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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Allgemeineres über Irland.

sich, wie es wirken mußte, daß gegen 160S das Tanistrhsystem, welches that¬
sächlich schon vielfach verletzt worden war, förmlich aufgehoben wurde und
Herrscher einer andern Rasse und einer andern Religion die Masse nach ganz
fremden Grundeigentumsbegriffen behandelten. Konnte es denn etwas wesent¬
liches ändern, daß man den Irländern dafür politisch gleiche Berechtigungen
gegeben hat? Oder daß es eine Menge englischer Grundherren gab, die ihre
irischen Unterthanen mit christlicher Güte und wahrhaft human behandelten?
Die Dinge gingen ihren Weg. der nicht von einzelnen Individuen, sondern von
dem ganzen Zusammenhange der Einrichtungen bestimmt wird. Die Interessen
trennten sich. Der Grundherr wollte hohe Pacht, kurze Pachtdcmer, rücksichts¬
lose Vertreibung des nicht pünktlich zahlenden Pächters; der Pächter wollte
billige Pachtrente, lange Pachtdcmer, Ersatz für die in der Pachtzeit von ihm
gemachten Aufwendungen (Meliorationen), auch Möglichkeit eines völlig selb¬
ständigen Erwerbes der Grundstücke. Wird in diesem Streit der Interessen alles
dem Privatrecht überlassen, so weiß man, wie die Folgen dann sein müssen,
wenn einmal die Machtverhältnisse von Anfang an so ungleich sind. Die Zu¬
stände, die nach römischem Privatrecht sich in Sizilien unmittelbar vor den
Sklavenkricgen entwickelt hatten, sind zwar in Irland noch nicht erreicht, aber
wir erschrecken doch, wenn wir lesen, daß 110 Personen als große Grund¬
herren den fünften Teil des ganzen irischen Landes besitzen, gegen 350 Herren
die Hälfte der Fläche. Was wir bäuerlichen Mittelstand nennen, was wir
durch unsre Stein-Hnrdenbergschen Reformen 1807 u. ff. mit großem Eifer und
nicht ohne Erfolg zu gewinnen und zu befestigen strebten, was anch in Frank¬
reich sich noch immer als ein staatserhaltendcs Element der Bevölkerung er¬
weist: eine große Zahl freier kleiner und mittlerer Grundbesitzer, das fehlt in
Irland mehr und mehr. Die tiefe Mißstimmung, die damit verbunoen ist,
giebt sich nicht nur in der beklagenswert großen Auswanderung kund, selbst der
Ertrag des von fremden, unwilligen, hoffnungsarmen Kräften bearbeiteten
Bodens ist völlig ungenügend, obgleich sonst die Großwirtschaft ihre Vorzüge
in Bezug auf den Ertrag so oft beweist. Dabei mehren sich die Zahlen der
Armen in Irland, die auf die gesetzliche Unterstützung Anspruch machen. Die
Krisis ist seit Jahren deutlich geworden. Sie wird von den tüchtigsten Männern
studirt, und die auf industriellem Gebiete, wie oben erwähnt, eingetretene Über¬
zeugung, daß das Privatrecht doch nicht alles leiste, übt ihre heilsame Wirkung
auch auf dem agrarischen Gebiete. Alle sagen, daß etwas geschehen müsse.
Die Titel der Gesetze, z. B. "Zur Verbesserung der Gesetze betreffend die Er¬
werbung und das Eigentumsrecht an Land in Irland," zeigen schon, um was
es sich handelt. Die Grafschaftsgerichte, mehr Selbstverwaltungsbehörden als
Gerichte, sollen ans Verlange!, des Pächters gerechten Zins lMr reich fest¬
stellen; diese Feststellung soll wenigstens für fünfzehn Jahre gelten, wenn die
Pacht bezahlt wird, die Entschädigungen für geleistete Meliorationen sollen


Grenzlwten III. 1886. 26
Allgemeineres über Irland.

