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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die religiöse Malerei der Gegenwart.

Figuren der heiligen Geschichte, die Hauptpersonen wie das zuschauende, den Chorus
bildende Volk so dar, wie es die Schüler der van Eyck, Dürer und Holbein gethan
hatten. Diese neue Auffassung wirkte zunächst überraschend, und da sie zugleich mit
einer nicht geringen koloristischen Leistungsfähigkeit verbunden war, auch bis zu
einem gewissen Grade überzeugend. Auf die Dauer war diese Auffassung jedoch nicht
haltbar, da ihr die Keime der weitern Entwicklung fehlten. Was bei den alten
Meistern der Ausfluß gläubiger Naivität, der Wiederschein des sie umgebenden
unmittelbaren Lebens war, das mußte sich bei dem modernen Maler als das
Erzeugnis der Reflexion, das Ergebnis von Galeriestudicn darstellen. Jene
alten Künstler hatten die biblischen Szenen so wiedergegeben, daß sie die Lo¬
kalitäten, Landschaft wie Jnnemünme, die Trachten, die Geräte, die Waffen mit
der Gewissenhaftigkeit des seine Schwingen zu erstem Fluge regenden Realismus
den Mustern ihrer Zeit, dem, was sie täglich vor Augen hatten, getreulich nach¬
bildeten. Nur der Heiland und die ihm zunächst stehenden Personen, insbesondre
die Madonna und die Apostel, erschienen in einem antikisirenden Jdealkostüm,
welches durch spätchristliche, namentlich byzantinische Arbeiten, wie Elfenbein¬
reliefs, Miniaturen u. dergl. in., dem Abendlande überliefert worden war. Dazu
gesellten sich dann orientalische Züge, und schon im fünfzehnten Jahrhundert
haben die in nordischen Städten ansässigen Juden mit ihrer ausländischen Tracht
den Künstlern als Modelle gedient. Es ist bekannt, daß die holländischen
Maler des siebzehnten Jahrhunderts die Juden ihrer Zeit, die damals, namentlich
in Amsterdam, zu Reichtum und Ansehen gekommen waren, ohne weiteres den
Personen der heiligen Geschichte substituirten. Daneben wirkte in noch verstärktem
Maße der Orient, dessen köstliche Produkte an Stoffen, Teppichen und Schmuck¬
sachen holländische Schiffe in großen Massen auf den Amsterdamer Markt
brachten. Es kam nicht selten vor. daß sich wohlhabende Leute mit solchen
Stoffen nach orientalischer Art bekleideten und sich auch wohl in diesen phan¬
tastischen Kostümen malen ließen. Von Rembrandt giebt es zahlreiche Bild¬
nisse und Radirungen dieser Art, welche irrtümlich als Juden, Jüdinnen und
"Judenbränte" bezeichnet werden. Die Künstler fühlten also schon um jene
Zeit instinktiv heraus, was in unserm Jahrhundert erst das Ergebnis lungern
Studiums gewesen ist, daß nämlich bei dem konservativen Charakter der Orien¬
talen Tracht und Sitte durch Jahrhunderte bewahrt worden sind, und daß
sich die orientalische Tracht der neuern Zeit nicht viel von derjenigen unter¬
scheidet, die zu Christi Zeiten üblich gewesen. Damit sind wir auf die von
Rembrandt zuerst in größerm Umfange betriebene Handhabung des biblischen
Apparats gekommen, welche zu unsrer Zeit, wie wir später sehen werden, mit
dem ganzen Aufwande ethnologischer und historischer Gelehrsamkeit ausgebildet
worden ist.

Wir haben aber noch eine andre Seite an der Auffassung religiöser Motive
durch die Maler des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts zu betrachten.


Grenzboten H. 1886. 59
Die religiöse Malerei der Gegenwart.

Figuren der heiligen Geschichte, die Hauptpersonen wie das zuschauende, den Chorus
bildende Volk so dar, wie es die Schüler der van Eyck, Dürer und Holbein gethan
hatten. Diese neue Auffassung wirkte zunächst überraschend, und da sie zugleich mit
einer nicht geringen koloristischen Leistungsfähigkeit verbunden war, auch bis zu
einem gewissen Grade überzeugend. Auf die Dauer war diese Auffassung jedoch nicht
haltbar, da ihr die Keime der weitern Entwicklung fehlten. Was bei den alten
Meistern der Ausfluß gläubiger Naivität, der Wiederschein des sie umgebenden
unmittelbaren Lebens war, das mußte sich bei dem modernen Maler als das
Erzeugnis der Reflexion, das Ergebnis von Galeriestudicn darstellen. Jene
alten Künstler hatten die biblischen Szenen so wiedergegeben, daß sie die Lo¬
kalitäten, Landschaft wie Jnnemünme, die Trachten, die Geräte, die Waffen mit
der Gewissenhaftigkeit des seine Schwingen zu erstem Fluge regenden Realismus
den Mustern ihrer Zeit, dem, was sie täglich vor Augen hatten, getreulich nach¬
bildeten. Nur der Heiland und die ihm zunächst stehenden Personen, insbesondre
die Madonna und die Apostel, erschienen in einem antikisirenden Jdealkostüm,
welches durch spätchristliche, namentlich byzantinische Arbeiten, wie Elfenbein¬
reliefs, Miniaturen u. dergl. in., dem Abendlande überliefert worden war. Dazu
gesellten sich dann orientalische Züge, und schon im fünfzehnten Jahrhundert
haben die in nordischen Städten ansässigen Juden mit ihrer ausländischen Tracht
den Künstlern als Modelle gedient. Es ist bekannt, daß die holländischen
Maler des siebzehnten Jahrhunderts die Juden ihrer Zeit, die damals, namentlich
in Amsterdam, zu Reichtum und Ansehen gekommen waren, ohne weiteres den
Personen der heiligen Geschichte substituirten. Daneben wirkte in noch verstärktem
Maße der Orient, dessen köstliche Produkte an Stoffen, Teppichen und Schmuck¬
sachen holländische Schiffe in großen Massen auf den Amsterdamer Markt
brachten. Es kam nicht selten vor. daß sich wohlhabende Leute mit solchen
Stoffen nach orientalischer Art bekleideten und sich auch wohl in diesen phan¬
tastischen Kostümen malen ließen. Von Rembrandt giebt es zahlreiche Bild¬
nisse und Radirungen dieser Art, welche irrtümlich als Juden, Jüdinnen und
„Judenbränte" bezeichnet werden. Die Künstler fühlten also schon um jene
Zeit instinktiv heraus, was in unserm Jahrhundert erst das Ergebnis lungern
Studiums gewesen ist, daß nämlich bei dem konservativen Charakter der Orien¬
talen Tracht und Sitte durch Jahrhunderte bewahrt worden sind, und daß
sich die orientalische Tracht der neuern Zeit nicht viel von derjenigen unter¬
scheidet, die zu Christi Zeiten üblich gewesen. Damit sind wir auf die von
Rembrandt zuerst in größerm Umfange betriebene Handhabung des biblischen
Apparats gekommen, welche zu unsrer Zeit, wie wir später sehen werden, mit
dem ganzen Aufwande ethnologischer und historischer Gelehrsamkeit ausgebildet
worden ist.

