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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Frankreich und die Orleans.

Es kann deshalb nicht sehr auffallen, daß sich am 15. Mai auch Bonapartisten
im Salon der Gräfin von Paris einfanden, und daß selbst laue und spekulative
Republikaner sich dahin verirrten. Das Cäsarentum hat unter den Franzosen
viel an Kredit eingebüßt, wenn es sich um Vertrauen in seine Verfassungstreue
handelt; man erinnert sich an den 18. Brumaire und an den 2. Dezember.
Das Gespenst der Kommune spukt noch immer und ängstigt die Kapitalisten¬
welt und ihre großen Finanziers orientalischen und andern Geblütes, welche
die Republik im Verein mit Advokaten und Professoren direkt und indirekt re¬
gieren und fruttifizireu. Das kann einmal unerträglich für die Herren werden,
und wenn dann ein General ihnen den radikalen Drachen totgeschlagen hat und
(wie Cavaignac) nicht selbst Lust fühlt, mit dem Szepter zu Hantiren, wenn
man dann in Frankreich eine geborne Fürstlichkeit braucht, damit die Gesellschaft
gerettet bleibe, so wird Frankreich in Gestalt des Grafen von Paris für dieses
Bedürfnis einen respektabeln Herrn mittlern Alters auf Lager haben, der dnrch
seine Frau, seine Töchter, seine Brüder und Schwestern mit fast allen regie¬
renden Fürstenhäusern Europas verwandt ist.

Ohne sich auf den akademischen Streit über die beste Regierungsform ein¬
zulassen, darf mau es als ein Mißgeschick für Frankreich bezeichnen, daß seine
Revolutionen den Franzosen von heute dem Leben und den Überlieferungen
der Vergangenheit seines Landes entfremdet haben. Deutschland, Österreich,
England, Italien und Spanien erfreuen sich parlamentarischer Einrichtungen
und persönlicher Freiheiten unter dein Schutze fürstlicher Familien, die mit ihren
alten, ruhmvollen Erinnerungen verknüpft und doch mit dem modernen Fort¬
schritte versöhnt sind. Ans dem Banner des deutschen Reiches, auf dem des
Königreiches Italien, die beide Verfassungsstaaten sind, befinden sich die Embleme
ihrer Dynastien, dort der Adler der Hohenzollern, hier das Kreuz von Savoyen.
Ehe dagegen die Franzosen ihre jetzige politische Stellung gewinnen konnten,
mußten sie die verschiednen Formen der Monarchie verwerfen, welche durch
die Bourbonen, das Haus Orleans und die Bonapartes reprcisentirt waren.
Ihre Rechte haben die Trümmer von drei Dynastien zur Grundlage, und man
kann nicht sagen, daß hierbei die Schuld allein das Volk treffe. Karl der Zehnte
wurde vertrieben, weil er sich zum unbeschränkten Herrscher machen wollte,
Ludwig Philipp, weil er mäßigen Reformen widerstrebte. Napoleon der Erste
und der Dritte verloren den Thron in Kriegen, die sie ohne Not heraufbe-
schworen hatten. Niemals hat ein französischer Herrscher streng verfassungs¬
mäßig regiert, und wenn bei der Art der Franzosen anch ein solches Regiment,
ein solches Kompromiß vielleicht mißlungen wäre, die Schuld also muh das
Volk träfe, so ist das Ergebnis doch ein Unheil für Frankreich. Die Republik
ist nicht bloß eine auf ungewissen Wahlen ruhende Schöpfung, sondern ein
Widerspruch gegen die alten Überlieferungen des Landes, an denen ein großer
Teil des Volkes festhält. Da Königtum und Kirche so lange im Bunde mit


Frankreich und die Orleans.

Es kann deshalb nicht sehr auffallen, daß sich am 15. Mai auch Bonapartisten
im Salon der Gräfin von Paris einfanden, und daß selbst laue und spekulative
Republikaner sich dahin verirrten. Das Cäsarentum hat unter den Franzosen
viel an Kredit eingebüßt, wenn es sich um Vertrauen in seine Verfassungstreue
handelt; man erinnert sich an den 18. Brumaire und an den 2. Dezember.
Das Gespenst der Kommune spukt noch immer und ängstigt die Kapitalisten¬
welt und ihre großen Finanziers orientalischen und andern Geblütes, welche
die Republik im Verein mit Advokaten und Professoren direkt und indirekt re¬
gieren und fruttifizireu. Das kann einmal unerträglich für die Herren werden,
und wenn dann ein General ihnen den radikalen Drachen totgeschlagen hat und
(wie Cavaignac) nicht selbst Lust fühlt, mit dem Szepter zu Hantiren, wenn
man dann in Frankreich eine geborne Fürstlichkeit braucht, damit die Gesellschaft
gerettet bleibe, so wird Frankreich in Gestalt des Grafen von Paris für dieses
Bedürfnis einen respektabeln Herrn mittlern Alters auf Lager haben, der dnrch
seine Frau, seine Töchter, seine Brüder und Schwestern mit fast allen regie¬
renden Fürstenhäusern Europas verwandt ist.

