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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Camoens.

mußte er die steinerne Fessel gesprengt haben, er lag frei in einem engen, halb
dunkeln Raume, von dein er nicht wußte, ob es eine Falle oder eine der schattigen
Lauben von Almveegema sei. Und jetzt schwebte eine Gestalt auf den still da-
liegenden zu, er schlug die Augen ans, blickte der Nahenden immer gespannter
entgegen, es waren die Züge Catarinas, er versuchte sich emporzurichten, sie
aber hatte sich schon zu ihm herabgebeugt, er fühlte ihren Kuß auf seiner Stirn,
ihr Mund war rot und heiß, der seine aber bleich und kalt, ein schmerzlicher
Zorn wallte in ihm ans, daß er der Heißersehnten so regungslos, so kalt be¬
gegne, es zuckte wild durch seinen ganzen Leib, als gälte es immer noch, eine
starre Rinde zu sprengen. Und indem er zuckte, hob er in Wahrheit das Haupt
vom Kissen, und das erste Morgengrau fiel von dem Bogengänge draußen ans die
Matten seines Schlafgemachs und auf sein Lager. Von den wirren Bildern
des Traumes schaute er das erste und das letzte: die Schlange, welche plötzlich
zwischen ihm und Barreto hinglitt, eine alte wirkliche Erinnerung, und Catarina
Palmcirim, die Lebende, Blühende, welche ihn umfaßte und küßte, jetzt im Wachen
am deutlichsten. Er entsann sich, daß er so Schmer und so lebhaft immer nur
vor entscheidenden Tagen seines Lebens geträumt habe. Wie er sich vom Lager
erhob und die Stunden des heutigen Tages im voraus überdachte, dünkte es
ihm nicht unmöglich, daß eben wieder einer dieser Tage aufgedämmert sei. Er
fließ die Thür nach dem Gange auf, und aus dem Hofe kam schon Joao, der
in der Nähe der Pferde geschlafen hatte, um die Herren zu wecken.

Und doch schienen ihn Traum und Vorahnung zu täuschen; der Tag brachte
kein Erlebnis, das Camoens so tief bewegte, als gestern die erschütternde Kunde
vom Morde Joanas, vom Hinscheiden des greise" Marschalls Antonio Pacheco,
und als am Abend der Ritt nach Santa Eufemia und vou dort nach Cintm.
Im Morgenrot betteten sie droben in dem Hochthal der Mutter aller Gnaden
Ivana, die Hirtin, in ihren schmucklosen Sarg, auf deu Schultern Peros und
seiner Kameraden ward derselbe deu Weg hinab und die Straße entlang getragen,
welche Camoens gestern zum großen Teile an der Seite von Tellez Alucita
zurückgelegt hatte. Barreto und Camoens folgten zu Pferde dem kleinen Trauer¬
zuge, dem in den ersten Morgenstunden beinahe niemand begegnete. Kurz vor
dem Kloster überließen sie die Rosse der Sorgfalt Joaos und durchschritten,
hinter dem Sarge, die schmale Pforte des Friedhofes, welche weit geöffnet stand.
Die Frtthsonne schien hell, und die dienenden Schwestern des Klosters, die auf
Befehl der Äbtissin dem Begräbnis Joanas beiwohnten, hatten ganze Körbe
voll Spätblüten gepflückt, um den Sarg des armen Kindes damit zu über¬
schütten. Der alte Nonnenpriester Galvez freilich schwang so mechanisch sein
Weihrauchfaß und murmelte so eintönig anteilslos seine Gebete, daß Barreto
und Camoens sich fast entrüstet von ihm abwandten und ihre Gebete still für
sich sprachen. Der ehrliche Schmerz des Waldhüters, die Teilnahme seiner
Genossen und die Thränen in den Augen ewiger Laienschwester" versöhnte die


Camoens.

mußte er die steinerne Fessel gesprengt haben, er lag frei in einem engen, halb
dunkeln Raume, von dein er nicht wußte, ob es eine Falle oder eine der schattigen
Lauben von Almveegema sei. Und jetzt schwebte eine Gestalt auf den still da-
liegenden zu, er schlug die Augen ans, blickte der Nahenden immer gespannter
entgegen, es waren die Züge Catarinas, er versuchte sich emporzurichten, sie
aber hatte sich schon zu ihm herabgebeugt, er fühlte ihren Kuß auf seiner Stirn,
ihr Mund war rot und heiß, der seine aber bleich und kalt, ein schmerzlicher
Zorn wallte in ihm ans, daß er der Heißersehnten so regungslos, so kalt be¬
gegne, es zuckte wild durch seinen ganzen Leib, als gälte es immer noch, eine
starre Rinde zu sprengen. Und indem er zuckte, hob er in Wahrheit das Haupt
vom Kissen, und das erste Morgengrau fiel von dem Bogengänge draußen ans die
Matten seines Schlafgemachs und auf sein Lager. Von den wirren Bildern
des Traumes schaute er das erste und das letzte: die Schlange, welche plötzlich
zwischen ihm und Barreto hinglitt, eine alte wirkliche Erinnerung, und Catarina
Palmcirim, die Lebende, Blühende, welche ihn umfaßte und küßte, jetzt im Wachen
am deutlichsten. Er entsann sich, daß er so Schmer und so lebhaft immer nur
vor entscheidenden Tagen seines Lebens geträumt habe. Wie er sich vom Lager
erhob und die Stunden des heutigen Tages im voraus überdachte, dünkte es
ihm nicht unmöglich, daß eben wieder einer dieser Tage aufgedämmert sei. Er
fließ die Thür nach dem Gange auf, und aus dem Hofe kam schon Joao, der
in der Nähe der Pferde geschlafen hatte, um die Herren zu wecken.

