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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Bauwerke im deutschen Ärdenslande.

wurde die Stadtbcfestiguug aufgeführt, die sonach, abgesehen davon, daß sie AU
den schönsten von allen gehört, die älteste im baltischen Tieflande ist, ferner
das Schloß, die später mehrfach umgebaute Johanniskirche und das gleichfalls
später sehr veränderte Rathaus.

Die Stadtmauern machen einen ernsten, trotzigen Eindruck, sind aber doch
wohlgefällig und von trefflicher Gliederung, zugleich von vorzüglicher technischer
Ausführung; vieles an ihnen erinnert noch an die syrischen Befestigungen, welche
zum Teil als Vorbilder dienten. 1420 wurden sie mit großem Kostenaufwande
umgebaut, noch heute ist die damals vollzogene Erhöhung der Mauer um
1^/2 Meter deutlich erkennbar.

Vom Schloß ist nur wenig noch erhalten; es wurde im Jahre 1464 von
deu erbitterten Bürgern gründlich zerstört. Was wir noch besitzen, ist folgendes:
das Stauwehr und der Wachtturm (erhalte 1240), einige Reste des Kapitclsaales
(etwa von 1260), und der nur wenig spätere "Dansker," der zum Glück im
wesentlichen erhalten ist und der, mag man die Sache vom militärischen oder
von sonst einem Standpunkte betrachten, doch wohl nichts andres als ein. übrigens
mit Spülwasser und andern Vorkehrungen für die Gesundheit ausgestatteter
Abort gewesen ist. Die Ausführung aller dieser Bauten ist eine vorzügliche
und zugleich hinsichtlich der Entwicklung der Vackstcintechnik sehr lehrreiche. Im
Gegensatz zur spätern Zeit, wo jene Kunst darauf ausgeht, mit den Formsteinen
eine möglichst reiche äußere Wirkung zu erzielen, treten hier Formsteine und
glcisirtc Steine nicht als äußerer Zierrat auf, sondern nur zur Erfüllung eines
praktischen Zweckes, eine Erscheinung, die sich aus dem noch anfänglichen Fest--
halten an der Werksteintechnik erklärt, wahrend im übrigen auch hier sich zahl¬
reiche Erinnerungen an deu Orient finden. An dem Kapitelsaal bemerken wir
dann schon die Anwendung von reichen einzelnen Steinformen, und am Dansker
endlich bereits die flotte Behandlung großer Massen.

Der älteste Bau der Pfarrkirche Se. Johannis erfolgte gleichzeitig mit dem
Schloß um 1255; er wurde mit seiner Dreiteilung (Chorraum für die Geist¬
lichen, Schiff für die Gemeinde, Turm für die Glocken) und mit seinem Verzicht
auf unnützen Luxus das Vorbild für die ganze Gattung im Ordenslande. Etwa
1380 erfolgte eine Veränderung durch Seitenausbauten an den Neben schiffen;
ein fernerer Umbau fand im erstell Jahrzehnt des fünfzehnten Jahrhunderts
statt, ein nochmaliger 1463, wo man im niedrigen Hauptschiff "die Pfeiler auf-
trieb mit den Gewölbe"." Technisch ist der älteste Bau von größtem Interesse;
im Innern des Chors ist besonders die buntfarbige Behandlung bemerkenswert,
die leider jetzt durch Weiße Tünche verborgen gehalten wird.

Das letzte unter den ältesten Thorner Gebäuden ist das Rathaus. Es
giebt kaum ein zweites seiner Art, das ihm an Umfang und imposanter Er-
scheinung gleich käme. Von dem ersten Bau kurz nach 1259 ist jedoch nur
wenig übrig geblieben, das bedeutendste darunter ist der meisterhaft aufgeführte


Bauwerke im deutschen Ärdenslande.

wurde die Stadtbcfestiguug aufgeführt, die sonach, abgesehen davon, daß sie AU
den schönsten von allen gehört, die älteste im baltischen Tieflande ist, ferner
das Schloß, die später mehrfach umgebaute Johanniskirche und das gleichfalls
später sehr veränderte Rathaus.

Die Stadtmauern machen einen ernsten, trotzigen Eindruck, sind aber doch
wohlgefällig und von trefflicher Gliederung, zugleich von vorzüglicher technischer
Ausführung; vieles an ihnen erinnert noch an die syrischen Befestigungen, welche
zum Teil als Vorbilder dienten. 1420 wurden sie mit großem Kostenaufwande
umgebaut, noch heute ist die damals vollzogene Erhöhung der Mauer um
1^/2 Meter deutlich erkennbar.

Vom Schloß ist nur wenig noch erhalten; es wurde im Jahre 1464 von
deu erbitterten Bürgern gründlich zerstört. Was wir noch besitzen, ist folgendes:
das Stauwehr und der Wachtturm (erhalte 1240), einige Reste des Kapitclsaales
(etwa von 1260), und der nur wenig spätere „Dansker," der zum Glück im
wesentlichen erhalten ist und der, mag man die Sache vom militärischen oder
von sonst einem Standpunkte betrachten, doch wohl nichts andres als ein. übrigens
mit Spülwasser und andern Vorkehrungen für die Gesundheit ausgestatteter
Abort gewesen ist. Die Ausführung aller dieser Bauten ist eine vorzügliche
und zugleich hinsichtlich der Entwicklung der Vackstcintechnik sehr lehrreiche. Im
Gegensatz zur spätern Zeit, wo jene Kunst darauf ausgeht, mit den Formsteinen
eine möglichst reiche äußere Wirkung zu erzielen, treten hier Formsteine und
glcisirtc Steine nicht als äußerer Zierrat auf, sondern nur zur Erfüllung eines
praktischen Zweckes, eine Erscheinung, die sich aus dem noch anfänglichen Fest--
halten an der Werksteintechnik erklärt, wahrend im übrigen auch hier sich zahl¬
reiche Erinnerungen an deu Orient finden. An dem Kapitelsaal bemerken wir
dann schon die Anwendung von reichen einzelnen Steinformen, und am Dansker
endlich bereits die flotte Behandlung großer Massen.

