Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen. des verantwortlichen und mühsamen Beamtcnlebens. Der fremden Kultur ist Wie wir nun einmal sind nud wie sich die gesamte Kultur des Abend¬ Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen. des verantwortlichen und mühsamen Beamtcnlebens. Der fremden Kultur ist Wie wir nun einmal sind nud wie sich die gesamte Kultur des Abend¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198534"/> <fw type="header" place="top"> Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1357" prev="#ID_1356"> des verantwortlichen und mühsamen Beamtcnlebens. Der fremden Kultur ist<lb/> also eine bestimmte Stelle im Bereiche der Volksbildung angewiesen. Über<lb/> diese Stelle läßt sich freilich noch streiten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1358"> Wie wir nun einmal sind nud wie sich die gesamte Kultur des Abend¬<lb/> landes im Laufe von Jahrtausenden gestaltet hat, ist ohne eine genauere Kenntnis<lb/> des antiken Lebens und der antiken Literatur uicht Wohl auszukommen. Aber<lb/> eine andre große Frage ist die, ob die gründliche Erlernung der alten Sprachen<lb/> nicht den Gelehrten von Beruf vorbehalten bleiben und der Universität oder<lb/> besondern akademischen Gymnasien zugewiesen werden sollte, damit die mehr prak¬<lb/> tischen Berufskreise, auch die künftigen Mediziner und die Juristen, schon im<lb/> Gymnasium ernstlicher zu den modernen Bildungsmitteln, wie sie sich z. B. in<lb/> den Realgymnasien finden, herangezogen werden könnten. Die wissenschaftliche<lb/> Pädagogik und die Anforderungen des Lebens sind die Faktoren, von welchen<lb/> die Lösung dieser brennenden Frage abhängt, bei der regen Teilnahme, welche<lb/> die Regierungen dem höhern Schulwesen entgegenbringen, ist zu erwarten, daß<lb/> die praktische Regelung sogleich eintreten wird, sobald nnr die Sache theoretisch<lb/> entschieden ist. Dabei werden freilich noch manche Vorurteile zu überwinden<lb/> sein. Das Gymnasium wirkt ungestört und unbestritten segensreich nnr als<lb/> Vorbildungsanstalt für den künftigen Fachgelehrten. Sobald es für die Praxis<lb/> vorbereiten soll, reicht es nicht mehr aus oder muß sich übermäßig mit mo¬<lb/> dernem Bildungsmaterial belasten. Man wird sich also wohl dazu verstehe»<lb/> müssen, von den alten Sprachen nur so viel in die Jugenderziehung aufzu¬<lb/> nehmen, als zum Verständnis wissenschaftlicher Untersuchungen unbedingt not¬<lb/> wendig ist, das übrige aber der Universität zu überlassen. In eine noch größere<lb/> Bedrängnis kommt das Gymnasium, wenn es eilte ganz allgemeine Bildungs¬<lb/> anstalt sein will. Den künftigen Fabrikanten, Kaufleuten und Landwirten kann<lb/> es nichts bieten als eine unfruchtbare Wifsensmafse, die erst wieder verlernt<lb/> werden muß, ehe der junge Mann sich seinem Berufe nähern kann. Alles De-<lb/> klamiren der Philologen gegen das Nützlichkeitsprinzip, alles Anpreisen der<lb/> Idealität und des formalen Bildungswertes, der den toten Sprachen innewohnen<lb/> soll, wird gegen die Gewalt der Thatsachen nichts ausrichten. Verharrt man<lb/> wie bisher ans dem einseitigen philologischen Standpunkte des Gymnasitims,<lb/> so werden allmählich die modernen Wissenschaften, deutsche Literatur, neuere<lb/> Sprachen, Naturkunde in vollem Umfange das Bollwerk der toten Sprachen<lb/> in den gymnasialen Lehrplänen selbst sprengen. Die Überbürdnngsfrage ist schon<lb/> der Anfang hierzu. Denn die Klagen über allzugroße geistige Anstrengung der<lb/> Jugend sind mit ihrer Spitze gegen das Gymnasium gekehrt. Zu allen Zeiten<lb/> treten sie hervor, in denen die humanistische Bildung in den Schulen mehr als<lb/> billig betont wurde, uicht lange nach der Reformation, um die Mitte dieses<lb/> Jahrhunderts und jetzt wieder. Auch sie sind ein Auflehnen des Volksgeistes<lb/> gegen die fremde Kultur.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0468]
Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.
