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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Hermann Lotzes kleine Schriften.

Bisweilen nur umzieht die Mundwinkel des Rezensenten das verstohlene Lächeln
einer feinen Ironie, die hie und da selbst zum Sarkasmus wird. Einige
Beispiele anzuführen, kann ich mich nicht enthalten. Über die Bemerkung eines
französischen Kanterklürers, der aus der Bekanntschaft mit dem Seeleben und
dem Treiben der Matrosen sehr viel Bilder und Vergleichungen Kants erklären
will, meint Lotze, daß zur vollendeten Feinheit dieser Bemerkung nichts als
der Nachweis fehle, daß Kant wirklich solche Bilder mit Vorliebe gebraucht
habe. Darauf fährt er fort: "Wenn wir in diesen Betrachtungen nur jene
Hyperkritik unsrer Zeit ausgedrückt finden, die mit geringen Mitteln und auf
einer nadelspitzigen Basis eine vollkommene durchdringende Menschenkenntnis
entfalten möchte, so wollen wir doch nicht länger mit dem Verfasser-rechten
über dasjenige, was in seinem Werke überflüssig ist, sondern lieber zu dem
kommen, was uns zu fehlen scheint." Die Rezension über einen andern Franzosen,
Francisque Bouillier, der das Ergebnis seiner ZZiLtmro se frit1<ius Äo 1a
rsvvllckioii ^artssisnns in den Satz zusammenfaßt: I^s LiU'tssnW^ins 68t wert,
Iluus LOU ssxrit- vit SV nous, 11 est 1'vsxrit asino As 1a Lviöllvv, as 1a xllilo-
ssxllis se as ig. sivilisMou ass tswxs inoäsrnss, schließt Lotze mit folgendem
Denkzettel: "Der erste Satz dieser Periode ist eine zugestandene Wahrheit, mit
dem zweiten chamkterifirt der Verfasser seine eigne Bildung und mit dem dritten
befiehlt er uns nachzusinnen, inwieweit es den Franzosen möglich geworden ist,
fremde Literatur und Philosophie zu verstehen."

Wir schließen mit dem Wunsche, daß nach der glücklichen Vollendung der
"Kleinen Schriften" eine Gesamtausgabe der Lotzischen Werke nicht allzu lange
auf sich warten lassen möge. Ein Bedürfnis ist sie: eine Reihe der ältern
Schriften, die medizinische Psychologie, vie erste Logik, die alte Metaphysik sind
vergriffen. Erst dann, wenn die stattliche Reihe der Werke vereinigt ist, wird
man klar übersehe,: können, welche Summe von Arbeit und Geist in ihnen auf¬
gehäuft ist. Die Aussicht auf eine Gesamtausgabe würde es uns auch leichter
verschmerzen lassen, daß die 1840 erschienenen "Gedichte" Lotzcs von den "Kleinen
Schriften" ausgeschlossen worden sind. Sie sind längst vergriffen, antiquarisch
schwer zu bekommen und als lyrische Gedichte auf welcher wissenschaftlichen
Bibliothek wohl vorhanden?




Hermann Lotzes kleine Schriften.

Bisweilen nur umzieht die Mundwinkel des Rezensenten das verstohlene Lächeln
einer feinen Ironie, die hie und da selbst zum Sarkasmus wird. Einige
Beispiele anzuführen, kann ich mich nicht enthalten. Über die Bemerkung eines
französischen Kanterklürers, der aus der Bekanntschaft mit dem Seeleben und
dem Treiben der Matrosen sehr viel Bilder und Vergleichungen Kants erklären
will, meint Lotze, daß zur vollendeten Feinheit dieser Bemerkung nichts als
der Nachweis fehle, daß Kant wirklich solche Bilder mit Vorliebe gebraucht
habe. Darauf fährt er fort: „Wenn wir in diesen Betrachtungen nur jene
Hyperkritik unsrer Zeit ausgedrückt finden, die mit geringen Mitteln und auf
einer nadelspitzigen Basis eine vollkommene durchdringende Menschenkenntnis
entfalten möchte, so wollen wir doch nicht länger mit dem Verfasser-rechten
über dasjenige, was in seinem Werke überflüssig ist, sondern lieber zu dem
kommen, was uns zu fehlen scheint." Die Rezension über einen andern Franzosen,
Francisque Bouillier, der das Ergebnis seiner ZZiLtmro se frit1<ius Äo 1a
rsvvllckioii ^artssisnns in den Satz zusammenfaßt: I^s LiU'tssnW^ins 68t wert,
Iluus LOU ssxrit- vit SV nous, 11 est 1'vsxrit asino As 1a Lviöllvv, as 1a xllilo-
ssxllis se as ig. sivilisMou ass tswxs inoäsrnss, schließt Lotze mit folgendem
Denkzettel: „Der erste Satz dieser Periode ist eine zugestandene Wahrheit, mit
dem zweiten chamkterifirt der Verfasser seine eigne Bildung und mit dem dritten
befiehlt er uns nachzusinnen, inwieweit es den Franzosen möglich geworden ist,
fremde Literatur und Philosophie zu verstehen."

