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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

sässige Besitzer, die mit größer" Kapitalien hierher kamen und sie hier anlegten,
weil sie sich einen größern Gewinn davon versprachen als daheim. Ein großer
Teil der deutschen Großgrundbesitzer, und zwar meist der wirtschaftlich tüchtigste,
hat sich erst vom Wirtschaftsbeamten durch den Pächter hindurch zum selb¬
ständigen Besitzer aufgeschwungen.

Die Verschiedenheit der provinziellen Abstammung und der sozialen Bil¬
dungsstufe ist die eigentliche Ursache, daß sich in den meisten Kreisen der Provinz
noch kein deutscher Besitzcrstaud herangebildet hat, der sich als Stand und Kor¬
poration fühlt. Vielfach fehlt es auch noch an Männern, welche die geistige
Bildung und den sozialen Takt besitzen, um diese innerlich verschiedenartigen
Elemente wenigstens auf öffentlichem und kommunalen Gebiete zu sammeln und
so eine erwünschte Stütze für die preußische Verwaltung zu bilden. Ein Teil
der deutschen Großgrundbesitzer hat leider nicht viel mehr Anhänglichkeit an
die Provinz als die aus andern Provinzen dorthin versetzten deutschen Beamten;
ihr Ziel ist günstiger Verkauf in den ältern Tagen und Rückkehr nach der alten
Heimat. Viele derselben haben auch die Produktionsfähigkeit des erkauften
Bodens und die Wirkung der eignen Intelligenz auf denselben überschätzt; der
Ankauf zu großer Flächen mit zu kleinem Kapital und die fortgesetzte Sorge
für den nächsten Zinstermin konsumirt sie vollständig. Nicht besser steht es
mit einem Teile der Domüncnpächter, die getrieben durch das Lizitationsver-
fahren einen Pacht zu zahlen haben, dessen Erwirtschaftung ihnen mit dem zur
Verfügung stehenden Betriebskapital, besonders bei den gegenwärtig außer¬
gewöhnlich niedrigen Preisen der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, unmöglich ist;
eine chronische wirtschaftliche Krisis läßt sie deshalb kranken -- bis zum Ende.
Der eigentliche Zweck der Domänen, wirtschaftliche Mustergüter zu sein, und
die Aufgabe der Domänenpächter, die Staatsverwaltung auf dem Gebiete des
öffentlichen Lebens zu stützen und als Träger und Förderer des Deutschtums
zu wirken, muß in solchen Fällen meist ziemlich ruhmlos verloren gehen.

Es fehlt in vielen Kreisen der Provinz Posen noch an einer deutschen
Gentry, die imstande und gewillt wäre, im patriotischen Interesse der deutschen
Verwaltung wirksam zur Seite zu stehen und so eine wichtige politische Rolle
zu spielen. In denjenigen Kreisen, in welchen sich eine solche Gentry mit so¬
zialem und politischem Standesgefühl bereits gebildet hat. sieht man auch die
sichtbaren Erfolge ihres Schwergewichts und ihrer Wirksamkeit. Die Polen
Pflegen mit dieser deutschen Gcntrh sehr wohl zu rechnen, und hier gestaltet sich
das Verhältnis des Deutschtums gegenüber den Polen sofort günstiger. Dort
jedoch, wo der deutsche Gruudbesitzcrstand in sich noch zerklüftet ist, daß der
deutsche Nachbar kaum den deutschen Nachbarn kennt, pflegt sich ein Pessimismus
auf wirtschaftlichem und politischem Gebiete auszubilden, der zwar von den Or¬
ganen der Staatsregierung alles verlangt, aber nicht den Mut und das Inter¬
esse hat, auf kommunalen und öffentlichem Gebiete irgend etwas zu leisten.


Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

sässige Besitzer, die mit größer« Kapitalien hierher kamen und sie hier anlegten,
weil sie sich einen größern Gewinn davon versprachen als daheim. Ein großer
Teil der deutschen Großgrundbesitzer, und zwar meist der wirtschaftlich tüchtigste,
hat sich erst vom Wirtschaftsbeamten durch den Pächter hindurch zum selb¬
ständigen Besitzer aufgeschwungen.

Die Verschiedenheit der provinziellen Abstammung und der sozialen Bil¬
dungsstufe ist die eigentliche Ursache, daß sich in den meisten Kreisen der Provinz
noch kein deutscher Besitzcrstaud herangebildet hat, der sich als Stand und Kor¬
poration fühlt. Vielfach fehlt es auch noch an Männern, welche die geistige
Bildung und den sozialen Takt besitzen, um diese innerlich verschiedenartigen
Elemente wenigstens auf öffentlichem und kommunalen Gebiete zu sammeln und
so eine erwünschte Stütze für die preußische Verwaltung zu bilden. Ein Teil
der deutschen Großgrundbesitzer hat leider nicht viel mehr Anhänglichkeit an
die Provinz als die aus andern Provinzen dorthin versetzten deutschen Beamten;
ihr Ziel ist günstiger Verkauf in den ältern Tagen und Rückkehr nach der alten
Heimat. Viele derselben haben auch die Produktionsfähigkeit des erkauften
Bodens und die Wirkung der eignen Intelligenz auf denselben überschätzt; der
Ankauf zu großer Flächen mit zu kleinem Kapital und die fortgesetzte Sorge
für den nächsten Zinstermin konsumirt sie vollständig. Nicht besser steht es
mit einem Teile der Domüncnpächter, die getrieben durch das Lizitationsver-
fahren einen Pacht zu zahlen haben, dessen Erwirtschaftung ihnen mit dem zur
Verfügung stehenden Betriebskapital, besonders bei den gegenwärtig außer¬
gewöhnlich niedrigen Preisen der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, unmöglich ist;
eine chronische wirtschaftliche Krisis läßt sie deshalb kranken — bis zum Ende.
Der eigentliche Zweck der Domänen, wirtschaftliche Mustergüter zu sein, und
die Aufgabe der Domänenpächter, die Staatsverwaltung auf dem Gebiete des
öffentlichen Lebens zu stützen und als Träger und Förderer des Deutschtums
zu wirken, muß in solchen Fällen meist ziemlich ruhmlos verloren gehen.

