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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

habe; ja es ist bekannt und gleichzeitig bezeichnend für die damaligen Kredit-
Verhältnisse Rußlands, daß im Jahre 1856, bald nach dem Friedensschlüsse, in
den Provinzen Papier gegen Silber, selbst mit einem Agio von einem Prozent,
gesucht war. Mag nun damals die Menge der Umlaufszeichen mit der Ziffer
von 300 Millionen oder selbst von 5--600 Millionen dem Verlchrsbedürfnis
entsprochen haben, so ist doch anderseits soviel gewiß, daß das zwischen Papier
und dem Mctallvorrat des Landes zu erhaltende Verhältnis längst überschritten
war und daß von dem Augenblick an, wo die Einlösbarkeit unmöglich wurde,
die Entwertung des Papiergeldes unvermeidlich eintreten mußte. Diese aber
ihrerseits hatte das Verschwinden der Münze zur Folge. Denn dnrch den
Zwangskurs der entwerteten Kreditbillcts koar es natürlich unmöglich, die Münze
ihrem bessern Werte nach zu verwenden, indem sie eben nur zum Nominalwert
des gesunkenen Papiers ausgegeben werden durfte. Dadurch wurde dieselbe
zunächst aus dem Umlauf verdrängt und vom Publikum, in Erwartung
günstigerer Konjunkturen in Geldsorten angesammelt, später aber, als diese
Konjunkturen uicht eintraten, in größern Beträgen gegen ausländische Fonds
umgetauscht. Es vollzog sich also im Verlauf der Jahre laugsam und allmählich
ein Prozeß, der auf dem uralten Erfahrungssätze wurzelt, daß das verfügbare
Kapital sich wohl zeitweise und namentlich in kleinen Bruchteilen der geschäft¬
lichen Aktion entziehen kann, aber doch schließlich bei ungestörtem internationalen
Verkehr immer wieder auf den Markt zurückstrebt, und zwar dorthin, wo es
seine günstigste Verwertung findet. So war denn in Rußland der Zwcmgsknrs
in Verbindung mit der Uneinlösbarkeit die eigentliche Veranlassung des Ver-
schwindens der Münze, und die Regierung hätte vor allem diese beiden Ursachen
oder wenigstens deren Zusammentreffen beseitigen müssen, wenn sie die Münze
wieder als thatsächlich kursirendes. Geld einbürgern wollte.

Ans die nachteiligen Folgen der Papiergeldwirtschaft überhaupt brauche ich
hier nicht einzugehen. Die Erscheinungen, welche in Rußland dabei zu Tage
traten, waren im großen und ganzen dieselben, welche die Finanzgcschichte
Österreichs, Italiens und Nordamerikas in den gleichen Lagen aufweist: Steigen
der Waarenpreise und des Arbeitslohnes, Stocken des Kredits und zeitweilige
Abnahme der Produktiv". Die nachteiligen Wirkungen aber gewannen hier noch
an Stärke, weil sie in die Zeit sozialer Reformen, d. h. in eine Übergangs¬
periode sielen, die fast auf allen Gebieten vorübergehende Verstimmung und
Stockung hervorrief.

So war namentlich nach der Bauernemanzipation der Mangel an um¬
laufenden Geld, den das Verschwinden der Münze und die Entwertung des
Papiergeldes zur Folge hatten, außerordentlich fühlbar. Durch die Freilassung
der Leibeignen waren mit einem Tage an drei Millionen selbständiger Wirt¬
schaften hergestellt. Jede dieser Haushaltungen brauchte durchschnittlich doch
mindestens fünfzig Rubel a" ständigen baaren Betriebskapital. Ebenso be-


Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

habe; ja es ist bekannt und gleichzeitig bezeichnend für die damaligen Kredit-
Verhältnisse Rußlands, daß im Jahre 1856, bald nach dem Friedensschlüsse, in
den Provinzen Papier gegen Silber, selbst mit einem Agio von einem Prozent,
gesucht war. Mag nun damals die Menge der Umlaufszeichen mit der Ziffer
von 300 Millionen oder selbst von 5—600 Millionen dem Verlchrsbedürfnis
entsprochen haben, so ist doch anderseits soviel gewiß, daß das zwischen Papier
und dem Mctallvorrat des Landes zu erhaltende Verhältnis längst überschritten
war und daß von dem Augenblick an, wo die Einlösbarkeit unmöglich wurde,
die Entwertung des Papiergeldes unvermeidlich eintreten mußte. Diese aber
ihrerseits hatte das Verschwinden der Münze zur Folge. Denn dnrch den
Zwangskurs der entwerteten Kreditbillcts koar es natürlich unmöglich, die Münze
ihrem bessern Werte nach zu verwenden, indem sie eben nur zum Nominalwert
des gesunkenen Papiers ausgegeben werden durfte. Dadurch wurde dieselbe
zunächst aus dem Umlauf verdrängt und vom Publikum, in Erwartung
günstigerer Konjunkturen in Geldsorten angesammelt, später aber, als diese
Konjunkturen uicht eintraten, in größern Beträgen gegen ausländische Fonds
umgetauscht. Es vollzog sich also im Verlauf der Jahre laugsam und allmählich
ein Prozeß, der auf dem uralten Erfahrungssätze wurzelt, daß das verfügbare
Kapital sich wohl zeitweise und namentlich in kleinen Bruchteilen der geschäft¬
lichen Aktion entziehen kann, aber doch schließlich bei ungestörtem internationalen
Verkehr immer wieder auf den Markt zurückstrebt, und zwar dorthin, wo es
seine günstigste Verwertung findet. So war denn in Rußland der Zwcmgsknrs
in Verbindung mit der Uneinlösbarkeit die eigentliche Veranlassung des Ver-
schwindens der Münze, und die Regierung hätte vor allem diese beiden Ursachen
oder wenigstens deren Zusammentreffen beseitigen müssen, wenn sie die Münze
wieder als thatsächlich kursirendes. Geld einbürgern wollte.