Wir schließen mit dem Wunsche, daß nach der glücklichen Vollendung der
„Kleinen Schriften" eine Gesamtausgabe der Lotzischen Werke nicht allzu lange
auf sich warten lassen möge. Ein Bedürfnis ist sie: eine Reihe der ältern
Schriften, die medizinische Psychologie, vie erste Logik, die alte Metaphysik sind
vergriffen. Erst dann, wenn die stattliche Reihe der Werke vereinigt ist, wird
man klar übersehe,: können, welche Summe von Arbeit und Geist in ihnen auf¬
gehäuft ist. Die Aussicht auf eine Gesamtausgabe würde es uns auch leichter
verschmerzen lassen, daß die 1840 erschienenen „Gedichte" Lotzcs von den „Kleinen
Schriften" ausgeschlossen worden sind. Sie sind längst vergriffen, antiquarisch
schwer zu bekommen und als lyrische Gedichte auf welcher wissenschaftlichen
Bibliothek wohl vorhanden?




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[0221] Hermann Lotzes kleine Schriften. Bisweilen nur umzieht die Mundwinkel des Rezensenten das verstohlene Lächeln einer feinen Ironie, die hie und da selbst zum Sarkasmus wird. Einige Beispiele anzuführen, kann ich mich nicht enthalten. Über die Bemerkung eines französischen Kanterklürers, der aus der Bekanntschaft mit dem Seeleben und dem Treiben der Matrosen sehr viel Bilder und Vergleichungen Kants erklären will, meint Lotze, daß zur vollendeten Feinheit dieser Bemerkung nichts als der Nachweis fehle, daß Kant wirklich solche Bilder mit Vorliebe gebraucht habe. Darauf fährt er fort: „Wenn wir in diesen Betrachtungen nur jene Hyperkritik unsrer Zeit ausgedrückt finden, die mit geringen Mitteln und auf einer nadelspitzigen Basis eine vollkommene durchdringende Menschenkenntnis entfalten möchte, so wollen wir doch nicht länger mit dem Verfasser-rechten über dasjenige, was in seinem Werke überflüssig ist, sondern lieber zu dem kommen, was uns zu fehlen scheint." Die Rezension über einen andern Franzosen, Francisque Bouillier, der das Ergebnis seiner ZZiLtmro se frit1<ius Äo 1a rsvvllckioii ^artssisnns in den Satz zusammenfaßt: I^s LiU'tssnW^ins 68t wert, Iluus LOU ssxrit- vit SV nous, 11 est 1'vsxrit asino As 1a Lviöllvv, as 1a xllilo- ssxllis se as ig. sivilisMou ass tswxs inoäsrnss, schließt Lotze mit folgendem Denkzettel: „Der erste Satz dieser Periode ist eine zugestandene Wahrheit, mit dem zweiten chamkterifirt der Verfasser seine eigne Bildung und mit dem dritten befiehlt er uns nachzusinnen, inwieweit es den Franzosen möglich geworden ist, fremde Literatur und Philosophie zu verstehen." Wir schließen mit dem Wunsche, daß nach der glücklichen Vollendung der „Kleinen Schriften" eine Gesamtausgabe der Lotzischen Werke nicht allzu lange auf sich warten lassen möge. Ein Bedürfnis ist sie: eine Reihe der ältern Schriften, die medizinische Psychologie, vie erste Logik, die alte Metaphysik sind vergriffen. Erst dann, wenn die stattliche Reihe der Werke vereinigt ist, wird man klar übersehe,: können, welche Summe von Arbeit und Geist in ihnen auf¬ gehäuft ist. Die Aussicht auf eine Gesamtausgabe würde es uns auch leichter verschmerzen lassen, daß die 1840 erschienenen „Gedichte" Lotzcs von den „Kleinen Schriften" ausgeschlossen worden sind. Sie sind längst vergriffen, antiquarisch schwer zu bekommen und als lyrische Gedichte auf welcher wissenschaftlichen Bibliothek wohl vorhanden?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/221>, abgerufen am 22.07.2024.