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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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in nichtakademischen Kreisen, Sie tragen in der Regel einfarbige Mützen und
zweifarbige Bierzipfel und verlangen von ihren Mitgliedern fast das gleiche
Aufgehen in dem Vereine, wie es die Korps und Verbindungen fordern, ohne
ihnen jedoch den festen Halt zu gewühreu, den diese bieten. Bei der oft sehr
großen Zahl der Mitglieder ist ein engeres Gemeinschaftsleben auch nicht möglich;
es bilden fich wieder kleinere Gemeinschaften im Vereine, "Ecken," deren gegen¬
seitiges Verhältnis manchmal sogar nicht gerade freundschaftlich ist. Merk¬
würdigerweise sind die Gesangvereine in studentischen Kreisen weniger beliebt.
Wenn auch die meisten der gegen sie erhobenen Vorwürfe unberechtigt sind, so
muß doch zweierlei gesagt werden: der Gesang kann für Studenten nicht gut
gemeinschaftbildend sein; und viele dieser Gesangvereine gehen im Popularisireu
des Studentenlebens etwas zu weit. Von den cckcidemifchen Turnvereinen, die
auch einen großen Verband gegründet haben, haben die meisten drei Farben und
besondre Namen angenommen; damit ist das Turnen freilich Nebensache ge¬
worden, und die betreffenden Vereine stehen, was Mensuren und innere Gemein¬
schaft anlangt, fast ganz den Verbindungen gleich.

Im letzten Jahrzehnt find fast an allen deutschen Universitäten "Vereine
deutscher Studenten" entstanden, die sich die Pflege des nationalen Sinnes und
christlich-germanischen Geistes zur Aufgabe machen. Begreiflicherweise sind
diese jungen Vereine noch in der Klärung begriffen und innerlich noch nicht
ganz gefestigt, sie haben sich aber schon überall Sympathien erworben und
nehmen besonders in den größern Städten eine achtunggebietende Stellung ein.
Ihre Bedeutung liegt nicht in ihrer Mitgliederzahl -- obwohl sie fast überall ver¬
hältnismäßig "stark" sind --, sondern vielmehr in dem Einflüsse, den sie auf
die Studentenschaft thatsächlich ausüben, und in der Sympathie, deren sie sich
bei den meisten Kommilitonen erfreuen. Ihr Verdienst besteht unter andern
darin, daß sie an gewissen Universitäten die bisher immer getrennte Studentenschaft
wieder zu gemeinsamen Handlungen veranlaßt haben (Feier des 18. Januar ze.).
Man hat ihnen von gegnerischer Seite den Vorwurf gemacht, daß sie antisemi¬
tisch seien und die Politik in das Studentenleben hineintrügen. Das erstere
ist wahr; sie sind Gegner der Juden, aber ihr Wesen wird deshalb nicht mit
dem Worte Antisemitismus bezeichnet. Sie sind nur antisemitisch, weil sie christ¬
lich-germanisch sind und die Gefahren, die dem germanischen Geiste vonseiten
des Judentums drohen, erkannt haben. Der andre Vorwurf ist aber durchaus
unberechtigt. Es ist ein großes Mißverständnis, die Pflege des nationalen
Sinnes eine politische Beschäftigung zu nennen. Dann würde auch die Königs¬
treue etwas Politisches sein und der Korpsstudent die Politik in das Studenten¬
leben hineintragen, der den ersten Salamander auf den Kaiser reibt. Cvulenr
tragen die "deutschen Studenten" nicht, nehmen auch in der Duellfrage keine
besondre Stellung ein; doch haben sie sich an einigen Universitäten auch auf
dem Fechtboden tüchtig bewiesen.


in nichtakademischen Kreisen, Sie tragen in der Regel einfarbige Mützen und
zweifarbige Bierzipfel und verlangen von ihren Mitgliedern fast das gleiche
Aufgehen in dem Vereine, wie es die Korps und Verbindungen fordern, ohne
ihnen jedoch den festen Halt zu gewühreu, den diese bieten. Bei der oft sehr
großen Zahl der Mitglieder ist ein engeres Gemeinschaftsleben auch nicht möglich;
es bilden fich wieder kleinere Gemeinschaften im Vereine, „Ecken," deren gegen¬
seitiges Verhältnis manchmal sogar nicht gerade freundschaftlich ist. Merk¬
würdigerweise sind die Gesangvereine in studentischen Kreisen weniger beliebt.
Wenn auch die meisten der gegen sie erhobenen Vorwürfe unberechtigt sind, so
muß doch zweierlei gesagt werden: der Gesang kann für Studenten nicht gut
gemeinschaftbildend sein; und viele dieser Gesangvereine gehen im Popularisireu
des Studentenlebens etwas zu weit. Von den cckcidemifchen Turnvereinen, die
auch einen großen Verband gegründet haben, haben die meisten drei Farben und
besondre Namen angenommen; damit ist das Turnen freilich Nebensache ge¬
worden, und die betreffenden Vereine stehen, was Mensuren und innere Gemein¬
schaft anlangt, fast ganz den Verbindungen gleich.

Im letzten Jahrzehnt find fast an allen deutschen Universitäten „Vereine
deutscher Studenten" entstanden, die sich die Pflege des nationalen Sinnes und
christlich-germanischen Geistes zur Aufgabe machen. Begreiflicherweise sind
diese jungen Vereine noch in der Klärung begriffen und innerlich noch nicht
ganz gefestigt, sie haben sich aber schon überall Sympathien erworben und
nehmen besonders in den größern Städten eine achtunggebietende Stellung ein.
Ihre Bedeutung liegt nicht in ihrer Mitgliederzahl — obwohl sie fast überall ver¬
hältnismäßig „stark" sind —, sondern vielmehr in dem Einflüsse, den sie auf
die Studentenschaft thatsächlich ausüben, und in der Sympathie, deren sie sich
bei den meisten Kommilitonen erfreuen. Ihr Verdienst besteht unter andern
darin, daß sie an gewissen Universitäten die bisher immer getrennte Studentenschaft
wieder zu gemeinsamen Handlungen veranlaßt haben (Feier des 18. Januar ze.).
Man hat ihnen von gegnerischer Seite den Vorwurf gemacht, daß sie antisemi¬
tisch seien und die Politik in das Studentenleben hineintrügen. Das erstere
ist wahr; sie sind Gegner der Juden, aber ihr Wesen wird deshalb nicht mit
dem Worte Antisemitismus bezeichnet. Sie sind nur antisemitisch, weil sie christ¬
lich-germanisch sind und die Gefahren, die dem germanischen Geiste vonseiten
des Judentums drohen, erkannt haben. Der andre Vorwurf ist aber durchaus
unberechtigt. Es ist ein großes Mißverständnis, die Pflege des nationalen
Sinnes eine politische Beschäftigung zu nennen. Dann würde auch die Königs¬
treue etwas Politisches sein und der Korpsstudent die Politik in das Studenten¬
leben hineintragen, der den ersten Salamander auf den Kaiser reibt. Cvulenr
tragen die „deutschen Studenten" nicht, nehmen auch in der Duellfrage keine
besondre Stellung ein; doch haben sie sich an einigen Universitäten auch auf
dem Fechtboden tüchtig bewiesen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/138>, abgerufen am 22.07.2024.