Wir haben aber noch eine andre Seite an der Auffassung religiöser Motive
durch die Maler des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts zu betrachten.


Grenzboten H. 1886. 59
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[0473] Die religiöse Malerei der Gegenwart. Figuren der heiligen Geschichte, die Hauptpersonen wie das zuschauende, den Chorus bildende Volk so dar, wie es die Schüler der van Eyck, Dürer und Holbein gethan hatten. Diese neue Auffassung wirkte zunächst überraschend, und da sie zugleich mit einer nicht geringen koloristischen Leistungsfähigkeit verbunden war, auch bis zu einem gewissen Grade überzeugend. Auf die Dauer war diese Auffassung jedoch nicht haltbar, da ihr die Keime der weitern Entwicklung fehlten. Was bei den alten Meistern der Ausfluß gläubiger Naivität, der Wiederschein des sie umgebenden unmittelbaren Lebens war, das mußte sich bei dem modernen Maler als das Erzeugnis der Reflexion, das Ergebnis von Galeriestudicn darstellen. Jene alten Künstler hatten die biblischen Szenen so wiedergegeben, daß sie die Lo¬ kalitäten, Landschaft wie Jnnemünme, die Trachten, die Geräte, die Waffen mit der Gewissenhaftigkeit des seine Schwingen zu erstem Fluge regenden Realismus den Mustern ihrer Zeit, dem, was sie täglich vor Augen hatten, getreulich nach¬ bildeten. Nur der Heiland und die ihm zunächst stehenden Personen, insbesondre die Madonna und die Apostel, erschienen in einem antikisirenden Jdealkostüm, welches durch spätchristliche, namentlich byzantinische Arbeiten, wie Elfenbein¬ reliefs, Miniaturen u. dergl. in., dem Abendlande überliefert worden war. Dazu gesellten sich dann orientalische Züge, und schon im fünfzehnten Jahrhundert haben die in nordischen Städten ansässigen Juden mit ihrer ausländischen Tracht den Künstlern als Modelle gedient. Es ist bekannt, daß die holländischen Maler des siebzehnten Jahrhunderts die Juden ihrer Zeit, die damals, namentlich in Amsterdam, zu Reichtum und Ansehen gekommen waren, ohne weiteres den Personen der heiligen Geschichte substituirten. Daneben wirkte in noch verstärktem Maße der Orient, dessen köstliche Produkte an Stoffen, Teppichen und Schmuck¬ sachen holländische Schiffe in großen Massen auf den Amsterdamer Markt brachten. Es kam nicht selten vor. daß sich wohlhabende Leute mit solchen Stoffen nach orientalischer Art bekleideten und sich auch wohl in diesen phan¬ tastischen Kostümen malen ließen. Von Rembrandt giebt es zahlreiche Bild¬ nisse und Radirungen dieser Art, welche irrtümlich als Juden, Jüdinnen und „Judenbränte" bezeichnet werden. Die Künstler fühlten also schon um jene Zeit instinktiv heraus, was in unserm Jahrhundert erst das Ergebnis lungern Studiums gewesen ist, daß nämlich bei dem konservativen Charakter der Orien¬ talen Tracht und Sitte durch Jahrhunderte bewahrt worden sind, und daß sich die orientalische Tracht der neuern Zeit nicht viel von derjenigen unter¬ scheidet, die zu Christi Zeiten üblich gewesen. Damit sind wir auf die von Rembrandt zuerst in größerm Umfange betriebene Handhabung des biblischen Apparats gekommen, welche zu unsrer Zeit, wie wir später sehen werden, mit dem ganzen Aufwande ethnologischer und historischer Gelehrsamkeit ausgebildet worden ist. Wir haben aber noch eine andre Seite an der Auffassung religiöser Motive durch die Maler des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts zu betrachten. Grenzboten H. 1886. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/473>, abgerufen am 24.07.2024.