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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Zuckersteuer und ihre Reform.

ein Zurückbleiben des Ertrages der genannten Steuer um etwa zwanzig Mil¬
lionen Mark hinter dem Voranschlage ausweist.

Diese Steuer und die Notwendigkeit einer Reform derselben ist somit ein
Gegenstand von ungewöhnlicher Wichtigkeit, der umsomehr eine Betrachtung ver¬
dient, als er von großem Einstich auf die deutsche Landwirtschaft ist, in welcher
der Rübenbau eine stetig an Bedeutung zunehmende Rolle spielt, und als es
dabei einen Industriezweig zu erhalten und zu fördern gilt, welcher einerseits
echt national ist, anderseits, wenn Regierung und Reichstag ihm die gebührende
Stütze und Pflege zu teil werden lassen, noch reichere Früchte zu liefern ver¬
spricht, als er bisher schon getragen hat. Der Rübenzucker wurde von einem
Deutschen, dem Direktor der physikalischen Klasse der königlich preußischen Aka¬
demie der Wissenschaften, Marggrnf, 1747 entdeckt, und die Industrie, die sich
mit seiner Herstellung befaßt, hat einen andern Deutschen, den Berliner Achard,
Marggraff Nachfolger an der Akademie, zum Begründer (1786 bis 181V).
Ihre Förderung gehört zu den Verdiensten der Regierung Friedrich Wilhelms III.
Zuerst in Niederschlesien (Cnnern bei Wohlan und Krayu bei Strehlen) und in
der Provinz Sachsen (Althaldensleben) betrieben, ist sie gegenwärtig das wich¬
tigste landwirtschaftliche Gewerbe in Deutschland und hat alle Aussicht, zu noch
größerer Bedeutung zu gelangen. Es ist, wie C. Scheibler, wohl der gründ¬
lichste Kenner der Sache, sagt,*) geradezu eine nationale Aufgabe, sie weiter zu
entwickeln und über alle Provinzen des Reiches auszubreiten. Nichts kann
nach der Darlegung Scheiblers unrichtiger sein als die Ansicht, das Zucker¬
rohr der überseeischen Länder sei in erster Reihe berufen, die Welt mit Zucker
zu versorgen, und es sei volkswirtschaftlich unrationell, jene Pflanze durch den
Anbau unsrer Rübe zu ersetzen. "Der Zucker beider Pflanzen ist physikalisch
und chemisch genau derselbe, aber die aus ihnen gleichzeitig abfallenden Neben-
bestandteile haben einen sehr verschiednen Wert: die bei der Herstellung von
Zucker aus Rohr verbleibenden Rückstände sind nur ein schlechtes Brennmaterial,
die Rübenrückstäude dagegen ein ausgezeichnetes Viehfutter. In dem Maße, in
welchem in den Kolonien die Sklaverei beseitigt wird, steigt unter der freien
Bevölkerung der Bedarf an Fleischnahrung, und damit wird der Anbau von
Zuckerrohr, welcher keine Fleischproduktiou zuläßt, immer mehr eingeschränkt
werden müssen." Dieser Gang der Dinge ist schon seit Jahren deutlich zu be¬
merken, der Zuckerrohrbau hat allmählich abgenommen, der Zuckerrübenbau hat
sich rasch ausgebreitet, und der Zeitpunkt ist nicht fern, wo die Rübe das Rohr
gänzlich besiegen und verdrängen wird. Der Zucker ist, seitdem er aus der
Rübe gewonnen wird, stetig wohlfeiler geworden, während von andern Produkten
der Kolonien, wie Kaffee und Tabak, das Gegenteil gilt. Aber abgesehen davon,



NcmerkiNMN zu der neuen Zuckersteuergesetzvorlnue von Professor Dr. C. Scheibler.
Separcitabdrnck aus dessen Neuer Zeitschrift für Riwenzuckerindusirie Bd. XVI, Ur. 1v,
Die Zuckersteuer und ihre Reform.

ein Zurückbleiben des Ertrages der genannten Steuer um etwa zwanzig Mil¬
lionen Mark hinter dem Voranschlage ausweist.