Ohne sich auf den akademischen Streit über die beste Regierungsform ein¬
zulassen, darf mau es als ein Mißgeschick für Frankreich bezeichnen, daß seine
Revolutionen den Franzosen von heute dem Leben und den Überlieferungen
der Vergangenheit seines Landes entfremdet haben. Deutschland, Österreich,
England, Italien und Spanien erfreuen sich parlamentarischer Einrichtungen
und persönlicher Freiheiten unter dein Schutze fürstlicher Familien, die mit ihren
alten, ruhmvollen Erinnerungen verknüpft und doch mit dem modernen Fort¬
schritte versöhnt sind. Ans dem Banner des deutschen Reiches, auf dem des
Königreiches Italien, die beide Verfassungsstaaten sind, befinden sich die Embleme
ihrer Dynastien, dort der Adler der Hohenzollern, hier das Kreuz von Savoyen.
Ehe dagegen die Franzosen ihre jetzige politische Stellung gewinnen konnten,
mußten sie die verschiednen Formen der Monarchie verwerfen, welche durch
die Bourbonen, das Haus Orleans und die Bonapartes reprcisentirt waren.
Ihre Rechte haben die Trümmer von drei Dynastien zur Grundlage, und man
kann nicht sagen, daß hierbei die Schuld allein das Volk treffe. Karl der Zehnte
wurde vertrieben, weil er sich zum unbeschränkten Herrscher machen wollte,
Ludwig Philipp, weil er mäßigen Reformen widerstrebte. Napoleon der Erste
und der Dritte verloren den Thron in Kriegen, die sie ohne Not heraufbe-
schworen hatten. Niemals hat ein französischer Herrscher streng verfassungs¬
mäßig regiert, und wenn bei der Art der Franzosen anch ein solches Regiment,
ein solches Kompromiß vielleicht mißlungen wäre, die Schuld also muh das
Volk träfe, so ist das Ergebnis doch ein Unheil für Frankreich. Die Republik
ist nicht bloß eine auf ungewissen Wahlen ruhende Schöpfung, sondern ein
Widerspruch gegen die alten Überlieferungen des Landes, an denen ein großer
Teil des Volkes festhält. Da Königtum und Kirche so lange im Bunde mit


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[0491] Frankreich und die Orleans. Es kann deshalb nicht sehr auffallen, daß sich am 15. Mai auch Bonapartisten im Salon der Gräfin von Paris einfanden, und daß selbst laue und spekulative Republikaner sich dahin verirrten. Das Cäsarentum hat unter den Franzosen viel an Kredit eingebüßt, wenn es sich um Vertrauen in seine Verfassungstreue handelt; man erinnert sich an den 18. Brumaire und an den 2. Dezember. Das Gespenst der Kommune spukt noch immer und ängstigt die Kapitalisten¬ welt und ihre großen Finanziers orientalischen und andern Geblütes, welche die Republik im Verein mit Advokaten und Professoren direkt und indirekt re¬ gieren und fruttifizireu. Das kann einmal unerträglich für die Herren werden, und wenn dann ein General ihnen den radikalen Drachen totgeschlagen hat und (wie Cavaignac) nicht selbst Lust fühlt, mit dem Szepter zu Hantiren, wenn man dann in Frankreich eine geborne Fürstlichkeit braucht, damit die Gesellschaft gerettet bleibe, so wird Frankreich in Gestalt des Grafen von Paris für dieses Bedürfnis einen respektabeln Herrn mittlern Alters auf Lager haben, der dnrch seine Frau, seine Töchter, seine Brüder und Schwestern mit fast allen regie¬ renden Fürstenhäusern Europas verwandt ist. Ohne sich auf den akademischen Streit über die beste Regierungsform ein¬ zulassen, darf mau es als ein Mißgeschick für Frankreich bezeichnen, daß seine Revolutionen den Franzosen von heute dem Leben und den Überlieferungen der Vergangenheit seines Landes entfremdet haben. Deutschland, Österreich, England, Italien und Spanien erfreuen sich parlamentarischer Einrichtungen und persönlicher Freiheiten unter dein Schutze fürstlicher Familien, die mit ihren alten, ruhmvollen Erinnerungen verknüpft und doch mit dem modernen Fort¬ schritte versöhnt sind. Ans dem Banner des deutschen Reiches, auf dem des Königreiches Italien, die beide Verfassungsstaaten sind, befinden sich die Embleme ihrer Dynastien, dort der Adler der Hohenzollern, hier das Kreuz von Savoyen. Ehe dagegen die Franzosen ihre jetzige politische Stellung gewinnen konnten, mußten sie die verschiednen Formen der Monarchie verwerfen, welche durch die Bourbonen, das Haus Orleans und die Bonapartes reprcisentirt waren. Ihre Rechte haben die Trümmer von drei Dynastien zur Grundlage, und man kann nicht sagen, daß hierbei die Schuld allein das Volk treffe. Karl der Zehnte wurde vertrieben, weil er sich zum unbeschränkten Herrscher machen wollte, Ludwig Philipp, weil er mäßigen Reformen widerstrebte. Napoleon der Erste und der Dritte verloren den Thron in Kriegen, die sie ohne Not heraufbe- schworen hatten. Niemals hat ein französischer Herrscher streng verfassungs¬ mäßig regiert, und wenn bei der Art der Franzosen anch ein solches Regiment, ein solches Kompromiß vielleicht mißlungen wäre, die Schuld also muh das Volk träfe, so ist das Ergebnis doch ein Unheil für Frankreich. Die Republik ist nicht bloß eine auf ungewissen Wahlen ruhende Schöpfung, sondern ein Widerspruch gegen die alten Überlieferungen des Landes, an denen ein großer Teil des Volkes festhält. Da Königtum und Kirche so lange im Bunde mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/491>, abgerufen am 02.07.2024.