sich, wie es wirken mußte, daß gegen 160S das Tanistrhsystem, welches that¬
sächlich schon vielfach verletzt worden war, förmlich aufgehoben wurde und
Herrscher einer andern Rasse und einer andern Religion die Masse nach ganz
fremden Grundeigentumsbegriffen behandelten. Konnte es denn etwas wesent¬
liches ändern, daß man den Irländern dafür politisch gleiche Berechtigungen
gegeben hat? Oder daß es eine Menge englischer Grundherren gab, die ihre
irischen Unterthanen mit christlicher Güte und wahrhaft human behandelten?
Die Dinge gingen ihren Weg. der nicht von einzelnen Individuen, sondern von
dem ganzen Zusammenhange der Einrichtungen bestimmt wird. Die Interessen
trennten sich. Der Grundherr wollte hohe Pacht, kurze Pachtdcmer, rücksichts¬
lose Vertreibung des nicht pünktlich zahlenden Pächters; der Pächter wollte
billige Pachtrente, lange Pachtdcmer, Ersatz für die in der Pachtzeit von ihm
gemachten Aufwendungen (Meliorationen), auch Möglichkeit eines völlig selb¬
ständigen Erwerbes der Grundstücke. Wird in diesem Streit der Interessen alles
dem Privatrecht überlassen, so weiß man, wie die Folgen dann sein müssen,
wenn einmal die Machtverhältnisse von Anfang an so ungleich sind. Die Zu¬
stände, die nach römischem Privatrecht sich in Sizilien unmittelbar vor den
Sklavenkricgen entwickelt hatten, sind zwar in Irland noch nicht erreicht, aber
wir erschrecken doch, wenn wir lesen, daß 110 Personen als große Grund¬
herren den fünften Teil des ganzen irischen Landes besitzen, gegen 350 Herren
die Hälfte der Fläche. Was wir bäuerlichen Mittelstand nennen, was wir
durch unsre Stein-Hnrdenbergschen Reformen 1807 u. ff. mit großem Eifer und
nicht ohne Erfolg zu gewinnen und zu befestigen strebten, was anch in Frank¬
reich sich noch immer als ein staatserhaltendcs Element der Bevölkerung er¬
weist: eine große Zahl freier kleiner und mittlerer Grundbesitzer, das fehlt in
Irland mehr und mehr. Die tiefe Mißstimmung, die damit verbunoen ist,
giebt sich nicht nur in der beklagenswert großen Auswanderung kund, selbst der
Ertrag des von fremden, unwilligen, hoffnungsarmen Kräften bearbeiteten
Bodens ist völlig ungenügend, obgleich sonst die Großwirtschaft ihre Vorzüge
in Bezug auf den Ertrag so oft beweist. Dabei mehren sich die Zahlen der
Armen in Irland, die auf die gesetzliche Unterstützung Anspruch machen. Die
Krisis ist seit Jahren deutlich geworden. Sie wird von den tüchtigsten Männern
studirt, und die auf industriellem Gebiete, wie oben erwähnt, eingetretene Über¬
zeugung, daß das Privatrecht doch nicht alles leiste, übt ihre heilsame Wirkung
auch auf dem agrarischen Gebiete. Alle sagen, daß etwas geschehen müsse.
