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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

statt, auch hatte der Abschluß des Friedens keine Kontributionen und Steuer-
erhöhungen im Gefolge. Der mittelbare wirtschaftliche Nachteil bestand also
eigentlich nur in einer von den innern Landesteilen kaum empfundenen Handels¬
sperre, der Entziehung von Arbeitskräften und -- der Vermehrung des Papier¬
geldes. Insofern aber der Krimkrieg die Haltlosigkeit vieler veralteten Zustände
dargelegt und die Notwendigkeit unifassender Reformen bewiesen hatte, wurde
er zum Wendepunkte in der Finanzleitung des Reiches. Verhängnisvoll fiir
die nun beginnende Epoche finanztechnischcr Versuche war aber das von Kaiser
Alexander II. unternommene bürgerliche Reformwerk. Das bekannte Diktum:
1^ RriWis hö reousillo wurde von dem friedliebenden Zaren zwar ernst ge¬
nommen, aber die innern Umwälzungen und der Mangel eines geschulten, zu¬
verlässigen Beamtentums wirkten störend ein auf die Finanzoperationen der Re¬
gierung. Erst Anfang der siebziger Jahre trat eine relative Besserung im Staats¬
haushalt ein. Der Ausschwung des wirtschaftlichen und Verkehrslebens, den
der Eisenbahnbau veranlaßt hatte, hätte zur Sanirung der Finanzlage führen
können, wenn nicht 1877 der russisch-türkische Krieg die Schuldenlast des Landes
wieder außerordentlich vermehrt und die Regierung unter der Einwirkung einer
akuten Geldklemme auf die Bahn der Auskunftsmittel gedrängt hätte, welche
ihrerseits dem Staatsschatz neue drückende Verpflichtungen aufbürdeten. Aus
Anlaß dieser letzten militärischen Aktion hat Rußland, und zwar teils zum
Zwecke der Mobilmachung, teils als Folge der Kriegskosten, in den Jahren
1876 bis 1881 nachstehende Anleihen kontmhirt:

1876: Irländische Anleihe von 100 MM. Rubel zu 92 Prozent,
1877- Erstes Orient-Anleheu von 200 MM. Rubel zu 90 Prozent,
1377! Ausländisches Anlehen von Is Will. Pfd. Sterl. zu 74 Prozent,
1878: Zweites Orient-Aulchcn von 300 Mill. Rubel zu 93 Prozent,
1379: Drittes Orient-Anlehen von 300 Mill. Rubel zu 92'/, Prozent,
1831: Irländische Anleihe von 100 Mill. Rubel zu 927, Prozent.

Die großen Lasten, welche die Kriegführung der Staatskasse aufwälzte,
und die Vermehrung des Papiergeldes hatten naturgemäß eine starke Depression
der Valuta zur Folge. Nachdem der Papierrubcl (nach den Notirungen der
Berliner Börse) im Jahre 1876 zeitweise noch einen Wert von 83 Prozent
der metallischen Währung gehabt hatte, sank er infolge des Krieges im März
1878 bis auf 68,75 und hat sich auch in den letzten Friedensjahren nicht
über den Dnrchschnittskurs von 62--64 Prozent zu erheben vermocht. In den
letzten Jahren ist indessen unter der Mitwirkung ausländischen Kapitals eine
Art von Stillstand in der rückläufigen Bewegung des Wechselkurses erzielt
worden, und neuerdings erfreut sich Rußland eines ungewöhnlichen Kredits,
der den Kurs seiner Staatspapiere in die Höhe getrieben und selbst den Ge¬
danken an eine Zinsrednktion derselben wachgerufen hat. Trotz dieser günstigen
Konstellation hält aber die Entwertung des Papierrubels an. Diese Erscheinung


Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

statt, auch hatte der Abschluß des Friedens keine Kontributionen und Steuer-
erhöhungen im Gefolge. Der mittelbare wirtschaftliche Nachteil bestand also
eigentlich nur in einer von den innern Landesteilen kaum empfundenen Handels¬
sperre, der Entziehung von Arbeitskräften und — der Vermehrung des Papier¬
geldes. Insofern aber der Krimkrieg die Haltlosigkeit vieler veralteten Zustände
dargelegt und die Notwendigkeit unifassender Reformen bewiesen hatte, wurde
er zum Wendepunkte in der Finanzleitung des Reiches. Verhängnisvoll fiir
die nun beginnende Epoche finanztechnischcr Versuche war aber das von Kaiser
Alexander II. unternommene bürgerliche Reformwerk. Das bekannte Diktum:
1^ RriWis hö reousillo wurde von dem friedliebenden Zaren zwar ernst ge¬
nommen, aber die innern Umwälzungen und der Mangel eines geschulten, zu¬
verlässigen Beamtentums wirkten störend ein auf die Finanzoperationen der Re¬
gierung. Erst Anfang der siebziger Jahre trat eine relative Besserung im Staats¬
haushalt ein. Der Ausschwung des wirtschaftlichen und Verkehrslebens, den
der Eisenbahnbau veranlaßt hatte, hätte zur Sanirung der Finanzlage führen
können, wenn nicht 1877 der russisch-türkische Krieg die Schuldenlast des Landes
wieder außerordentlich vermehrt und die Regierung unter der Einwirkung einer
akuten Geldklemme auf die Bahn der Auskunftsmittel gedrängt hätte, welche
ihrerseits dem Staatsschatz neue drückende Verpflichtungen aufbürdeten. Aus
Anlaß dieser letzten militärischen Aktion hat Rußland, und zwar teils zum
Zwecke der Mobilmachung, teils als Folge der Kriegskosten, in den Jahren
1876 bis 1881 nachstehende Anleihen kontmhirt:

1876: Irländische Anleihe von 100 MM. Rubel zu 92 Prozent,
1877- Erstes Orient-Anleheu von 200 MM. Rubel zu 90 Prozent,
1377! Ausländisches Anlehen von Is Will. Pfd. Sterl. zu 74 Prozent,
1878: Zweites Orient-Aulchcn von 300 Mill. Rubel zu 93 Prozent,
1379: Drittes Orient-Anlehen von 300 Mill. Rubel zu 92'/, Prozent,
1831: Irländische Anleihe von 100 Mill. Rubel zu 927, Prozent.

