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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Aus Spanien.

und Intrigue" erscheinen ihm nur als Kotericn, die große Menge des Volles
als völlig apathisch, willen- und hoffnungslos, sodaß die letzte Entscheidung
stets bei der Armee steht. So ließ man sich deu König Amadeo gleichgiltig
gefallen, die bonrbvnisch gesinnten Damen frondirten, das Publikum erwiederte
seinen Gruß nicht, mit Prim, dem er die Erwählung verdankte, hatte er seine
einzige Stütze verloren, und der Ausgang seiner Negierung war schon damals
mit Sicherheit vorauszusehen.

Sehr interessant sind einige Beispiele moderner Lcgeudenbildung: die Be¬
wohner der Mancha wissen nichts von Cervantes; Don Quixote aber gilt ihnen
als historische Person, und man zeigt die Örtlichkeiten seiner Abenteuer, die
Windmühle, mit welcher er gekämpft, die Posada, in welcher er übernachtet
hat n. s. w. Ebenso wird in Sevilla ein Barbierladen als der Figaros be¬
zeichnet, für dessen Enkel sich vor einiger Zeit ein Inhaber des Ladens aus¬
gegeben haben soll. Aber die wirklich historische Gestalt des Brolador von
Sevilla, des Don Juan Tenorio, den Mozart unsterblich gemacht hat, ist gänzlich
verschollen.

Da es nicht unsre Absicht ist, den Inhalt des so lesenswerten Buches
auszupressen, wollen wir nnr noch auf einige Partien aufmerksam machen, wie
sie bei abermaligem Durchblättern auffallen. So findet man gleich S. 17 ff.
eine Beschreibung des beinahe possenhaften Auszuges, durch welchen der Regent
Serrcino die neue Ordnung der Dinge populär zu machen versuchte. Eine
ausgehöhlte Kirche war zum Pantheon bestimmt worden, und dorthin brachte
man in ärmlichem Pomp die Särge aller berühmten Spanier, in deren Reihe
aber nicht nur Don Pelaho und der Cid fehlten, welche Asturien und Burgos
nicht hergegeben haben würden, und Cervantes, dessen Grabstätte man nicht kennt,
sondern auch Don Juan de Austria, Cortez, Lope de Vega, Murillo, Velasquez,
Jovellanvs u. a. Ein Jahr später fand Bernhardi die Särge der gefeierten
großen Männer nnbestattct in einer verschlossenen Zelle der Kirche, und dabei
ist es mit dem Pantheon geblieben. Das Schauspiel war die Hauptsache ge¬
wesen und hatte nicht einmal die beabsichtigte Wirkung gethan.

Daß Stiergefechte wiederholt besprochen werden, versteht sich von selbst;
sind sie doch das Einzige, woran der Spanier von heute uoch lebendigen Anteil
nimmt, während ihn das Theater mit Ausnahme der italienischen Oper völlig
gleichgiltig läßt. Zur Eröffnung der Saison wird ehren- oder schandehalber ein
Stück von Calderon aufgeführt, dann giebt man Waare der Pariser Boulevard¬
theater und neuere einheimische Erzeugnisse, die auf der Höhe Ifflands oder
Clanrens stehen. Die hohe Schule der Tänzerinnen ist noch immer Sevilla,
doch besteht ihre Kunst, wie auch außerhalb des Landes seit den Tagen der
Pepita de Oliva zur Genüge bekannt ist, vornehmlich in ihrer Schönheit.

Bei dem Kapitel der bildenden Kunst können die französischen Plünde¬
rungen nicht unerwähnt bleiben, die offiziellen für die öffentlichen Sammlungen


Aus Spanien.

und Intrigue» erscheinen ihm nur als Kotericn, die große Menge des Volles
als völlig apathisch, willen- und hoffnungslos, sodaß die letzte Entscheidung
stets bei der Armee steht. So ließ man sich deu König Amadeo gleichgiltig
gefallen, die bonrbvnisch gesinnten Damen frondirten, das Publikum erwiederte
seinen Gruß nicht, mit Prim, dem er die Erwählung verdankte, hatte er seine
einzige Stütze verloren, und der Ausgang seiner Negierung war schon damals
mit Sicherheit vorauszusehen.

Sehr interessant sind einige Beispiele moderner Lcgeudenbildung: die Be¬
wohner der Mancha wissen nichts von Cervantes; Don Quixote aber gilt ihnen
als historische Person, und man zeigt die Örtlichkeiten seiner Abenteuer, die
Windmühle, mit welcher er gekämpft, die Posada, in welcher er übernachtet
hat n. s. w. Ebenso wird in Sevilla ein Barbierladen als der Figaros be¬
zeichnet, für dessen Enkel sich vor einiger Zeit ein Inhaber des Ladens aus¬
gegeben haben soll. Aber die wirklich historische Gestalt des Brolador von
Sevilla, des Don Juan Tenorio, den Mozart unsterblich gemacht hat, ist gänzlich
verschollen.

