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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Tamoöns.

Herr, ich darf Euch nicht versprechen, Euch hier wieder zu begegnen! ver¬
setzte Katarina, ihre Hände der Umklammerung des erregten Königs entwindend.
Es ist ein Unrecht gegen Eure Majestät, vielleicht ein Frevel gegen das Land,
daß ich heute Euerm Rufe gefolgt bin! Dann nahm sie, trotz der Thränen in
ihren Angen, wahr, daß der König sich nicht länger beherrsche, und floh mit
einer flehenden, abwehrenden Geberde nach dem Laubthvr zurück, aus dem sie
vorhin hervorgetreten war und unter dessen Zweigen sie laut nach Miraflores
rief, Dom Sebastian hatte sich, noch ehe sie enteilte, mit überwallender Leiden¬
schaft auf die Kniee vor ihr geworfen, hinter der Fliehenden drein klangen die
Rufe: Catarina! Geliebte! und als der König inne ward, daß er sie nicht
zurückzurufen vermochte, schlug er in wildschmerzlicher Bewegung beide Hände
vor sein Gesicht und sprang dann empor, heftig am Geländer der Terrasse
rüttelnd. Über den Leib des Lauschers ging ein Schauer; Camoens fühlte,
daß der König, wenn er jetzt des Unberufenen ansichtig würde, das Schwert
ziehen und ihn niederstoßen müßte; er wußte auch, so sehr er seinem jungen
Herrscher grollte, daß er die eigne Waffe gegen denselben nicht erheben werde.
Und doch war es nicht das, was ihn jetzt beklommener atmen ließ und ihm schwer
auf dein Herzen lag. Der junge König hatte sich rasch wieder gefaßt, in der
Haltung, die ihm sonst eigentümlich war, schritt er noch einmal die Steinplatten
der Terrasse auf und ab und trat dann den Rückweg zum obern Teil der Gärten
und zu seinem Palaste an, Camoens verharrte noch einige Minuten nach dein
Weggange des Königs lautlos, regungslos, als fürchte er, daß das Rascheln
der zurückschlagenden Zweige den Verschwindenden zurückrufen könne. Erst als
er völlig gewiß war, daß er in der grünen Stille wiederum so allein sei wie
vor dem Erscheinen des Königs und der Gräfin Palmeirim, verließ er seinen Zu¬
fluchtsort und schritt durch den Atazicngang, der jetzt nächtig dunkel vor ihm
lag, jener Stelle der Mauer wieder zu, über die er sich vorher geschwungen hatte.
Sein Traum von Catariua Ntahde samt dem Frieden, den er aus holder Er¬
innerung gesogen, waren dahin! Jetzt war alles spannende, drängende, sorgen¬
volle Gegenwart -- jeder Laut, deu Catariua Palmeirim und der König getauscht
hatten, lebte in seinem Gedächtnis, jede Miene der beiden in seiner Seele.
Fras Tellcz hatte Recht, tausendmal Recht; wenn der König blieb, so ver¬
mochte das schöne Mädchen seinem Schmerze und seinen Bitten nicht lange mehr
zu widerstehen. Camoens sah zwischen den Kronen der Akazien nach dem
Nachthimmel empor, an dem einzelne Sterne aufblitzten. Über die Terrasse kam
ans dem tiefer liegenden Thale ein letzter warmer Abendhauch, Camoens bot
ihm seine Stirn, ohne wohlthätig berührt zu werden. Hinter dieser Stirn
brauste und klopfte es fiebrisch, das Wort: Er muß hinweg! trat nicht wie
gestern auf seine Lippen, aber er vernahm nur das eine, vernahm es tausend¬
stimmig. Was auch Barreto und das eigne Gewissen sagen mochten, jetzt war
es entschieden, daß er alles, was sein war, Kraft, Leben und Ehre einsetze"


Tamoöns.

