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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Englische Gxer in Berlin.

Meister der oxsrii, dullÄ von Galnppi und Piccini bis auf Mozart, Rossini
und Lortzing. Sie ist vornehmlich parodisch, und ihre Ausdrucksfähigkeit in
ihrem eigentlichen Element, in der Parodie der Musik selbst (der großen Oper
in der "Schönen Helena" und im "Orpheus"), geht mitunter bis an die äußerste
Grenze des Möglichen. Sie ist gemein für vornehme musikalische Geister, aber
für solche ist sie auch nicht geschrieben. Sie ist wiederum nie gemein, um bloß
dem Pöbel zu gefallen, wie manche unsrer heutigen Operettenmelodien. Sie ist
gemein, weil die Gemeinheit sie singt, aber dann auch reizlos wie die pure Ge¬
meinheit stets. Sie fesselt nur durch ihre tolle Wahrheit. Das hat sich letzthin
sehr deutlich gezeigt, als man in Berlin den Versuch einer Wiederbelebung mit
ihr machte. Er mißlang. Das an die Klänge des Rumor- und Kvakswcilzers und
des "Ach, ich hab' sie ja nur auf die Schulter geküßt" gewohnte Ohr des
musikalischen Mob zeigte sich stumpf für die einst so bejubelte Komik der aller¬
dings noch ohne Quartenvvrhalt, Chromatik und Walzertakt wirkenden Me¬
lodien seines früher vergötterten Meisters. Wahrhaftig, dieser heutige Mißerfolg
ist sehr geeignet, sie nicht bloß in klareren, sondern vielleicht auch in etwas
besseren Lichte zu zeigen als ihr einstiger Triumphzug durch die ganze Welt.

Man mißverstehe mich nicht. Nichts liegt mir ferner als eine Philippika
gegen die gottlose Operette und ihre sündigen Melodien. Auch nicht einmal
eine künstlerische Kritik. Für eine solche sind beide viel zu unschuldig. Ich
möchte nur gern zeigen, was die Operette sein könnte und was sie wirklich ist.
Thatsächlich ist sie meist nichts als ein ernst sein sollender und darum umso
dümmer wirkender musikalisch-dramatischer Spaß, bei dem sich sowohl der dra¬
matisch als der musikalisch etwas feiner organisirte Hörer gleichmäßig ärgern.
Der erste über das plumpe, krampfhaft Gelenkigkeit afsektircnde, allen künstlerischen
und sittlichen Begriffen arrogant hohnsprechende Stück, der letztere über die im
wohlfeilsten Tanzrhythmns und den billigsten melodischen Ködern trostlos ver¬
simpelte Musik. Man macht uns Deutschen so oft das Kompliment eines
musikalischen Volkes, nicht zuletzt wir uns selbst. Wir werden es nicht mehr
lange sein, wenn diese nichtswürdige Bühncntanzinusik noch lange ihre demusi-
kalisircnde Wirkung ausübt. Dieses fortwährende Halala und Vallera der
Walzer- und Polkamelodic muß endlich jedes feinere musikalische Empfinden
zerstören. Wie kann das Ohr noch ans die freie Weise des Pathos und der
Anmut lauschen, wenn es auf den regelmäßigen Kupp-Klapp des Tanzrhythmus
förmlich eingedrillt ist! Das Ohr, das an dieser "leichten" Musik seinen
musikalischen Wochenbedarf bestritten hat, bleibt dann natürlich im Konzertsaal
stumpf und teilnahmslos bei den schönsten und packendsten Wirkungen dieser
Kunst. Dann sagt man: "Ich verstehe (!) das nicht," und man sagt es angesichts
der immer noch anschwellenden Mnsikflnt mit einem gewissen Stolze. Aber in
die Operette geht man, die "versteht" man, geradeso wie der Schusterbube und
die Dirne.


Englische Gxer in Berlin.

Meister der oxsrii, dullÄ von Galnppi und Piccini bis auf Mozart, Rossini
und Lortzing. Sie ist vornehmlich parodisch, und ihre Ausdrucksfähigkeit in
ihrem eigentlichen Element, in der Parodie der Musik selbst (der großen Oper
in der „Schönen Helena" und im „Orpheus"), geht mitunter bis an die äußerste
Grenze des Möglichen. Sie ist gemein für vornehme musikalische Geister, aber
für solche ist sie auch nicht geschrieben. Sie ist wiederum nie gemein, um bloß
dem Pöbel zu gefallen, wie manche unsrer heutigen Operettenmelodien. Sie ist
gemein, weil die Gemeinheit sie singt, aber dann auch reizlos wie die pure Ge¬
meinheit stets. Sie fesselt nur durch ihre tolle Wahrheit. Das hat sich letzthin
sehr deutlich gezeigt, als man in Berlin den Versuch einer Wiederbelebung mit
ihr machte. Er mißlang. Das an die Klänge des Rumor- und Kvakswcilzers und
des „Ach, ich hab' sie ja nur auf die Schulter geküßt" gewohnte Ohr des
musikalischen Mob zeigte sich stumpf für die einst so bejubelte Komik der aller¬
dings noch ohne Quartenvvrhalt, Chromatik und Walzertakt wirkenden Me¬
lodien seines früher vergötterten Meisters. Wahrhaftig, dieser heutige Mißerfolg
ist sehr geeignet, sie nicht bloß in klareren, sondern vielleicht auch in etwas
besseren Lichte zu zeigen als ihr einstiger Triumphzug durch die ganze Welt.

Man mißverstehe mich nicht. Nichts liegt mir ferner als eine Philippika
gegen die gottlose Operette und ihre sündigen Melodien. Auch nicht einmal
eine künstlerische Kritik. Für eine solche sind beide viel zu unschuldig. Ich
möchte nur gern zeigen, was die Operette sein könnte und was sie wirklich ist.
Thatsächlich ist sie meist nichts als ein ernst sein sollender und darum umso
dümmer wirkender musikalisch-dramatischer Spaß, bei dem sich sowohl der dra¬
matisch als der musikalisch etwas feiner organisirte Hörer gleichmäßig ärgern.
Der erste über das plumpe, krampfhaft Gelenkigkeit afsektircnde, allen künstlerischen
und sittlichen Begriffen arrogant hohnsprechende Stück, der letztere über die im
wohlfeilsten Tanzrhythmns und den billigsten melodischen Ködern trostlos ver¬
simpelte Musik. Man macht uns Deutschen so oft das Kompliment eines
musikalischen Volkes, nicht zuletzt wir uns selbst. Wir werden es nicht mehr
lange sein, wenn diese nichtswürdige Bühncntanzinusik noch lange ihre demusi-
kalisircnde Wirkung ausübt. Dieses fortwährende Halala und Vallera der
Walzer- und Polkamelodic muß endlich jedes feinere musikalische Empfinden
zerstören. Wie kann das Ohr noch ans die freie Weise des Pathos und der
Anmut lauschen, wenn es auf den regelmäßigen Kupp-Klapp des Tanzrhythmus
förmlich eingedrillt ist! Das Ohr, das an dieser „leichten" Musik seinen
musikalischen Wochenbedarf bestritten hat, bleibt dann natürlich im Konzertsaal
stumpf und teilnahmslos bei den schönsten und packendsten Wirkungen dieser
Kunst. Dann sagt man: „Ich verstehe (!) das nicht," und man sagt es angesichts
der immer noch anschwellenden Mnsikflnt mit einem gewissen Stolze. Aber in
die Operette geht man, die „versteht" man, geradeso wie der Schusterbube und
die Dirne.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/631>, abgerufen am 25.08.2024.