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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die evangelische Rirche und der Staat.

Session nicht mehr stattfindet. Die "Nationalzeitung," welche diese Aussicht
mit dem Ausdrucke lebhafter Freude begleitet, erblickt darin den Beweis, "das;
die Urheber meines Antrages nichts hinter sich haben." Die Aufgabe aller
derer, denen es im Laude heiliger Ernst ist um das Wohl und Wehe unsrer
evangelischen Kirche, wird es sein, den Gegenbeweis laut und vernehmlich zu
führen, wie Sie und andre Freunde in Rheinland und Westfalen es schon jetzt
gethan haben."

Ein ähnliches Zerwürfnis unter den evangelischen Christen hat sich auf
einer sächsischen Versammlung der kirchlichen "Mittelpartei" herausgestellt über
die Frage, ob der Staat bei der Anstellung der theologischen Professoren an
die Kirche gebunden sein solle. Für einen Katholiken ist das selbstverständlich;
er schätzt die Wissenschaft überhaupt nicht so hoch in Glaubenssachen, er weiß,
daß alle Forschung, theologische wie weltliche, mit der Kirchenlehre im Einklang
bleiben muß. Darin, daß der theologische Professor zu keinem andern wissen¬
schaftlichen Ergebnisse kommen darf als zu dem, was die Kirche festgestellt oder
für wenigstens wahrscheinlich erklärt hat, sieht er keine Beschränkung. So weit
geht der lutherische Orthodoxe nicht; er will die Wissenschaft nicht beengen,
aber er verlangt von dem, der die Lehrer der Kirchengemeinde heranbilden will,
daß er selbst den Glauben der Kirche unzweifelhaft bekenne, am wenigsten aber
ihn durch wissenschaftliche Zweifel zerstöre. Dem gegenüber steht eine Menge
von evangelischen Christen so, daß sie diesen Grundsatz nicht von der ganzen
orthodoxe" Lehre gelten läßt, sondern nur verlangt, daß der Professor in ge¬
wissen Grundthatsachen die evangelische Überzeugung festhalte, im übrigen aber
vollkommen der gewissenhaften Forschung huldige. Schwer ist die Sache immer¬
hin, aber so lauge die Freizügigkeit der theologischen Studenten in Wirklichkeit
besteht und der künftige Kircheumaun nicht gezwungen ist, einen ihm verhaßten
Ungläubigen zu hören, ist die Sache zu ertragen. Dabei hat sie den Vorteil,
daß bei dieser Praxis ein großes Prinzip gewahrt wird. Wie nämlich anch
die Offenbarung des göttlichen Glaubens beschaffen sein mag, sie wird immer
so aufgefaßt werden müssen, daß das übrige profane Wissen, das sich unserm
Geiste aufdrängt, neben dem Glauben ohne Widerspruch mit diesem fortbesteht
und giltig ist. Denn es darf nicht zwei sich widersprechende Wahrheiten geben.
Dieses Prinzip liegt doch in unsrer Lehrfreiheit und in der Anstellung der
Theologen durch den Staat auf deu Vorschlag der Fakultät hin. Wir wollen
nicht einmal den Verdacht erregen, daß sich der Theologe infolge der kirchlichen
Anstellung von dem Boden der allgemeinen Wissenschaft etwa entferne. Wenn
man gesagt hat, daß dadurch den wechselnden Ministern ein allzugroßer Einfluß
auf die kirchlich-dogmatische Entwicklung gegeben werde, so ist das ja richtig.
Unter Herrn von Muster wurde einigen Privatdozenten der Theologie ge¬
schrieben, daß sie nie vom Minister angestellt werden würden. Einer von ihnen
starb darüber, der andre wurde vom Minister Falk ohne Bedenken angestellt.


Die evangelische Rirche und der Staat.

Session nicht mehr stattfindet. Die »Nationalzeitung,« welche diese Aussicht
mit dem Ausdrucke lebhafter Freude begleitet, erblickt darin den Beweis, »das;
die Urheber meines Antrages nichts hinter sich haben.« Die Aufgabe aller
derer, denen es im Laude heiliger Ernst ist um das Wohl und Wehe unsrer
evangelischen Kirche, wird es sein, den Gegenbeweis laut und vernehmlich zu
führen, wie Sie und andre Freunde in Rheinland und Westfalen es schon jetzt
gethan haben."

Ein ähnliches Zerwürfnis unter den evangelischen Christen hat sich auf
einer sächsischen Versammlung der kirchlichen „Mittelpartei" herausgestellt über
die Frage, ob der Staat bei der Anstellung der theologischen Professoren an
die Kirche gebunden sein solle. Für einen Katholiken ist das selbstverständlich;
er schätzt die Wissenschaft überhaupt nicht so hoch in Glaubenssachen, er weiß,
daß alle Forschung, theologische wie weltliche, mit der Kirchenlehre im Einklang
bleiben muß. Darin, daß der theologische Professor zu keinem andern wissen¬
schaftlichen Ergebnisse kommen darf als zu dem, was die Kirche festgestellt oder
für wenigstens wahrscheinlich erklärt hat, sieht er keine Beschränkung. So weit
geht der lutherische Orthodoxe nicht; er will die Wissenschaft nicht beengen,
aber er verlangt von dem, der die Lehrer der Kirchengemeinde heranbilden will,
daß er selbst den Glauben der Kirche unzweifelhaft bekenne, am wenigsten aber
ihn durch wissenschaftliche Zweifel zerstöre. Dem gegenüber steht eine Menge
von evangelischen Christen so, daß sie diesen Grundsatz nicht von der ganzen
orthodoxe» Lehre gelten läßt, sondern nur verlangt, daß der Professor in ge¬
wissen Grundthatsachen die evangelische Überzeugung festhalte, im übrigen aber
vollkommen der gewissenhaften Forschung huldige. Schwer ist die Sache immer¬
hin, aber so lauge die Freizügigkeit der theologischen Studenten in Wirklichkeit
besteht und der künftige Kircheumaun nicht gezwungen ist, einen ihm verhaßten
Ungläubigen zu hören, ist die Sache zu ertragen. Dabei hat sie den Vorteil,
daß bei dieser Praxis ein großes Prinzip gewahrt wird. Wie nämlich anch
die Offenbarung des göttlichen Glaubens beschaffen sein mag, sie wird immer
so aufgefaßt werden müssen, daß das übrige profane Wissen, das sich unserm
Geiste aufdrängt, neben dem Glauben ohne Widerspruch mit diesem fortbesteht
und giltig ist. Denn es darf nicht zwei sich widersprechende Wahrheiten geben.
Dieses Prinzip liegt doch in unsrer Lehrfreiheit und in der Anstellung der
Theologen durch den Staat auf deu Vorschlag der Fakultät hin. Wir wollen
nicht einmal den Verdacht erregen, daß sich der Theologe infolge der kirchlichen
Anstellung von dem Boden der allgemeinen Wissenschaft etwa entferne. Wenn
man gesagt hat, daß dadurch den wechselnden Ministern ein allzugroßer Einfluß
auf die kirchlich-dogmatische Entwicklung gegeben werde, so ist das ja richtig.
Unter Herrn von Muster wurde einigen Privatdozenten der Theologie ge¬
schrieben, daß sie nie vom Minister angestellt werden würden. Einer von ihnen
starb darüber, der andre wurde vom Minister Falk ohne Bedenken angestellt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/613>, abgerufen am 25.07.2024.