Herr, ich darf Euch nicht versprechen, Euch hier wieder zu begegnen! ver¬
setzte Katarina, ihre Hände der Umklammerung des erregten Königs entwindend.
Es ist ein Unrecht gegen Eure Majestät, vielleicht ein Frevel gegen das Land,
daß ich heute Euerm Rufe gefolgt bin! Dann nahm sie, trotz der Thränen in
ihren Angen, wahr, daß der König sich nicht länger beherrsche, und floh mit
einer flehenden, abwehrenden Geberde nach dem Laubthvr zurück, aus dem sie
vorhin hervorgetreten war und unter dessen Zweigen sie laut nach Miraflores
rief, Dom Sebastian hatte sich, noch ehe sie enteilte, mit überwallender Leiden¬
schaft auf die Kniee vor ihr geworfen, hinter der Fliehenden drein klangen die
Rufe: Catarina! Geliebte! und als der König inne ward, daß er sie nicht
zurückzurufen vermochte, schlug er in wildschmerzlicher Bewegung beide Hände
vor sein Gesicht und sprang dann empor, heftig am Geländer der Terrasse
rüttelnd. Über den Leib des Lauschers ging ein Schauer; Camoens fühlte,
daß der König, wenn er jetzt des Unberufenen ansichtig würde, das Schwert
ziehen und ihn niederstoßen müßte; er wußte auch, so sehr er seinem jungen
Herrscher grollte, daß er die eigne Waffe gegen denselben nicht erheben werde.
Und doch war es nicht das, was ihn jetzt beklommener atmen ließ und ihm schwer
auf dein Herzen lag. Der junge König hatte sich rasch wieder gefaßt, in der
Haltung, die ihm sonst eigentümlich war, schritt er noch einmal die Steinplatten
der Terrasse auf und ab und trat dann den Rückweg zum obern Teil der Gärten
und zu seinem Palaste an, Camoens verharrte noch einige Minuten nach dein
Weggange des Königs lautlos, regungslos, als fürchte er, daß das Rascheln
der zurückschlagenden Zweige den Verschwindenden zurückrufen könne. Erst als
er völlig gewiß war, daß er in der grünen Stille wiederum so allein sei wie
vor dem Erscheinen des Königs und der Gräfin Palmeirim, verließ er seinen Zu¬
fluchtsort und schritt durch den Atazicngang, der jetzt nächtig dunkel vor ihm
lag, jener Stelle der Mauer wieder zu, über die er sich vorher geschwungen hatte.
Sein Traum von Catariua Ntahde samt dem Frieden, den er aus holder Er¬
innerung gesogen, waren dahin! Jetzt war alles spannende, drängende, sorgen¬
volle Gegenwart — jeder Laut, deu Catariua Palmeirim und der König getauscht
hatten, lebte in seinem Gedächtnis, jede Miene der beiden in seiner Seele.
Fras Tellcz hatte Recht, tausendmal Recht; wenn der König blieb, so ver¬
mochte das schöne Mädchen seinem Schmerze und seinen Bitten nicht lange mehr
zu widerstehen. Camoens sah zwischen den Kronen der Akazien nach dem
Nachthimmel empor, an dem einzelne Sterne aufblitzten. Über die Terrasse kam
ans dem tiefer liegenden Thale ein letzter warmer Abendhauch, Camoens bot
ihm seine Stirn, ohne wohlthätig berührt zu werden. Hinter dieser Stirn
brauste und klopfte es fiebrisch, das Wort: Er muß hinweg! trat nicht wie
gestern auf seine Lippen, aber er vernahm nur das eine, vernahm es tausend¬
stimmig. Was auch Barreto und das eigne Gewissen sagen mochten, jetzt war
es entschieden, daß er alles, was sein war, Kraft, Leben und Ehre einsetze»


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[0494] Tamoöns. Herr, ich darf Euch nicht versprechen, Euch hier wieder zu begegnen! ver¬ setzte Katarina, ihre Hände der Umklammerung des erregten Königs entwindend. Es ist ein Unrecht gegen Eure Majestät, vielleicht ein Frevel gegen das Land, daß ich heute Euerm Rufe gefolgt bin! Dann nahm sie, trotz der Thränen in ihren Angen, wahr, daß der König sich nicht länger beherrsche, und floh mit einer flehenden, abwehrenden Geberde nach dem Laubthvr zurück, aus dem sie vorhin hervorgetreten war und unter dessen Zweigen sie laut nach Miraflores rief, Dom Sebastian hatte sich, noch ehe sie enteilte, mit überwallender Leiden¬ schaft auf die Kniee vor ihr geworfen, hinter der Fliehenden drein klangen die Rufe: Catarina! Geliebte! und als der König inne ward, daß er sie nicht zurückzurufen vermochte, schlug er in wildschmerzlicher Bewegung beide Hände vor sein Gesicht und sprang dann empor, heftig am Geländer der Terrasse rüttelnd. Über den Leib des Lauschers ging ein Schauer; Camoens fühlte, daß der König, wenn er jetzt des Unberufenen ansichtig würde, das Schwert ziehen und ihn niederstoßen müßte; er wußte auch, so sehr er seinem jungen Herrscher grollte, daß er die eigne Waffe gegen denselben nicht erheben werde. Und doch war es nicht das, was ihn jetzt beklommener atmen ließ und ihm schwer auf dein Herzen lag. Der junge König hatte sich rasch wieder gefaßt, in der Haltung, die ihm sonst eigentümlich war, schritt er noch einmal die Steinplatten der Terrasse auf und ab und trat dann den Rückweg zum obern Teil der Gärten und zu seinem Palaste an, Camoens verharrte noch einige Minuten nach dein Weggange des Königs lautlos, regungslos, als fürchte er, daß das Rascheln der zurückschlagenden Zweige den Verschwindenden zurückrufen könne. Erst als er völlig gewiß war, daß er in der grünen Stille wiederum so allein sei wie vor dem Erscheinen des Königs und der Gräfin Palmeirim, verließ er seinen Zu¬ fluchtsort und schritt durch den Atazicngang, der jetzt nächtig dunkel vor ihm lag, jener Stelle der Mauer wieder zu, über die er sich vorher geschwungen hatte. Sein Traum von Catariua Ntahde samt dem Frieden, den er aus holder Er¬ innerung gesogen, waren dahin! Jetzt war alles spannende, drängende, sorgen¬ volle Gegenwart — jeder Laut, deu Catariua Palmeirim und der König getauscht hatten, lebte in seinem Gedächtnis, jede Miene der beiden in seiner Seele. Fras Tellcz hatte Recht, tausendmal Recht; wenn der König blieb, so ver¬ mochte das schöne Mädchen seinem Schmerze und seinen Bitten nicht lange mehr zu widerstehen. Camoens sah zwischen den Kronen der Akazien nach dem Nachthimmel empor, an dem einzelne Sterne aufblitzten. Über die Terrasse kam ans dem tiefer liegenden Thale ein letzter warmer Abendhauch, Camoens bot ihm seine Stirn, ohne wohlthätig berührt zu werden. Hinter dieser Stirn brauste und klopfte es fiebrisch, das Wort: Er muß hinweg! trat nicht wie gestern auf seine Lippen, aber er vernahm nur das eine, vernahm es tausend¬ stimmig. Was auch Barreto und das eigne Gewissen sagen mochten, jetzt war es entschieden, daß er alles, was sein war, Kraft, Leben und Ehre einsetze»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/494>, abgerufen am 30.06.2024.