Die Titel der Gesetze, z. B. „Zur Verbesserung der Gesetze betreffend die Er¬
werbung und das Eigentumsrecht an Land in Irland," zeigen schon, um was
es sich handelt. Die Grafschaftsgerichte, mehr Selbstverwaltungsbehörden als
Gerichte, sollen ans Verlange!, des Pächters gerechten Zins lMr reich fest¬
stellen; diese Feststellung soll wenigstens für fünfzehn Jahre gelten, wenn die
Pacht bezahlt wird, die Entschädigungen für geleistete Meliorationen sollen


Grenzlwten III. 1886. 26
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[0209] Allgemeineres über Irland. sich, wie es wirken mußte, daß gegen 160S das Tanistrhsystem, welches that¬ sächlich schon vielfach verletzt worden war, förmlich aufgehoben wurde und Herrscher einer andern Rasse und einer andern Religion die Masse nach ganz fremden Grundeigentumsbegriffen behandelten. Konnte es denn etwas wesent¬ liches ändern, daß man den Irländern dafür politisch gleiche Berechtigungen gegeben hat? Oder daß es eine Menge englischer Grundherren gab, die ihre irischen Unterthanen mit christlicher Güte und wahrhaft human behandelten? Die Dinge gingen ihren Weg. der nicht von einzelnen Individuen, sondern von dem ganzen Zusammenhange der Einrichtungen bestimmt wird. Die Interessen trennten sich. Der Grundherr wollte hohe Pacht, kurze Pachtdcmer, rücksichts¬ lose Vertreibung des nicht pünktlich zahlenden Pächters; der Pächter wollte billige Pachtrente, lange Pachtdcmer, Ersatz für die in der Pachtzeit von ihm gemachten Aufwendungen (Meliorationen), auch Möglichkeit eines völlig selb¬ ständigen Erwerbes der Grundstücke. Wird in diesem Streit der Interessen alles dem Privatrecht überlassen, so weiß man, wie die Folgen dann sein müssen, wenn einmal die Machtverhältnisse von Anfang an so ungleich sind. Die Zu¬ stände, die nach römischem Privatrecht sich in Sizilien unmittelbar vor den Sklavenkricgen entwickelt hatten, sind zwar in Irland noch nicht erreicht, aber wir erschrecken doch, wenn wir lesen, daß 110 Personen als große Grund¬ herren den fünften Teil des ganzen irischen Landes besitzen, gegen 350 Herren die Hälfte der Fläche. Was wir bäuerlichen Mittelstand nennen, was wir durch unsre Stein-Hnrdenbergschen Reformen 1807 u. ff. mit großem Eifer und nicht ohne Erfolg zu gewinnen und zu befestigen strebten, was anch in Frank¬ reich sich noch immer als ein staatserhaltendcs Element der Bevölkerung er¬ weist: eine große Zahl freier kleiner und mittlerer Grundbesitzer, das fehlt in Irland mehr und mehr. Die tiefe Mißstimmung, die damit verbunoen ist, giebt sich nicht nur in der beklagenswert großen Auswanderung kund, selbst der Ertrag des von fremden, unwilligen, hoffnungsarmen Kräften bearbeiteten Bodens ist völlig ungenügend, obgleich sonst die Großwirtschaft ihre Vorzüge in Bezug auf den Ertrag so oft beweist. Dabei mehren sich die Zahlen der Armen in Irland, die auf die gesetzliche Unterstützung Anspruch machen. Die Krisis ist seit Jahren deutlich geworden. Sie wird von den tüchtigsten Männern studirt, und die auf industriellem Gebiete, wie oben erwähnt, eingetretene Über¬ zeugung, daß das Privatrecht doch nicht alles leiste, übt ihre heilsame Wirkung auch auf dem agrarischen Gebiete. Alle sagen, daß etwas geschehen müsse. Die Titel der Gesetze, z. B. „Zur Verbesserung der Gesetze betreffend die Er¬ werbung und das Eigentumsrecht an Land in Irland," zeigen schon, um was es sich handelt. Die Grafschaftsgerichte, mehr Selbstverwaltungsbehörden als Gerichte, sollen ans Verlange!, des Pächters gerechten Zins lMr reich fest¬ stellen; diese Feststellung soll wenigstens für fünfzehn Jahre gelten, wenn die Pacht bezahlt wird, die Entschädigungen für geleistete Meliorationen sollen Grenzlwten III. 1886. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/209>, abgerufen am 22.07.2024.