des verantwortlichen und mühsamen Beamtcnlebens. Der fremden Kultur ist
also eine bestimmte Stelle im Bereiche der Volksbildung angewiesen. Über
diese Stelle läßt sich freilich noch streiten.
Wie wir nun einmal sind nud wie sich die gesamte Kultur des Abend¬
landes im Laufe von Jahrtausenden gestaltet hat, ist ohne eine genauere Kenntnis
des antiken Lebens und der antiken Literatur uicht Wohl auszukommen. Aber
eine andre große Frage ist die, ob die gründliche Erlernung der alten Sprachen
nicht den Gelehrten von Beruf vorbehalten bleiben und der Universität oder
besondern akademischen Gymnasien zugewiesen werden sollte, damit die mehr prak¬
tischen Berufskreise, auch die künftigen Mediziner und die Juristen, schon im
Gymnasium ernstlicher zu den modernen Bildungsmitteln, wie sie sich z. B. in
den Realgymnasien finden, herangezogen werden könnten. Die wissenschaftliche
Pädagogik und die Anforderungen des Lebens sind die Faktoren, von welchen
die Lösung dieser brennenden Frage abhängt, bei der regen Teilnahme, welche
die Regierungen dem höhern Schulwesen entgegenbringen, ist zu erwarten, daß
die praktische Regelung sogleich eintreten wird, sobald nnr die Sache theoretisch
entschieden ist. Dabei werden freilich noch manche Vorurteile zu überwinden
sein. Das Gymnasium wirkt ungestört und unbestritten segensreich nnr als
Vorbildungsanstalt für den künftigen Fachgelehrten. Sobald es für die Praxis
vorbereiten soll, reicht es nicht mehr aus oder muß sich übermäßig mit mo¬
dernem Bildungsmaterial belasten. Man wird sich also wohl dazu verstehe»
müssen, von den alten Sprachen nur so viel in die Jugenderziehung aufzu¬
nehmen, als zum Verständnis wissenschaftlicher Untersuchungen unbedingt not¬
wendig ist, das übrige aber der Universität zu überlassen. In eine noch größere
Bedrängnis kommt das Gymnasium, wenn es eilte ganz allgemeine Bildungs¬
anstalt sein will. Den künftigen Fabrikanten, Kaufleuten und Landwirten kann
es nichts bieten als eine unfruchtbare Wifsensmafse, die erst wieder verlernt
werden muß, ehe der junge Mann sich seinem Berufe nähern kann. Alles De-
klamiren der Philologen gegen das Nützlichkeitsprinzip, alles Anpreisen der
Idealität und des formalen Bildungswertes, der den toten Sprachen innewohnen
soll, wird gegen die Gewalt der Thatsachen nichts ausrichten. Verharrt man
wie bisher ans dem einseitigen philologischen Standpunkte des Gymnasitims,
so werden allmählich die modernen Wissenschaften, deutsche Literatur, neuere
Sprachen, Naturkunde in vollem Umfange das Bollwerk der toten Sprachen
in den gymnasialen Lehrplänen selbst sprengen. Die Überbürdnngsfrage ist schon
der Anfang hierzu. Denn die Klagen über allzugroße geistige Anstrengung der
Jugend sind mit ihrer Spitze gegen das Gymnasium gekehrt. Zu allen Zeiten
treten sie hervor, in denen die humanistische Bildung in den Schulen mehr als
billig betont wurde, uicht lange nach der Reformation, um die Mitte dieses
Jahrhunderts und jetzt wieder. Auch sie sind ein Auflehnen des Volksgeistes
gegen die fremde Kultur.
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