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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Polentum "ud Leiltschtmn in der Provinz Posen.

Diese Frühliugsstinunung pflegt aber nur kurze Zeit zu dauern; sehr bald
werden die Neulinge beeinflußt von der gegen das Polentum herrschenden all¬
gemeinen Mißstimmung und gereizt durch einzelne zu ihrer Kenntnis gelangende
polnische Ausschreitungen; das zuerst angedeutete harmlose Wohlwollen verliert
sich und weicht einer zwar nicht immer auf eigner Prüfung und voller Würdigung
der thatsächlichen Verhältnisse beruhenden, aber durch die gesamte politische
Haltung des Polentums wohl erklärliche" und fortgesetzt geförderten allgemeinen
Abneigung: mau verletzt den politischen Gegner auch in berechtigten Gefühlen,
man tadelt ihn oft zu laut und zu scharf, bekämpft ihn aber thatsächlich zu wenig.

Die schwierigen Verhältnisse eingehend zu studiren, Land und Leute kennen
zu lernen, die Person der Gegner und ihre Mittel zu wägen und zu eignem
Nutzen von ihnen zu lernen, in selbstloser Zusammenfassung aller der zu Gebote
stehenden amtlichen Machtmittel den Interessen des Staates und damit der
deutschen Sache zu dienen, die strengste Gerechtigkeit auf kommunalen Gebiete
walten zu lassen, die preußische Staatsverwaltung von der glänzendsten und
besten Seite zu repräsentiren und ihr dnrch positive Leistungen Achtung, An¬
erkennung und Einfluß selbst beim politischen Gegner zu erringen, statt Mißbe¬
hagen über kleine soziale Unannehmlichkeiten zu empfinden, doppelte Kraft-
anstrengungen zur Erfüllung der durch eine fremde Bevölkerung unendlich
erschwerten staatlichen Aufgaben zu machen, das erscheint als Gewissenspflicht
jedes Mannes, der kraft dienstlichen Auftrages nach den polnischen Landesteilen
geschickt wird. Alle diejenigen Diener des preußischen Staates, welche ihre Auf¬
gabe so aufgefaßt haben und noch so auffassen, können sich anch unzweifelhafter
politischer Erfolge rühmen.

Es wird zwar durch die musterhafteste Verwaltung eines preußischen Beamten
kein einziger Pole innerlich gewonnen, wohl aber das Feld der staatsfeindlichen
Agitation eingeschränkt und, worauf es vor allem ankommt, das Wohlbefinden
der deutsche" Bevölkerung erhöht und damit ihre Seßhaftigkeit und ihr Heimats¬
gefühl gefördert werde".

Was würde das englische Volk mit seiner großartigen Kolonialpolitik er¬
reicht haben, wenn seine Beamten in ferne" Weltteilen an einem Nativismus
litten, der ihnen das Leben nur in der heimischen Grafschaft lebenswert er¬
scheinen ließe? Mit den oben geschilderten Zustünden -- der geringen, weder
durch provinzielle Abstammung noch durch besondre äußere Lebensaunehmlich-
keiten unterstützte" Kohärenz zwischen den: Veamtentnm und dem lokalen Ge¬
biete seiner Wirksamkeit -- hängt auch der ewige Wechsel desselben zusammen.
Alle sechs Jahre verändert sich die Gesellschaft fast vollständig, und es kann
sich in der Behandlung der polnischen Angelegenheiten keine feste Tradition
bilden. Die einflußreichsten und konstantesten Beamten der Provinz sind un¬
zweifelhaft die Laudräte, in ihnen sieht die Bevölkerung die eigentlichen Reprä¬
sentanten der Stnatsverwaltnng, und die Erfolge derselben, die wirksame Aus-


Polentum »ud Leiltschtmn in der Provinz Posen.

Diese Frühliugsstinunung pflegt aber nur kurze Zeit zu dauern; sehr bald
werden die Neulinge beeinflußt von der gegen das Polentum herrschenden all¬
gemeinen Mißstimmung und gereizt durch einzelne zu ihrer Kenntnis gelangende
polnische Ausschreitungen; das zuerst angedeutete harmlose Wohlwollen verliert
sich und weicht einer zwar nicht immer auf eigner Prüfung und voller Würdigung
der thatsächlichen Verhältnisse beruhenden, aber durch die gesamte politische
Haltung des Polentums wohl erklärliche» und fortgesetzt geförderten allgemeinen
Abneigung: mau verletzt den politischen Gegner auch in berechtigten Gefühlen,
man tadelt ihn oft zu laut und zu scharf, bekämpft ihn aber thatsächlich zu wenig.

Die schwierigen Verhältnisse eingehend zu studiren, Land und Leute kennen
zu lernen, die Person der Gegner und ihre Mittel zu wägen und zu eignem
Nutzen von ihnen zu lernen, in selbstloser Zusammenfassung aller der zu Gebote
stehenden amtlichen Machtmittel den Interessen des Staates und damit der
deutschen Sache zu dienen, die strengste Gerechtigkeit auf kommunalen Gebiete
walten zu lassen, die preußische Staatsverwaltung von der glänzendsten und
besten Seite zu repräsentiren und ihr dnrch positive Leistungen Achtung, An¬
erkennung und Einfluß selbst beim politischen Gegner zu erringen, statt Mißbe¬
hagen über kleine soziale Unannehmlichkeiten zu empfinden, doppelte Kraft-
anstrengungen zur Erfüllung der durch eine fremde Bevölkerung unendlich
erschwerten staatlichen Aufgaben zu machen, das erscheint als Gewissenspflicht
jedes Mannes, der kraft dienstlichen Auftrages nach den polnischen Landesteilen
geschickt wird. Alle diejenigen Diener des preußischen Staates, welche ihre Auf¬
gabe so aufgefaßt haben und noch so auffassen, können sich anch unzweifelhafter
politischer Erfolge rühmen.

