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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Literatur.

die Herrschaft der Willkür, der Bestechlichkeit, der Korruption überall. Die ehr¬
lichen Leute ziehe" sich von ihm zurück, die Speichellecker bekommen die Macht.
In dein Gefühle seiner Souveränität scheut er auch nicht den Skandal, indem er
stadtkundig mit einer verheirateten Fran -- auch einer Streberin -- im Konkubinat
lebt. Seine größte politische That ist, daß er gleich bei seinem Regierungsantritte
rückständige Steuern von den Bauern in einer Weise eintreiben läßt, daß ganze
Dörfer darüber zu Gründe gehen; auch gelegentlich sich selbst ans Kosten des Landes
zu bereichern, vergißt der ehrenwerte Graf nicht. Nur eins fürchtet er: die Oeffent-
lichkeit der Presse. Darum respektirt er auch das Briefgeheimnis nicht. Aber schließlich
wird er auch dieses Lebens in der Provinz satt; ist er doch gleich von vornherein
mit keinem andern Gedanken hingegangen, als von dort längstens nach zwei Jahren
wieder in das geliebte Petersburg zurückzukehren, um eine höhere Stellung einzu-
nehmen und Karriere zu machen. Aber in Petersburg muß er erfahren, daß beim
Ministerium eine Unzahl von Klagen gegen seine Negierung eingelaufen sind --
Verleumdungen natürlich, die er nicht einmal der Erwiederung für wert hält. Er
kehrt also nicht wieder in die Provinz zurück, obgleich er dort jene Fran mit zwei
Kindern hinterlassen hat; diese wird mit Geld abgefertigt. Auf die Nachricht von
dem Rücktritte des Grafen fallen sich die Provinzialen ans offener Straße jubelnd
in die Arme. Allein der Neffe eines fürstlichen Generaladjutanteu und vielfachen
Millionärs hat uoch lauge nicht ausgespielt. Protektion verschafft ihm, eine andre
hohe Anstellung, in der natürlich wieder nicht er, sondern ein Kanzleidirektor die
eigentliche Arbeit zu verrichten hat. Aber da er auch diesem gegenüber Bismnrck
spielen will und durch seine Frechheit das ganze Departement zur Demission ver¬
anlaßt, so muß er -- krankheitshalber -- ins Anstand verreisen, denn die Zei¬
tungen haben schon über sein Auftreten zu sprechen begonnen.

Dies ist ungefähr der Inhalt des erwähnten Buches, welches einen tiefe"
Einblick in die russische" Zustände gewährt. Man hat bei all seinem Streben
nach künstlerischer Objektivität stets das Gefühl, daß man es mit einem Satiriker
zu thun hat, dein bei seinem bittern Spotte das Herz über die Schäden des Vater¬
landes blutet; zuweilen macht er sich auch, aber nie pathetisch-sentimental, nnmittel-
bnr Luft, Dem deutschen Geiste aber konnte keine größere Huldigung dargebracht
werde" als dadurch, daß er zur idealen Folie für ein solches Bild benutzt wurde.






Für ti>! Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig, - Druck von Carl Marauart in Leipzig.
Literatur.

die Herrschaft der Willkür, der Bestechlichkeit, der Korruption überall. Die ehr¬
lichen Leute ziehe» sich von ihm zurück, die Speichellecker bekommen die Macht.
In dein Gefühle seiner Souveränität scheut er auch nicht den Skandal, indem er
stadtkundig mit einer verheirateten Fran — auch einer Streberin — im Konkubinat
lebt. Seine größte politische That ist, daß er gleich bei seinem Regierungsantritte
rückständige Steuern von den Bauern in einer Weise eintreiben läßt, daß ganze
Dörfer darüber zu Gründe gehen; auch gelegentlich sich selbst ans Kosten des Landes
zu bereichern, vergißt der ehrenwerte Graf nicht. Nur eins fürchtet er: die Oeffent-
lichkeit der Presse. Darum respektirt er auch das Briefgeheimnis nicht. Aber schließlich
wird er auch dieses Lebens in der Provinz satt; ist er doch gleich von vornherein
mit keinem andern Gedanken hingegangen, als von dort längstens nach zwei Jahren
wieder in das geliebte Petersburg zurückzukehren, um eine höhere Stellung einzu-
nehmen und Karriere zu machen. Aber in Petersburg muß er erfahren, daß beim
Ministerium eine Unzahl von Klagen gegen seine Negierung eingelaufen sind —
Verleumdungen natürlich, die er nicht einmal der Erwiederung für wert hält. Er
kehrt also nicht wieder in die Provinz zurück, obgleich er dort jene Fran mit zwei
Kindern hinterlassen hat; diese wird mit Geld abgefertigt. Auf die Nachricht von
dem Rücktritte des Grafen fallen sich die Provinzialen ans offener Straße jubelnd
in die Arme. Allein der Neffe eines fürstlichen Generaladjutanteu und vielfachen
Millionärs hat uoch lauge nicht ausgespielt. Protektion verschafft ihm, eine andre
hohe Anstellung, in der natürlich wieder nicht er, sondern ein Kanzleidirektor die
eigentliche Arbeit zu verrichten hat. Aber da er auch diesem gegenüber Bismnrck
spielen will und durch seine Frechheit das ganze Departement zur Demission ver¬
anlaßt, so muß er — krankheitshalber — ins Anstand verreisen, denn die Zei¬
tungen haben schon über sein Auftreten zu sprechen begonnen.