Der älteste Bau der Pfarrkirche Se. Johannis erfolgte gleichzeitig mit dem
Schloß um 1255; er wurde mit seiner Dreiteilung (Chorraum für die Geist¬
lichen, Schiff für die Gemeinde, Turm für die Glocken) und mit seinem Verzicht
auf unnützen Luxus das Vorbild für die ganze Gattung im Ordenslande. Etwa
1380 erfolgte eine Veränderung durch Seitenausbauten an den Neben schiffen;
ein fernerer Umbau fand im erstell Jahrzehnt des fünfzehnten Jahrhunderts
statt, ein nochmaliger 1463, wo man im niedrigen Hauptschiff „die Pfeiler auf-
trieb mit den Gewölbe»." Technisch ist der älteste Bau von größtem Interesse;
im Innern des Chors ist besonders die buntfarbige Behandlung bemerkenswert,
die leider jetzt durch Weiße Tünche verborgen gehalten wird.

Das letzte unter den ältesten Thorner Gebäuden ist das Rathaus. Es
giebt kaum ein zweites seiner Art, das ihm an Umfang und imposanter Er-
scheinung gleich käme. Von dem ersten Bau kurz nach 1259 ist jedoch nur
wenig übrig geblieben, das bedeutendste darunter ist der meisterhaft aufgeführte


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[0536] Bauwerke im deutschen Ärdenslande. wurde die Stadtbcfestiguug aufgeführt, die sonach, abgesehen davon, daß sie AU den schönsten von allen gehört, die älteste im baltischen Tieflande ist, ferner das Schloß, die später mehrfach umgebaute Johanniskirche und das gleichfalls später sehr veränderte Rathaus. Die Stadtmauern machen einen ernsten, trotzigen Eindruck, sind aber doch wohlgefällig und von trefflicher Gliederung, zugleich von vorzüglicher technischer Ausführung; vieles an ihnen erinnert noch an die syrischen Befestigungen, welche zum Teil als Vorbilder dienten. 1420 wurden sie mit großem Kostenaufwande umgebaut, noch heute ist die damals vollzogene Erhöhung der Mauer um 1^/2 Meter deutlich erkennbar. Vom Schloß ist nur wenig noch erhalten; es wurde im Jahre 1464 von deu erbitterten Bürgern gründlich zerstört. Was wir noch besitzen, ist folgendes: das Stauwehr und der Wachtturm (erhalte 1240), einige Reste des Kapitclsaales (etwa von 1260), und der nur wenig spätere „Dansker," der zum Glück im wesentlichen erhalten ist und der, mag man die Sache vom militärischen oder von sonst einem Standpunkte betrachten, doch wohl nichts andres als ein. übrigens mit Spülwasser und andern Vorkehrungen für die Gesundheit ausgestatteter Abort gewesen ist. Die Ausführung aller dieser Bauten ist eine vorzügliche und zugleich hinsichtlich der Entwicklung der Vackstcintechnik sehr lehrreiche. Im Gegensatz zur spätern Zeit, wo jene Kunst darauf ausgeht, mit den Formsteinen eine möglichst reiche äußere Wirkung zu erzielen, treten hier Formsteine und glcisirtc Steine nicht als äußerer Zierrat auf, sondern nur zur Erfüllung eines praktischen Zweckes, eine Erscheinung, die sich aus dem noch anfänglichen Fest-- halten an der Werksteintechnik erklärt, wahrend im übrigen auch hier sich zahl¬ reiche Erinnerungen an deu Orient finden. An dem Kapitelsaal bemerken wir dann schon die Anwendung von reichen einzelnen Steinformen, und am Dansker endlich bereits die flotte Behandlung großer Massen. Der älteste Bau der Pfarrkirche Se. Johannis erfolgte gleichzeitig mit dem Schloß um 1255; er wurde mit seiner Dreiteilung (Chorraum für die Geist¬ lichen, Schiff für die Gemeinde, Turm für die Glocken) und mit seinem Verzicht auf unnützen Luxus das Vorbild für die ganze Gattung im Ordenslande. Etwa 1380 erfolgte eine Veränderung durch Seitenausbauten an den Neben schiffen; ein fernerer Umbau fand im erstell Jahrzehnt des fünfzehnten Jahrhunderts statt, ein nochmaliger 1463, wo man im niedrigen Hauptschiff „die Pfeiler auf- trieb mit den Gewölbe»." Technisch ist der älteste Bau von größtem Interesse; im Innern des Chors ist besonders die buntfarbige Behandlung bemerkenswert, die leider jetzt durch Weiße Tünche verborgen gehalten wird. Das letzte unter den ältesten Thorner Gebäuden ist das Rathaus. Es giebt kaum ein zweites seiner Art, das ihm an Umfang und imposanter Er- scheinung gleich käme. Von dem ersten Bau kurz nach 1259 ist jedoch nur wenig übrig geblieben, das bedeutendste darunter ist der meisterhaft aufgeführte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/536>, abgerufen am 02.07.2024.