwas günstiger,
allein wenn man schließlich die Türken aus Europa vertreibt, muß man sie
doch wenigstens in Asien lassen.

Beinahe ganz ihres Ansehens und Kredits verlustig gegangen sind die
sogenannten Fcmarioten, d. h. jene Griechen, welche nach der Eroberung Kon¬
stantinopels dort zurückblieben und durch Lift, Biegsamkeit und Intrigue» aller
Art bei den neuen Herren sich in Gunst zu setzen wußten. Sie bewohnen
das stille, abgelegne Quartier Fanar — daher der Name — am Fuße des nörd¬
lichsten Hügels von Stambul, wo sich das goldne Horn nach den süßen Wassern
hin verengt, wo die Kaiserpaläste der Paläologen und Komnenen standen und
noch heutzutage melancholische Erinnerungen aus verfallenen Säulenhallen und
Kirchenruinen sprechen. Die Fcmarioten sind mehrfach die Überreste des alten
byzantinischen Adels, so gehören ihnen die Mcmrokordatos, Kcilimachis, Ipsilantis,
Soutzos, Ghikas u. a. an, die früher, als die Türkei noch in ihrer Integrität
bestand, in hohen Verwaltungsstellen als Hospodare der Donaufürstentümer
(Walachei und Moldau) verwendet wurden oder sich im Handel und als Bankiers
und Fincmzpcichtcr enorme Vermögen erwarben, wie z. B. das Haus Beltcizzi.
Mit jenen Ämtern und Würden hat es jetzt ein Ende genommen, und was die
Geldgeschäfte betrifft, so wendet sich die Pforte mit mehr Vertrauen den Ar¬
meniern und Juden zu. Wenn die Fcmarioten gewissermaßen die griechische
Aristokratie zu reprcisentiren sich das Ansehen geben, so wolle man damit nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/259>, abgerufen am 24.08.2024.