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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

sich indes die Polen, wie bereits erwähnt, auch auf merkantilem Gebiete mit
außerordentlichem Geschick festgesetzt.

Durch die neue Konkurrenz sind indes nicht nur die christlichen, sondern
teilweise auch die jüdischen Kaufleute geschädigt worden, da es zahlreiche anti¬
semitische deutsche Heißsporue giebt, die in auffallender Kurzsichtigkeit lieber mit
dem Polen als mit dem Juden Geschäfte machen; außerdem erbittert es auch,
daß die Juden in den kleinen Städten aus geschäftlichen Rücksichten vielfach
polnisch stimmen und in den Mittelstädten und der Provinzialhnuptstadt sich
den Luxus fortschrittlicher Opposition gegen die Negierung gestatten, die ohne¬
dies schon gegen den Polouismns genug zu kämpfen hat.

Mit welchem Eifer jedes von einem Polen begonnene Unternehmen pol-
"ischerseits unterstützt wird, zeigt sich auch darin, daß die polnische Presse die
Niederlassung polnischer Handwerker oder Kaufleute in irgendeiner Stadt der
Provinz in ihrem lokalen Teile mit einer besondern Empfehlung bekannt zu
machen Pflegt; in den deutscheu Zeitungen pflegt man derartige Aufmerksamkeiten
zu vermissen; freilich können letztere sich auch mit Recht beklagen, daß sie
ihrerseits vom deutschen Publikum nicht genügend unterstützt werden und des¬
halb auch mit den namhaften Provinzialblättern andrer Provinzen nicht kon-
kurriren können; sehr viele langjährige Einfassen der Provinz halten nicht einmal
eine provinzielle Zeitung.

Bekümmerte sich das deutsche Publikum und die deutsche Presse eingehender
um die eingewanderten Landsleute aus dem Handwerker- und Kaufmannsstande
und ihr Leben und Treiben, so dürfte sich auch kaum die betrübende Erscheinung
fortgesetzt wiederholen, daß Inhaber namhafter deutscher Firmen, welche beim
Beginne ihrer geschäftlichen Laufbahn nicht ein Wort polnisch verstanden, sich
im politischen und sozialen Leben als Vvllblutpolen geriren. Es erscheint zwar
sittlich entschieden bedenklich, die Politik auf den geschäftlichen Verkehr zu über¬
tragen, aber im Interesse der Selbsterhaltung wird das deutsche Publikum
Gegenmaßregeln ergreifen müssen.

Während wir so einen engen Zusammenschluß aller Stände der polnischen
Gesellschaft, die gleiche Marschrichtung uach demselben Ziele und die stete Bereit¬
willigkeit sehen, für dieses Ziel finanzielle Opfer zu bringen, erscheint die deutsche
Gesellschaft von einer bedenklichen Lauheit, meist nur den eigensten Interessen
lebend, ohne Fühlung untereinander, zu materiellen Opfern für politische Zwecke
schwer bereit, aber die Beseitigung aller Schwierigkeiten von der Staatsregierung
und ihren Organen fordernd. Daß bei dieser Ungleichheit der Positionen das
Polentum reißende Fortschritte macht, kann nicht überraschen, und es ist in der
That die höchste Zeit, daß Regierung und Bevölkerung den Fuß von neuem
einsetzen, das bereits erworbne Terrain zu halten und zu erweitern.

Der Polvnismns ist keine provinzielle Frage der Provinz Posen mehr,
vielmehr hat derselbe auf der Brücke des Kulturkampfes von Oberschlesien


Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

sich indes die Polen, wie bereits erwähnt, auch auf merkantilem Gebiete mit
außerordentlichem Geschick festgesetzt.

Durch die neue Konkurrenz sind indes nicht nur die christlichen, sondern
teilweise auch die jüdischen Kaufleute geschädigt worden, da es zahlreiche anti¬
semitische deutsche Heißsporue giebt, die in auffallender Kurzsichtigkeit lieber mit
dem Polen als mit dem Juden Geschäfte machen; außerdem erbittert es auch,
daß die Juden in den kleinen Städten aus geschäftlichen Rücksichten vielfach
polnisch stimmen und in den Mittelstädten und der Provinzialhnuptstadt sich
den Luxus fortschrittlicher Opposition gegen die Negierung gestatten, die ohne¬
dies schon gegen den Polouismns genug zu kämpfen hat.

Mit welchem Eifer jedes von einem Polen begonnene Unternehmen pol-
»ischerseits unterstützt wird, zeigt sich auch darin, daß die polnische Presse die
Niederlassung polnischer Handwerker oder Kaufleute in irgendeiner Stadt der
Provinz in ihrem lokalen Teile mit einer besondern Empfehlung bekannt zu
machen Pflegt; in den deutscheu Zeitungen pflegt man derartige Aufmerksamkeiten
zu vermissen; freilich können letztere sich auch mit Recht beklagen, daß sie
ihrerseits vom deutschen Publikum nicht genügend unterstützt werden und des¬
halb auch mit den namhaften Provinzialblättern andrer Provinzen nicht kon-
kurriren können; sehr viele langjährige Einfassen der Provinz halten nicht einmal
eine provinzielle Zeitung.

