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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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i^amoens.

Um aller Heiligen willen! Ihr wagt ja Kopf und Leben, wenn Ihr
solchen Bericht ins Volk schleudert und nicht besser sagen könnt, was aus König
Sebastian geworden ist! Wißt Ihr nichts, garnichts von den Begleitern des
Königs, von denen, die im Lager um ihn und bei seinen Zelten waren? Haben
die Marokkaner denn das Lager der Unsern erobert? fragte Camoens, und sein
Blick hing so flehentlich gespannt an den Lippen des wunden Soldaten, daß dieser
unwillkürlich ein paar Schritte vor dem drängenden Frager zurücktrat.

Ich wüßte nicht, wer es ihnen hätte wehren sollen! rief der Ankömmling.
Noch einmal, Senhor! wir sind keine Memmen, die in der Schlacht ihre Fahne
verlassen haben! Wir haben gestritten, so lange wir konnten, und an das nackt
Leben erst gedacht, als alles verloren war. Es giebt kein portugiesisches Heer
mehr, versprengte Häuflein gleich unserm irren vielleicht nach der Küste und
suchen die Flotte; was die Mohren nicht gefangen haben, liegt erschlagen, tausend
bei tausend, und es werden wenige darunter sein, die ihre Wunden im Rücken
tragen! Wenn der König lebt, werdet Ihr es bald genug hören, das Lösegeld
wird nicht klein sein, das der siegreiche Sultan von Fes begehren wird.

Das ganze Heer! sagte Camoens vor sich hin und nahm seine schmerzende
Stirn zwischen beide Hände, als ob er eine völlig dunkle, verworrene Erzählung
vernähme, in die er Klarheit und Sinn hineinbringen möchte. Wie war es
möglich, daß wir eine solche Niederlage erlitten, daß die Schlacht ohne Rettung
verloren ging und alles, alles geopfert ward?

Wie es möglich war? fragte der Soldat finster dagegen. Malt es Euch
aus, wie es um unser Heer stand: glühende Sonne über wüsten Sandflächen
und dornigtem Gestrüpp, und weit und breit kein Schatten, keine andre Er-
quickung für unsre Schaaren, die seit vierundzwanzig Stunden weder Brot noch
sonst etwas erhalten hatten, als das trübe Wasser des Flusses! Im Heere des
Feindes die zehnfache Übermacht, Heuschreckenschwärme leichter Reiter, deren
Pferde frisch waren, während die unsern ihre Kräfte bei dem Marsche von
Arzilla bis zur Ebene von Alcacer erschöpft hatten! Vor Beginn der Schlacht
eine schlaflose Nacht, denn der König ließ die Unsern vor dem Morgengrauen
wecken! Nehmt dazu, Senhor: vor der Schlacht befahlen auf unsrer Seite alle
und in der Schlacht keiner! Dom Sebastian warf sich gleich zu Anfang mit
den Edelleuten seines Hauses und seinen Leibwachen auf den Feind, und jeder,
der einen Haufen führte, that, was ihm das Rechte schien. Die schwerbewaffneten
Deutschen erstickten in ihren Harnischen, als sie im Anlauf an den Feind zu
kommen suchten, jeder Oberst stritt für sich ohne Plan, und niemand übersah
das Schlachtfeld im ganzen. Wir verließen unser Lager, wo uns Hügel und
Gräben notdürftig gegen den Anprall der Mohren gedeckt hatten, wir sollten
von einer Wagenburg umschlossen werden, aber die Vortruppen unter dem
großen Banner des Königs, das Dom Luis de Menezes trug, waren schon
mit den Marokkanern handgemein, ehe ein Karren heranfahren konnte. Unsre


i^amoens.

Um aller Heiligen willen! Ihr wagt ja Kopf und Leben, wenn Ihr
solchen Bericht ins Volk schleudert und nicht besser sagen könnt, was aus König
Sebastian geworden ist! Wißt Ihr nichts, garnichts von den Begleitern des
Königs, von denen, die im Lager um ihn und bei seinen Zelten waren? Haben
die Marokkaner denn das Lager der Unsern erobert? fragte Camoens, und sein
Blick hing so flehentlich gespannt an den Lippen des wunden Soldaten, daß dieser
unwillkürlich ein paar Schritte vor dem drängenden Frager zurücktrat.

Ich wüßte nicht, wer es ihnen hätte wehren sollen! rief der Ankömmling.
Noch einmal, Senhor! wir sind keine Memmen, die in der Schlacht ihre Fahne
verlassen haben! Wir haben gestritten, so lange wir konnten, und an das nackt
Leben erst gedacht, als alles verloren war. Es giebt kein portugiesisches Heer
mehr, versprengte Häuflein gleich unserm irren vielleicht nach der Küste und
suchen die Flotte; was die Mohren nicht gefangen haben, liegt erschlagen, tausend
bei tausend, und es werden wenige darunter sein, die ihre Wunden im Rücken
tragen! Wenn der König lebt, werdet Ihr es bald genug hören, das Lösegeld
wird nicht klein sein, das der siegreiche Sultan von Fes begehren wird.

Das ganze Heer! sagte Camoens vor sich hin und nahm seine schmerzende
Stirn zwischen beide Hände, als ob er eine völlig dunkle, verworrene Erzählung
vernähme, in die er Klarheit und Sinn hineinbringen möchte. Wie war es
möglich, daß wir eine solche Niederlage erlitten, daß die Schlacht ohne Rettung
verloren ging und alles, alles geopfert ward?

Wie es möglich war? fragte der Soldat finster dagegen. Malt es Euch
aus, wie es um unser Heer stand: glühende Sonne über wüsten Sandflächen
und dornigtem Gestrüpp, und weit und breit kein Schatten, keine andre Er-
quickung für unsre Schaaren, die seit vierundzwanzig Stunden weder Brot noch
sonst etwas erhalten hatten, als das trübe Wasser des Flusses! Im Heere des
Feindes die zehnfache Übermacht, Heuschreckenschwärme leichter Reiter, deren
Pferde frisch waren, während die unsern ihre Kräfte bei dem Marsche von
Arzilla bis zur Ebene von Alcacer erschöpft hatten! Vor Beginn der Schlacht
eine schlaflose Nacht, denn der König ließ die Unsern vor dem Morgengrauen
wecken! Nehmt dazu, Senhor: vor der Schlacht befahlen auf unsrer Seite alle
und in der Schlacht keiner! Dom Sebastian warf sich gleich zu Anfang mit
den Edelleuten seines Hauses und seinen Leibwachen auf den Feind, und jeder,
der einen Haufen führte, that, was ihm das Rechte schien. Die schwerbewaffneten
Deutschen erstickten in ihren Harnischen, als sie im Anlauf an den Feind zu
kommen suchten, jeder Oberst stritt für sich ohne Plan, und niemand übersah
das Schlachtfeld im ganzen. Wir verließen unser Lager, wo uns Hügel und
Gräben notdürftig gegen den Anprall der Mohren gedeckt hatten, wir sollten
von einer Wagenburg umschlossen werden, aber die Vortruppen unter dem
großen Banner des Königs, das Dom Luis de Menezes trug, waren schon
mit den Marokkanern handgemein, ehe ein Karren heranfahren konnte. Unsre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/239>, abgerufen am 22.07.2024.