Diese Steuer und die Notwendigkeit einer Reform derselben ist somit ein
Gegenstand von ungewöhnlicher Wichtigkeit, der umsomehr eine Betrachtung ver¬
dient, als er von großem Einstich auf die deutsche Landwirtschaft ist, in welcher
der Rübenbau eine stetig an Bedeutung zunehmende Rolle spielt, und als es
dabei einen Industriezweig zu erhalten und zu fördern gilt, welcher einerseits
echt national ist, anderseits, wenn Regierung und Reichstag ihm die gebührende
Stütze und Pflege zu teil werden lassen, noch reichere Früchte zu liefern ver¬
spricht, als er bisher schon getragen hat. Der Rübenzucker wurde von einem
Deutschen, dem Direktor der physikalischen Klasse der königlich preußischen Aka¬
demie der Wissenschaften, Marggrnf, 1747 entdeckt, und die Industrie, die sich
mit seiner Herstellung befaßt, hat einen andern Deutschen, den Berliner Achard,
Marggraff Nachfolger an der Akademie, zum Begründer (1786 bis 181V).
Ihre Förderung gehört zu den Verdiensten der Regierung Friedrich Wilhelms III.
Zuerst in Niederschlesien (Cnnern bei Wohlan und Krayu bei Strehlen) und in
der Provinz Sachsen (Althaldensleben) betrieben, ist sie gegenwärtig das wich¬
tigste landwirtschaftliche Gewerbe in Deutschland und hat alle Aussicht, zu noch
größerer Bedeutung zu gelangen. Es ist, wie C. Scheibler, wohl der gründ¬
lichste Kenner der Sache, sagt,*) geradezu eine nationale Aufgabe, sie weiter zu
entwickeln und über alle Provinzen des Reiches auszubreiten. Nichts kann
nach der Darlegung Scheiblers unrichtiger sein als die Ansicht, das Zucker¬
rohr der überseeischen Länder sei in erster Reihe berufen, die Welt mit Zucker
zu versorgen, und es sei volkswirtschaftlich unrationell, jene Pflanze durch den
Anbau unsrer Rübe zu ersetzen. „Der Zucker beider Pflanzen ist physikalisch
und chemisch genau derselbe, aber die aus ihnen gleichzeitig abfallenden Neben-
bestandteile haben einen sehr verschiednen Wert: die bei der Herstellung von
Zucker aus Rohr verbleibenden Rückstände sind nur ein schlechtes Brennmaterial,
die Rübenrückstäude dagegen ein ausgezeichnetes Viehfutter. In dem Maße, in
welchem in den Kolonien die Sklaverei beseitigt wird, steigt unter der freien
Bevölkerung der Bedarf an Fleischnahrung, und damit wird der Anbau von
Zuckerrohr, welcher keine Fleischproduktiou zuläßt, immer mehr eingeschränkt
werden müssen." Dieser Gang der Dinge ist schon seit Jahren deutlich zu be¬
merken, der Zuckerrohrbau hat allmählich abgenommen, der Zuckerrübenbau hat
sich rasch ausgebreitet, und der Zeitpunkt ist nicht fern, wo die Rübe das Rohr
gänzlich besiegen und verdrängen wird. Der Zucker ist, seitdem er aus der
Rübe gewonnen wird, stetig wohlfeiler geworden, während von andern Produkten
der Kolonien, wie Kaffee und Tabak, das Gegenteil gilt. Aber abgesehen davon,



NcmerkiNMN zu der neuen Zuckersteuergesetzvorlnue von Professor Dr. C. Scheibler.
Separcitabdrnck aus dessen Neuer Zeitschrift für Riwenzuckerindusirie Bd. XVI, Ur. 1v,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/106>, abgerufen am 03.07.2024.