Da es nicht unsre Absicht ist, den Inhalt des so lesenswerten Buches
auszupressen, wollen wir nnr noch auf einige Partien aufmerksam machen, wie
sie bei abermaligem Durchblättern auffallen. So findet man gleich S. 17 ff.
eine Beschreibung des beinahe possenhaften Auszuges, durch welchen der Regent
Serrcino die neue Ordnung der Dinge populär zu machen versuchte. Eine
ausgehöhlte Kirche war zum Pantheon bestimmt worden, und dorthin brachte
man in ärmlichem Pomp die Särge aller berühmten Spanier, in deren Reihe
aber nicht nur Don Pelaho und der Cid fehlten, welche Asturien und Burgos
nicht hergegeben haben würden, und Cervantes, dessen Grabstätte man nicht kennt,
sondern auch Don Juan de Austria, Cortez, Lope de Vega, Murillo, Velasquez,
Jovellanvs u. a. Ein Jahr später fand Bernhardi die Särge der gefeierten
großen Männer nnbestattct in einer verschlossenen Zelle der Kirche, und dabei
ist es mit dem Pantheon geblieben. Das Schauspiel war die Hauptsache ge¬
wesen und hatte nicht einmal die beabsichtigte Wirkung gethan.

Daß Stiergefechte wiederholt besprochen werden, versteht sich von selbst;
sind sie doch das Einzige, woran der Spanier von heute uoch lebendigen Anteil
nimmt, während ihn das Theater mit Ausnahme der italienischen Oper völlig
gleichgiltig läßt. Zur Eröffnung der Saison wird ehren- oder schandehalber ein
Stück von Calderon aufgeführt, dann giebt man Waare der Pariser Boulevard¬
theater und neuere einheimische Erzeugnisse, die auf der Höhe Ifflands oder
Clanrens stehen. Die hohe Schule der Tänzerinnen ist noch immer Sevilla,
doch besteht ihre Kunst, wie auch außerhalb des Landes seit den Tagen der
Pepita de Oliva zur Genüge bekannt ist, vornehmlich in ihrer Schönheit.

Bei dem Kapitel der bildenden Kunst können die französischen Plünde¬
rungen nicht unerwähnt bleiben, die offiziellen für die öffentlichen Sammlungen


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[0532] Aus Spanien. und Intrigue» erscheinen ihm nur als Kotericn, die große Menge des Volles als völlig apathisch, willen- und hoffnungslos, sodaß die letzte Entscheidung stets bei der Armee steht. So ließ man sich deu König Amadeo gleichgiltig gefallen, die bonrbvnisch gesinnten Damen frondirten, das Publikum erwiederte seinen Gruß nicht, mit Prim, dem er die Erwählung verdankte, hatte er seine einzige Stütze verloren, und der Ausgang seiner Negierung war schon damals mit Sicherheit vorauszusehen. Sehr interessant sind einige Beispiele moderner Lcgeudenbildung: die Be¬ wohner der Mancha wissen nichts von Cervantes; Don Quixote aber gilt ihnen als historische Person, und man zeigt die Örtlichkeiten seiner Abenteuer, die Windmühle, mit welcher er gekämpft, die Posada, in welcher er übernachtet hat n. s. w. Ebenso wird in Sevilla ein Barbierladen als der Figaros be¬ zeichnet, für dessen Enkel sich vor einiger Zeit ein Inhaber des Ladens aus¬ gegeben haben soll. Aber die wirklich historische Gestalt des Brolador von Sevilla, des Don Juan Tenorio, den Mozart unsterblich gemacht hat, ist gänzlich verschollen. Da es nicht unsre Absicht ist, den Inhalt des so lesenswerten Buches auszupressen, wollen wir nnr noch auf einige Partien aufmerksam machen, wie sie bei abermaligem Durchblättern auffallen. So findet man gleich S. 17 ff. eine Beschreibung des beinahe possenhaften Auszuges, durch welchen der Regent Serrcino die neue Ordnung der Dinge populär zu machen versuchte. Eine ausgehöhlte Kirche war zum Pantheon bestimmt worden, und dorthin brachte man in ärmlichem Pomp die Särge aller berühmten Spanier, in deren Reihe aber nicht nur Don Pelaho und der Cid fehlten, welche Asturien und Burgos nicht hergegeben haben würden, und Cervantes, dessen Grabstätte man nicht kennt, sondern auch Don Juan de Austria, Cortez, Lope de Vega, Murillo, Velasquez, Jovellanvs u. a. Ein Jahr später fand Bernhardi die Särge der gefeierten großen Männer nnbestattct in einer verschlossenen Zelle der Kirche, und dabei ist es mit dem Pantheon geblieben. Das Schauspiel war die Hauptsache ge¬ wesen und hatte nicht einmal die beabsichtigte Wirkung gethan. Daß Stiergefechte wiederholt besprochen werden, versteht sich von selbst; sind sie doch das Einzige, woran der Spanier von heute uoch lebendigen Anteil nimmt, während ihn das Theater mit Ausnahme der italienischen Oper völlig gleichgiltig läßt. Zur Eröffnung der Saison wird ehren- oder schandehalber ein Stück von Calderon aufgeführt, dann giebt man Waare der Pariser Boulevard¬ theater und neuere einheimische Erzeugnisse, die auf der Höhe Ifflands oder Clanrens stehen. Die hohe Schule der Tänzerinnen ist noch immer Sevilla, doch besteht ihre Kunst, wie auch außerhalb des Landes seit den Tagen der Pepita de Oliva zur Genüge bekannt ist, vornehmlich in ihrer Schönheit. Bei dem Kapitel der bildenden Kunst können die französischen Plünde¬ rungen nicht unerwähnt bleiben, die offiziellen für die öffentlichen Sammlungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/532>, abgerufen am 26.07.2024.