Ans die nachteiligen Folgen der Papiergeldwirtschaft überhaupt brauche ich
hier nicht einzugehen. Die Erscheinungen, welche in Rußland dabei zu Tage
traten, waren im großen und ganzen dieselben, welche die Finanzgcschichte
Österreichs, Italiens und Nordamerikas in den gleichen Lagen aufweist: Steigen
der Waarenpreise und des Arbeitslohnes, Stocken des Kredits und zeitweilige
Abnahme der Produktiv». Die nachteiligen Wirkungen aber gewannen hier noch
an Stärke, weil sie in die Zeit sozialer Reformen, d. h. in eine Übergangs¬
periode sielen, die fast auf allen Gebieten vorübergehende Verstimmung und
Stockung hervorrief.

So war namentlich nach der Bauernemanzipation der Mangel an um¬
laufenden Geld, den das Verschwinden der Münze und die Entwertung des
Papiergeldes zur Folge hatten, außerordentlich fühlbar. Durch die Freilassung
der Leibeignen waren mit einem Tage an drei Millionen selbständiger Wirt¬
schaften hergestellt. Jede dieser Haushaltungen brauchte durchschnittlich doch
mindestens fünfzig Rubel a» ständigen baaren Betriebskapital. Ebenso be-


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[0516] Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta. habe; ja es ist bekannt und gleichzeitig bezeichnend für die damaligen Kredit- Verhältnisse Rußlands, daß im Jahre 1856, bald nach dem Friedensschlüsse, in den Provinzen Papier gegen Silber, selbst mit einem Agio von einem Prozent, gesucht war. Mag nun damals die Menge der Umlaufszeichen mit der Ziffer von 300 Millionen oder selbst von 5—600 Millionen dem Verlchrsbedürfnis entsprochen haben, so ist doch anderseits soviel gewiß, daß das zwischen Papier und dem Mctallvorrat des Landes zu erhaltende Verhältnis längst überschritten war und daß von dem Augenblick an, wo die Einlösbarkeit unmöglich wurde, die Entwertung des Papiergeldes unvermeidlich eintreten mußte. Diese aber ihrerseits hatte das Verschwinden der Münze zur Folge. Denn dnrch den Zwangskurs der entwerteten Kreditbillcts koar es natürlich unmöglich, die Münze ihrem bessern Werte nach zu verwenden, indem sie eben nur zum Nominalwert des gesunkenen Papiers ausgegeben werden durfte. Dadurch wurde dieselbe zunächst aus dem Umlauf verdrängt und vom Publikum, in Erwartung günstigerer Konjunkturen in Geldsorten angesammelt, später aber, als diese Konjunkturen uicht eintraten, in größern Beträgen gegen ausländische Fonds umgetauscht. Es vollzog sich also im Verlauf der Jahre laugsam und allmählich ein Prozeß, der auf dem uralten Erfahrungssätze wurzelt, daß das verfügbare Kapital sich wohl zeitweise und namentlich in kleinen Bruchteilen der geschäft¬ lichen Aktion entziehen kann, aber doch schließlich bei ungestörtem internationalen Verkehr immer wieder auf den Markt zurückstrebt, und zwar dorthin, wo es seine günstigste Verwertung findet. So war denn in Rußland der Zwcmgsknrs in Verbindung mit der Uneinlösbarkeit die eigentliche Veranlassung des Ver- schwindens der Münze, und die Regierung hätte vor allem diese beiden Ursachen oder wenigstens deren Zusammentreffen beseitigen müssen, wenn sie die Münze wieder als thatsächlich kursirendes. Geld einbürgern wollte. Ans die nachteiligen Folgen der Papiergeldwirtschaft überhaupt brauche ich hier nicht einzugehen. Die Erscheinungen, welche in Rußland dabei zu Tage traten, waren im großen und ganzen dieselben, welche die Finanzgcschichte Österreichs, Italiens und Nordamerikas in den gleichen Lagen aufweist: Steigen der Waarenpreise und des Arbeitslohnes, Stocken des Kredits und zeitweilige Abnahme der Produktiv». Die nachteiligen Wirkungen aber gewannen hier noch an Stärke, weil sie in die Zeit sozialer Reformen, d. h. in eine Übergangs¬ periode sielen, die fast auf allen Gebieten vorübergehende Verstimmung und Stockung hervorrief. So war namentlich nach der Bauernemanzipation der Mangel an um¬ laufenden Geld, den das Verschwinden der Münze und die Entwertung des Papiergeldes zur Folge hatten, außerordentlich fühlbar. Durch die Freilassung der Leibeignen waren mit einem Tage an drei Millionen selbständiger Wirt¬ schaften hergestellt. Jede dieser Haushaltungen brauchte durchschnittlich doch mindestens fünfzig Rubel a» ständigen baaren Betriebskapital. Ebenso be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/516>, abgerufen am 30.06.2024.