Dies ist ungefähr der Inhalt des erwähnten Buches, welches einen tiefe»
Einblick in die russische» Zustände gewährt. Man hat bei all seinem Streben
nach künstlerischer Objektivität stets das Gefühl, daß man es mit einem Satiriker
zu thun hat, dein bei seinem bittern Spotte das Herz über die Schäden des Vater¬
landes blutet; zuweilen macht er sich auch, aber nie pathetisch-sentimental, nnmittel-
bnr Luft, Dem deutschen Geiste aber konnte keine größere Huldigung dargebracht
werde» als dadurch, daß er zur idealen Folie für ein solches Bild benutzt wurde.






Für ti>! Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig, - Druck von Carl Marauart in Leipzig.
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[0056] Literatur. die Herrschaft der Willkür, der Bestechlichkeit, der Korruption überall. Die ehr¬ lichen Leute ziehe» sich von ihm zurück, die Speichellecker bekommen die Macht. In dein Gefühle seiner Souveränität scheut er auch nicht den Skandal, indem er stadtkundig mit einer verheirateten Fran — auch einer Streberin — im Konkubinat lebt. Seine größte politische That ist, daß er gleich bei seinem Regierungsantritte rückständige Steuern von den Bauern in einer Weise eintreiben läßt, daß ganze Dörfer darüber zu Gründe gehen; auch gelegentlich sich selbst ans Kosten des Landes zu bereichern, vergißt der ehrenwerte Graf nicht. Nur eins fürchtet er: die Oeffent- lichkeit der Presse. Darum respektirt er auch das Briefgeheimnis nicht. Aber schließlich wird er auch dieses Lebens in der Provinz satt; ist er doch gleich von vornherein mit keinem andern Gedanken hingegangen, als von dort längstens nach zwei Jahren wieder in das geliebte Petersburg zurückzukehren, um eine höhere Stellung einzu- nehmen und Karriere zu machen. Aber in Petersburg muß er erfahren, daß beim Ministerium eine Unzahl von Klagen gegen seine Negierung eingelaufen sind — Verleumdungen natürlich, die er nicht einmal der Erwiederung für wert hält. Er kehrt also nicht wieder in die Provinz zurück, obgleich er dort jene Fran mit zwei Kindern hinterlassen hat; diese wird mit Geld abgefertigt. Auf die Nachricht von dem Rücktritte des Grafen fallen sich die Provinzialen ans offener Straße jubelnd in die Arme. Allein der Neffe eines fürstlichen Generaladjutanteu und vielfachen Millionärs hat uoch lauge nicht ausgespielt. Protektion verschafft ihm, eine andre hohe Anstellung, in der natürlich wieder nicht er, sondern ein Kanzleidirektor die eigentliche Arbeit zu verrichten hat. Aber da er auch diesem gegenüber Bismnrck spielen will und durch seine Frechheit das ganze Departement zur Demission ver¬ anlaßt, so muß er — krankheitshalber — ins Anstand verreisen, denn die Zei¬ tungen haben schon über sein Auftreten zu sprechen begonnen. Dies ist ungefähr der Inhalt des erwähnten Buches, welches einen tiefe» Einblick in die russische» Zustände gewährt. Man hat bei all seinem Streben nach künstlerischer Objektivität stets das Gefühl, daß man es mit einem Satiriker zu thun hat, dein bei seinem bittern Spotte das Herz über die Schäden des Vater¬ landes blutet; zuweilen macht er sich auch, aber nie pathetisch-sentimental, nnmittel- bnr Luft, Dem deutschen Geiste aber konnte keine größere Huldigung dargebracht werde» als dadurch, daß er zur idealen Folie für ein solches Bild benutzt wurde. Für ti>! Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig, - Druck von Carl Marauart in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/56>, abgerufen am 30.06.2024.