Es fehlt in vielen Kreisen der Provinz Posen noch an einer deutschen
Gentry, die imstande und gewillt wäre, im patriotischen Interesse der deutschen
Verwaltung wirksam zur Seite zu stehen und so eine wichtige politische Rolle
zu spielen. In denjenigen Kreisen, in welchen sich eine solche Gentry mit so¬
zialem und politischem Standesgefühl bereits gebildet hat. sieht man auch die
sichtbaren Erfolge ihres Schwergewichts und ihrer Wirksamkeit. Die Polen
Pflegen mit dieser deutschen Gcntrh sehr wohl zu rechnen, und hier gestaltet sich
das Verhältnis des Deutschtums gegenüber den Polen sofort günstiger. Dort
jedoch, wo der deutsche Gruudbesitzcrstand in sich noch zerklüftet ist, daß der
deutsche Nachbar kaum den deutschen Nachbarn kennt, pflegt sich ein Pessimismus
auf wirtschaftlichem und politischem Gebiete auszubilden, der zwar von den Or¬
ganen der Staatsregierung alles verlangt, aber nicht den Mut und das Inter¬
esse hat, auf kommunalen und öffentlichem Gebiete irgend etwas zu leisten.


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[0410] Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen. sässige Besitzer, die mit größer« Kapitalien hierher kamen und sie hier anlegten, weil sie sich einen größern Gewinn davon versprachen als daheim. Ein großer Teil der deutschen Großgrundbesitzer, und zwar meist der wirtschaftlich tüchtigste, hat sich erst vom Wirtschaftsbeamten durch den Pächter hindurch zum selb¬ ständigen Besitzer aufgeschwungen. Die Verschiedenheit der provinziellen Abstammung und der sozialen Bil¬ dungsstufe ist die eigentliche Ursache, daß sich in den meisten Kreisen der Provinz noch kein deutscher Besitzcrstaud herangebildet hat, der sich als Stand und Kor¬ poration fühlt. Vielfach fehlt es auch noch an Männern, welche die geistige Bildung und den sozialen Takt besitzen, um diese innerlich verschiedenartigen Elemente wenigstens auf öffentlichem und kommunalen Gebiete zu sammeln und so eine erwünschte Stütze für die preußische Verwaltung zu bilden. Ein Teil der deutschen Großgrundbesitzer hat leider nicht viel mehr Anhänglichkeit an die Provinz als die aus andern Provinzen dorthin versetzten deutschen Beamten; ihr Ziel ist günstiger Verkauf in den ältern Tagen und Rückkehr nach der alten Heimat. Viele derselben haben auch die Produktionsfähigkeit des erkauften Bodens und die Wirkung der eignen Intelligenz auf denselben überschätzt; der Ankauf zu großer Flächen mit zu kleinem Kapital und die fortgesetzte Sorge für den nächsten Zinstermin konsumirt sie vollständig. Nicht besser steht es mit einem Teile der Domüncnpächter, die getrieben durch das Lizitationsver- fahren einen Pacht zu zahlen haben, dessen Erwirtschaftung ihnen mit dem zur Verfügung stehenden Betriebskapital, besonders bei den gegenwärtig außer¬ gewöhnlich niedrigen Preisen der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, unmöglich ist; eine chronische wirtschaftliche Krisis läßt sie deshalb kranken — bis zum Ende. Der eigentliche Zweck der Domänen, wirtschaftliche Mustergüter zu sein, und die Aufgabe der Domänenpächter, die Staatsverwaltung auf dem Gebiete des öffentlichen Lebens zu stützen und als Träger und Förderer des Deutschtums zu wirken, muß in solchen Fällen meist ziemlich ruhmlos verloren gehen. Es fehlt in vielen Kreisen der Provinz Posen noch an einer deutschen Gentry, die imstande und gewillt wäre, im patriotischen Interesse der deutschen Verwaltung wirksam zur Seite zu stehen und so eine wichtige politische Rolle zu spielen. In denjenigen Kreisen, in welchen sich eine solche Gentry mit so¬ zialem und politischem Standesgefühl bereits gebildet hat. sieht man auch die sichtbaren Erfolge ihres Schwergewichts und ihrer Wirksamkeit. Die Polen Pflegen mit dieser deutschen Gcntrh sehr wohl zu rechnen, und hier gestaltet sich das Verhältnis des Deutschtums gegenüber den Polen sofort günstiger. Dort jedoch, wo der deutsche Gruudbesitzcrstand in sich noch zerklüftet ist, daß der deutsche Nachbar kaum den deutschen Nachbarn kennt, pflegt sich ein Pessimismus auf wirtschaftlichem und politischem Gebiete auszubilden, der zwar von den Or¬ ganen der Staatsregierung alles verlangt, aber nicht den Mut und das Inter¬ esse hat, auf kommunalen und öffentlichem Gebiete irgend etwas zu leisten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/410>, abgerufen am 24.07.2024.