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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Polonium und Deutschtum in der Provinz Posen.

wird gcrmanisireu, sondern die polnischen Studenten mit ihrem Familienanhang,
welcher sich nach der Universität hinziehen wird, dürften polonisiren. Für die
deutsche Bevölkerung dagegen halten wir die Begründung einer Universität in
der Provinz Posen für völlig überflüssig; von den meisten Punkten der Provinz
gelangt man schneller nach Breslau oder Berlin als nach Bromberg. Brom-
berg ist anch nicht Straßburg mit der Nähe der Rheinlandschaften und des
Schwarzwaldes. Deutsche, welche die Mittel haben, ihre Söhne studiren zu
lassen, werden selbst bei bescheidnen Ansprüchen das nahe Breslau und Berlin
vorziehen. Will man dagegen durch gewisse Luxusaufweudungeu dem preußischen
Beamten das Leben in der Provinz angenehmer gestalten, so wird man in
erster Reihe mit der Provinzialhauptstadt beginnen müssen, wo das Polentum
in den letzten Jahrzehnten die sichtbarsten Fortschritte anch auf geistigem Ge¬
biete gemacht hat. Das kleine, aber recht gute polnische Theater, das Museum
der Freunde der Wissenschaften, die zahlreichen polnischen Zeitungen und Zeit¬
schriften, die verhältnismäßig große Anzahl polnischer Buchhandlungen, die Be¬
gründung einer nationalen polnischen Musikkapelle liefern hierfür den äußern
Anhalt. Zunächst müßte man das vorhandne deutsche Theater mit einer guten
ständigen Truppe ausstatten, die es auch den Provinzialen lohnend erscheinen
ließe, des Theaters wegen nach Posen zu kommen. Man errichte ferner eine
Kunstsammlung und statte dieselbe mit guten Bildern und Ghpsabgüssen aus
dem Überflusse der Berliner Kunstinstitute aus. Eine recht brauchbare Bibliothek
besitzt Posen bereits in der Büchersammlung des Grafen Raczhnski. Vor allem
aber müßte an einem zu Fuß erreichbaren Orte der Umgebung der Stadt nach
Art andrer Großstädte ein großer öffentlicher Park angelegt werden, da die
dürftigen Glacis zur Zeit den einzigen Sommerschatten spenden!

Soll es aber in der Provinz Posen innerlich anders werden, so wird
zunächst das Deutschtum einmal recht ernstlich mit sich ins Gericht gehen
müssen, ob es im öffentlichen und kommunalen Leben anch seine Aufgabe erfüllt
hat und zu erfüllen bereit gewesen ist; ob es dem Polentum gegenüber stets
eine würdige, geschlossene Front gezeigt und in sich selbst die Zucht geübt hat,
die notwendig ist, um die Achtung selbst des politischen Gegners zu erringen;
ob die deutsche Bevölkerung, statt nur Schutz und unerfüllbare Leistungen von
der Regierung zu erwarten und eine überscharfe Kritik an ihren Maßregeln zu
üben, auch stets da die Organe der Staatsregierung gestützt hat, wo es der po¬
litische Anstand gebot. Glaubt das Deutschtum diese Fragen mit einem ehrlichen
Ja beantworten zu können, so bleibt demselben jedenfalls noch immer die eine
Aufgabe, sich in den einzelnen Gemeinden und Kreisen, ohne Unterschied des po¬
litischen Bekenntnisses und ohne spießbürgerlichen Kastengeist, fester aneinander zu
schließen. Möchten die Deutschen von den Polen lernen, wie mau Vereine praktisch
wirksam macht, wie man durch opferfreudigen Zusammenschluß den Schwachen
stützt und hält, die heimische Presse in ihrer Bedeutung fördert und durch zahl-


Polonium und Deutschtum in der Provinz Posen.

wird gcrmanisireu, sondern die polnischen Studenten mit ihrem Familienanhang,
welcher sich nach der Universität hinziehen wird, dürften polonisiren. Für die
deutsche Bevölkerung dagegen halten wir die Begründung einer Universität in
der Provinz Posen für völlig überflüssig; von den meisten Punkten der Provinz
gelangt man schneller nach Breslau oder Berlin als nach Bromberg. Brom-
berg ist anch nicht Straßburg mit der Nähe der Rheinlandschaften und des
Schwarzwaldes. Deutsche, welche die Mittel haben, ihre Söhne studiren zu
lassen, werden selbst bei bescheidnen Ansprüchen das nahe Breslau und Berlin
vorziehen. Will man dagegen durch gewisse Luxusaufweudungeu dem preußischen
Beamten das Leben in der Provinz angenehmer gestalten, so wird man in
erster Reihe mit der Provinzialhauptstadt beginnen müssen, wo das Polentum
in den letzten Jahrzehnten die sichtbarsten Fortschritte anch auf geistigem Ge¬
biete gemacht hat. Das kleine, aber recht gute polnische Theater, das Museum
der Freunde der Wissenschaften, die zahlreichen polnischen Zeitungen und Zeit¬
schriften, die verhältnismäßig große Anzahl polnischer Buchhandlungen, die Be¬
gründung einer nationalen polnischen Musikkapelle liefern hierfür den äußern
Anhalt. Zunächst müßte man das vorhandne deutsche Theater mit einer guten
ständigen Truppe ausstatten, die es auch den Provinzialen lohnend erscheinen
ließe, des Theaters wegen nach Posen zu kommen. Man errichte ferner eine
Kunstsammlung und statte dieselbe mit guten Bildern und Ghpsabgüssen aus
dem Überflusse der Berliner Kunstinstitute aus. Eine recht brauchbare Bibliothek
besitzt Posen bereits in der Büchersammlung des Grafen Raczhnski. Vor allem
aber müßte an einem zu Fuß erreichbaren Orte der Umgebung der Stadt nach
Art andrer Großstädte ein großer öffentlicher Park angelegt werden, da die
dürftigen Glacis zur Zeit den einzigen Sommerschatten spenden!

Soll es aber in der Provinz Posen innerlich anders werden, so wird
zunächst das Deutschtum einmal recht ernstlich mit sich ins Gericht gehen
müssen, ob es im öffentlichen und kommunalen Leben anch seine Aufgabe erfüllt
hat und zu erfüllen bereit gewesen ist; ob es dem Polentum gegenüber stets
eine würdige, geschlossene Front gezeigt und in sich selbst die Zucht geübt hat,
die notwendig ist, um die Achtung selbst des politischen Gegners zu erringen;
ob die deutsche Bevölkerung, statt nur Schutz und unerfüllbare Leistungen von
der Regierung zu erwarten und eine überscharfe Kritik an ihren Maßregeln zu
üben, auch stets da die Organe der Staatsregierung gestützt hat, wo es der po¬
litische Anstand gebot. Glaubt das Deutschtum diese Fragen mit einem ehrlichen
Ja beantworten zu können, so bleibt demselben jedenfalls noch immer die eine
Aufgabe, sich in den einzelnen Gemeinden und Kreisen, ohne Unterschied des po¬
litischen Bekenntnisses und ohne spießbürgerlichen Kastengeist, fester aneinander zu
schließen. Möchten die Deutschen von den Polen lernen, wie mau Vereine praktisch
wirksam macht, wie man durch opferfreudigen Zusammenschluß den Schwachen
stützt und hält, die heimische Presse in ihrer Bedeutung fördert und durch zahl-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/458>, abgerufen am 28.09.2024.