Es wird zwar durch die musterhafteste Verwaltung eines preußischen Beamten
kein einziger Pole innerlich gewonnen, wohl aber das Feld der staatsfeindlichen
Agitation eingeschränkt und, worauf es vor allem ankommt, das Wohlbefinden
der deutsche» Bevölkerung erhöht und damit ihre Seßhaftigkeit und ihr Heimats¬
gefühl gefördert werde».

Was würde das englische Volk mit seiner großartigen Kolonialpolitik er¬
reicht haben, wenn seine Beamten in ferne» Weltteilen an einem Nativismus
litten, der ihnen das Leben nur in der heimischen Grafschaft lebenswert er¬
scheinen ließe? Mit den oben geschilderten Zustünden — der geringen, weder
durch provinzielle Abstammung noch durch besondre äußere Lebensaunehmlich-
keiten unterstützte» Kohärenz zwischen den: Veamtentnm und dem lokalen Ge¬
biete seiner Wirksamkeit — hängt auch der ewige Wechsel desselben zusammen.
Alle sechs Jahre verändert sich die Gesellschaft fast vollständig, und es kann
sich in der Behandlung der polnischen Angelegenheiten keine feste Tradition
bilden. Die einflußreichsten und konstantesten Beamten der Provinz sind un¬
zweifelhaft die Laudräte, in ihnen sieht die Bevölkerung die eigentlichen Reprä¬
sentanten der Stnatsverwaltnng, und die Erfolge derselben, die wirksame Aus-


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[0408] Polentum »ud Leiltschtmn in der Provinz Posen. Diese Frühliugsstinunung pflegt aber nur kurze Zeit zu dauern; sehr bald werden die Neulinge beeinflußt von der gegen das Polentum herrschenden all¬ gemeinen Mißstimmung und gereizt durch einzelne zu ihrer Kenntnis gelangende polnische Ausschreitungen; das zuerst angedeutete harmlose Wohlwollen verliert sich und weicht einer zwar nicht immer auf eigner Prüfung und voller Würdigung der thatsächlichen Verhältnisse beruhenden, aber durch die gesamte politische Haltung des Polentums wohl erklärliche» und fortgesetzt geförderten allgemeinen Abneigung: mau verletzt den politischen Gegner auch in berechtigten Gefühlen, man tadelt ihn oft zu laut und zu scharf, bekämpft ihn aber thatsächlich zu wenig. Die schwierigen Verhältnisse eingehend zu studiren, Land und Leute kennen zu lernen, die Person der Gegner und ihre Mittel zu wägen und zu eignem Nutzen von ihnen zu lernen, in selbstloser Zusammenfassung aller der zu Gebote stehenden amtlichen Machtmittel den Interessen des Staates und damit der deutschen Sache zu dienen, die strengste Gerechtigkeit auf kommunalen Gebiete walten zu lassen, die preußische Staatsverwaltung von der glänzendsten und besten Seite zu repräsentiren und ihr dnrch positive Leistungen Achtung, An¬ erkennung und Einfluß selbst beim politischen Gegner zu erringen, statt Mißbe¬ hagen über kleine soziale Unannehmlichkeiten zu empfinden, doppelte Kraft- anstrengungen zur Erfüllung der durch eine fremde Bevölkerung unendlich erschwerten staatlichen Aufgaben zu machen, das erscheint als Gewissenspflicht jedes Mannes, der kraft dienstlichen Auftrages nach den polnischen Landesteilen geschickt wird. Alle diejenigen Diener des preußischen Staates, welche ihre Auf¬ gabe so aufgefaßt haben und noch so auffassen, können sich anch unzweifelhafter politischer Erfolge rühmen. Es wird zwar durch die musterhafteste Verwaltung eines preußischen Beamten kein einziger Pole innerlich gewonnen, wohl aber das Feld der staatsfeindlichen Agitation eingeschränkt und, worauf es vor allem ankommt, das Wohlbefinden der deutsche» Bevölkerung erhöht und damit ihre Seßhaftigkeit und ihr Heimats¬ gefühl gefördert werde». Was würde das englische Volk mit seiner großartigen Kolonialpolitik er¬ reicht haben, wenn seine Beamten in ferne» Weltteilen an einem Nativismus litten, der ihnen das Leben nur in der heimischen Grafschaft lebenswert er¬ scheinen ließe? Mit den oben geschilderten Zustünden — der geringen, weder durch provinzielle Abstammung noch durch besondre äußere Lebensaunehmlich- keiten unterstützte» Kohärenz zwischen den: Veamtentnm und dem lokalen Ge¬ biete seiner Wirksamkeit — hängt auch der ewige Wechsel desselben zusammen. Alle sechs Jahre verändert sich die Gesellschaft fast vollständig, und es kann sich in der Behandlung der polnischen Angelegenheiten keine feste Tradition bilden. Die einflußreichsten und konstantesten Beamten der Provinz sind un¬ zweifelhaft die Laudräte, in ihnen sieht die Bevölkerung die eigentlichen Reprä¬ sentanten der Stnatsverwaltnng, und die Erfolge derselben, die wirksame Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/408>, abgerufen am 24.07.2024.