Bekümmerte sich das deutsche Publikum und die deutsche Presse eingehender
um die eingewanderten Landsleute aus dem Handwerker- und Kaufmannsstande
und ihr Leben und Treiben, so dürfte sich auch kaum die betrübende Erscheinung
fortgesetzt wiederholen, daß Inhaber namhafter deutscher Firmen, welche beim
Beginne ihrer geschäftlichen Laufbahn nicht ein Wort polnisch verstanden, sich
im politischen und sozialen Leben als Vvllblutpolen geriren. Es erscheint zwar
sittlich entschieden bedenklich, die Politik auf den geschäftlichen Verkehr zu über¬
tragen, aber im Interesse der Selbsterhaltung wird das deutsche Publikum
Gegenmaßregeln ergreifen müssen.

Während wir so einen engen Zusammenschluß aller Stände der polnischen
Gesellschaft, die gleiche Marschrichtung uach demselben Ziele und die stete Bereit¬
willigkeit sehen, für dieses Ziel finanzielle Opfer zu bringen, erscheint die deutsche
Gesellschaft von einer bedenklichen Lauheit, meist nur den eigensten Interessen
lebend, ohne Fühlung untereinander, zu materiellen Opfern für politische Zwecke
schwer bereit, aber die Beseitigung aller Schwierigkeiten von der Staatsregierung
und ihren Organen fordernd. Daß bei dieser Ungleichheit der Positionen das
Polentum reißende Fortschritte macht, kann nicht überraschen, und es ist in der
That die höchste Zeit, daß Regierung und Bevölkerung den Fuß von neuem
einsetzen, das bereits erworbne Terrain zu halten und zu erweitern.

Der Polvnismns ist keine provinzielle Frage der Provinz Posen mehr,
vielmehr hat derselbe auf der Brücke des Kulturkampfes von Oberschlesien


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[0412] Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen. sich indes die Polen, wie bereits erwähnt, auch auf merkantilem Gebiete mit außerordentlichem Geschick festgesetzt. Durch die neue Konkurrenz sind indes nicht nur die christlichen, sondern teilweise auch die jüdischen Kaufleute geschädigt worden, da es zahlreiche anti¬ semitische deutsche Heißsporue giebt, die in auffallender Kurzsichtigkeit lieber mit dem Polen als mit dem Juden Geschäfte machen; außerdem erbittert es auch, daß die Juden in den kleinen Städten aus geschäftlichen Rücksichten vielfach polnisch stimmen und in den Mittelstädten und der Provinzialhnuptstadt sich den Luxus fortschrittlicher Opposition gegen die Negierung gestatten, die ohne¬ dies schon gegen den Polouismns genug zu kämpfen hat. Mit welchem Eifer jedes von einem Polen begonnene Unternehmen pol- »ischerseits unterstützt wird, zeigt sich auch darin, daß die polnische Presse die Niederlassung polnischer Handwerker oder Kaufleute in irgendeiner Stadt der Provinz in ihrem lokalen Teile mit einer besondern Empfehlung bekannt zu machen Pflegt; in den deutscheu Zeitungen pflegt man derartige Aufmerksamkeiten zu vermissen; freilich können letztere sich auch mit Recht beklagen, daß sie ihrerseits vom deutschen Publikum nicht genügend unterstützt werden und des¬ halb auch mit den namhaften Provinzialblättern andrer Provinzen nicht kon- kurriren können; sehr viele langjährige Einfassen der Provinz halten nicht einmal eine provinzielle Zeitung. Bekümmerte sich das deutsche Publikum und die deutsche Presse eingehender um die eingewanderten Landsleute aus dem Handwerker- und Kaufmannsstande und ihr Leben und Treiben, so dürfte sich auch kaum die betrübende Erscheinung fortgesetzt wiederholen, daß Inhaber namhafter deutscher Firmen, welche beim Beginne ihrer geschäftlichen Laufbahn nicht ein Wort polnisch verstanden, sich im politischen und sozialen Leben als Vvllblutpolen geriren. Es erscheint zwar sittlich entschieden bedenklich, die Politik auf den geschäftlichen Verkehr zu über¬ tragen, aber im Interesse der Selbsterhaltung wird das deutsche Publikum Gegenmaßregeln ergreifen müssen. Während wir so einen engen Zusammenschluß aller Stände der polnischen Gesellschaft, die gleiche Marschrichtung uach demselben Ziele und die stete Bereit¬ willigkeit sehen, für dieses Ziel finanzielle Opfer zu bringen, erscheint die deutsche Gesellschaft von einer bedenklichen Lauheit, meist nur den eigensten Interessen lebend, ohne Fühlung untereinander, zu materiellen Opfern für politische Zwecke schwer bereit, aber die Beseitigung aller Schwierigkeiten von der Staatsregierung und ihren Organen fordernd. Daß bei dieser Ungleichheit der Positionen das Polentum reißende Fortschritte macht, kann nicht überraschen, und es ist in der That die höchste Zeit, daß Regierung und Bevölkerung den Fuß von neuem einsetzen, das bereits erworbne Terrain zu halten und zu erweitern. Der Polvnismns ist keine provinzielle Frage der Provinz Posen mehr, vielmehr hat derselbe auf der Brücke des Kulturkampfes von Oberschlesien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/412>, abgerufen am 27.12.2024.