Die großen Lasten, welche die Kriegführung der Staatskasse aufwälzte,
und die Vermehrung des Papiergeldes hatten naturgemäß eine starke Depression
der Valuta zur Folge. Nachdem der Papierrubcl (nach den Notirungen der
Berliner Börse) im Jahre 1876 zeitweise noch einen Wert von 83 Prozent
der metallischen Währung gehabt hatte, sank er infolge des Krieges im März
1878 bis auf 68,75 und hat sich auch in den letzten Friedensjahren nicht
über den Dnrchschnittskurs von 62—64 Prozent zu erheben vermocht. In den
letzten Jahren ist indessen unter der Mitwirkung ausländischen Kapitals eine
Art von Stillstand in der rückläufigen Bewegung des Wechselkurses erzielt
worden, und neuerdings erfreut sich Rußland eines ungewöhnlichen Kredits,
der den Kurs seiner Staatspapiere in die Höhe getrieben und selbst den Ge¬
danken an eine Zinsrednktion derselben wachgerufen hat. Trotz dieser günstigen
Konstellation hält aber die Entwertung des Papierrubels an. Diese Erscheinung


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[0506] Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta. statt, auch hatte der Abschluß des Friedens keine Kontributionen und Steuer- erhöhungen im Gefolge. Der mittelbare wirtschaftliche Nachteil bestand also eigentlich nur in einer von den innern Landesteilen kaum empfundenen Handels¬ sperre, der Entziehung von Arbeitskräften und — der Vermehrung des Papier¬ geldes. Insofern aber der Krimkrieg die Haltlosigkeit vieler veralteten Zustände dargelegt und die Notwendigkeit unifassender Reformen bewiesen hatte, wurde er zum Wendepunkte in der Finanzleitung des Reiches. Verhängnisvoll fiir die nun beginnende Epoche finanztechnischcr Versuche war aber das von Kaiser Alexander II. unternommene bürgerliche Reformwerk. Das bekannte Diktum: 1^ RriWis hö reousillo wurde von dem friedliebenden Zaren zwar ernst ge¬ nommen, aber die innern Umwälzungen und der Mangel eines geschulten, zu¬ verlässigen Beamtentums wirkten störend ein auf die Finanzoperationen der Re¬ gierung. Erst Anfang der siebziger Jahre trat eine relative Besserung im Staats¬ haushalt ein. Der Ausschwung des wirtschaftlichen und Verkehrslebens, den der Eisenbahnbau veranlaßt hatte, hätte zur Sanirung der Finanzlage führen können, wenn nicht 1877 der russisch-türkische Krieg die Schuldenlast des Landes wieder außerordentlich vermehrt und die Regierung unter der Einwirkung einer akuten Geldklemme auf die Bahn der Auskunftsmittel gedrängt hätte, welche ihrerseits dem Staatsschatz neue drückende Verpflichtungen aufbürdeten. Aus Anlaß dieser letzten militärischen Aktion hat Rußland, und zwar teils zum Zwecke der Mobilmachung, teils als Folge der Kriegskosten, in den Jahren 1876 bis 1881 nachstehende Anleihen kontmhirt: 1876: Irländische Anleihe von 100 MM. Rubel zu 92 Prozent, 1877- Erstes Orient-Anleheu von 200 MM. Rubel zu 90 Prozent, 1377! Ausländisches Anlehen von Is Will. Pfd. Sterl. zu 74 Prozent, 1878: Zweites Orient-Aulchcn von 300 Mill. Rubel zu 93 Prozent, 1379: Drittes Orient-Anlehen von 300 Mill. Rubel zu 92'/, Prozent, 1831: Irländische Anleihe von 100 Mill. Rubel zu 927, Prozent. Die großen Lasten, welche die Kriegführung der Staatskasse aufwälzte, und die Vermehrung des Papiergeldes hatten naturgemäß eine starke Depression der Valuta zur Folge. Nachdem der Papierrubcl (nach den Notirungen der Berliner Börse) im Jahre 1876 zeitweise noch einen Wert von 83 Prozent der metallischen Währung gehabt hatte, sank er infolge des Krieges im März 1878 bis auf 68,75 und hat sich auch in den letzten Friedensjahren nicht über den Dnrchschnittskurs von 62—64 Prozent zu erheben vermocht. In den letzten Jahren ist indessen unter der Mitwirkung ausländischen Kapitals eine Art von Stillstand in der rückläufigen Bewegung des Wechselkurses erzielt worden, und neuerdings erfreut sich Rußland eines ungewöhnlichen Kredits, der den Kurs seiner Staatspapiere in die Höhe getrieben und selbst den Ge¬ danken an eine Zinsrednktion derselben wachgerufen hat. Trotz dieser günstigen Konstellation hält aber die Entwertung des Papierrubels an. Diese Erscheinung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/506>, abgerufen am 01.07.2024.