Und doch schienen ihn Traum und Vorahnung zu täuschen; der Tag brachte
kein Erlebnis, das Camoens so tief bewegte, als gestern die erschütternde Kunde
vom Morde Joanas, vom Hinscheiden des greise» Marschalls Antonio Pacheco,
und als am Abend der Ritt nach Santa Eufemia und vou dort nach Cintm.
Im Morgenrot betteten sie droben in dem Hochthal der Mutter aller Gnaden
Ivana, die Hirtin, in ihren schmucklosen Sarg, auf deu Schultern Peros und
seiner Kameraden ward derselbe deu Weg hinab und die Straße entlang getragen,
welche Camoens gestern zum großen Teile an der Seite von Tellez Alucita
zurückgelegt hatte. Barreto und Camoens folgten zu Pferde dem kleinen Trauer¬
zuge, dem in den ersten Morgenstunden beinahe niemand begegnete. Kurz vor
dem Kloster überließen sie die Rosse der Sorgfalt Joaos und durchschritten,
hinter dem Sarge, die schmale Pforte des Friedhofes, welche weit geöffnet stand.
Die Frtthsonne schien hell, und die dienenden Schwestern des Klosters, die auf
Befehl der Äbtissin dem Begräbnis Joanas beiwohnten, hatten ganze Körbe
voll Spätblüten gepflückt, um den Sarg des armen Kindes damit zu über¬
schütten. Der alte Nonnenpriester Galvez freilich schwang so mechanisch sein
Weihrauchfaß und murmelte so eintönig anteilslos seine Gebete, daß Barreto
und Camoens sich fast entrüstet von ihm abwandten und ihre Gebete still für
sich sprachen. Der ehrliche Schmerz des Waldhüters, die Teilnahme seiner
Genossen und die Thränen in den Augen ewiger Laienschwester» versöhnte die


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[0394] Camoens. mußte er die steinerne Fessel gesprengt haben, er lag frei in einem engen, halb dunkeln Raume, von dein er nicht wußte, ob es eine Falle oder eine der schattigen Lauben von Almveegema sei. Und jetzt schwebte eine Gestalt auf den still da- liegenden zu, er schlug die Augen ans, blickte der Nahenden immer gespannter entgegen, es waren die Züge Catarinas, er versuchte sich emporzurichten, sie aber hatte sich schon zu ihm herabgebeugt, er fühlte ihren Kuß auf seiner Stirn, ihr Mund war rot und heiß, der seine aber bleich und kalt, ein schmerzlicher Zorn wallte in ihm ans, daß er der Heißersehnten so regungslos, so kalt be¬ gegne, es zuckte wild durch seinen ganzen Leib, als gälte es immer noch, eine starre Rinde zu sprengen. Und indem er zuckte, hob er in Wahrheit das Haupt vom Kissen, und das erste Morgengrau fiel von dem Bogengänge draußen ans die Matten seines Schlafgemachs und auf sein Lager. Von den wirren Bildern des Traumes schaute er das erste und das letzte: die Schlange, welche plötzlich zwischen ihm und Barreto hinglitt, eine alte wirkliche Erinnerung, und Catarina Palmcirim, die Lebende, Blühende, welche ihn umfaßte und küßte, jetzt im Wachen am deutlichsten. Er entsann sich, daß er so Schmer und so lebhaft immer nur vor entscheidenden Tagen seines Lebens geträumt habe. Wie er sich vom Lager erhob und die Stunden des heutigen Tages im voraus überdachte, dünkte es ihm nicht unmöglich, daß eben wieder einer dieser Tage aufgedämmert sei. Er fließ die Thür nach dem Gange auf, und aus dem Hofe kam schon Joao, der in der Nähe der Pferde geschlafen hatte, um die Herren zu wecken. Und doch schienen ihn Traum und Vorahnung zu täuschen; der Tag brachte kein Erlebnis, das Camoens so tief bewegte, als gestern die erschütternde Kunde vom Morde Joanas, vom Hinscheiden des greise» Marschalls Antonio Pacheco, und als am Abend der Ritt nach Santa Eufemia und vou dort nach Cintm. Im Morgenrot betteten sie droben in dem Hochthal der Mutter aller Gnaden Ivana, die Hirtin, in ihren schmucklosen Sarg, auf deu Schultern Peros und seiner Kameraden ward derselbe deu Weg hinab und die Straße entlang getragen, welche Camoens gestern zum großen Teile an der Seite von Tellez Alucita zurückgelegt hatte. Barreto und Camoens folgten zu Pferde dem kleinen Trauer¬ zuge, dem in den ersten Morgenstunden beinahe niemand begegnete. Kurz vor dem Kloster überließen sie die Rosse der Sorgfalt Joaos und durchschritten, hinter dem Sarge, die schmale Pforte des Friedhofes, welche weit geöffnet stand. Die Frtthsonne schien hell, und die dienenden Schwestern des Klosters, die auf Befehl der Äbtissin dem Begräbnis Joanas beiwohnten, hatten ganze Körbe voll Spätblüten gepflückt, um den Sarg des armen Kindes damit zu über¬ schütten. Der alte Nonnenpriester Galvez freilich schwang so mechanisch sein Weihrauchfaß und murmelte so eintönig anteilslos seine Gebete, daß Barreto und Camoens sich fast entrüstet von ihm abwandten und ihre Gebete still für sich sprachen. Der ehrliche Schmerz des Waldhüters, die Teilnahme seiner Genossen und die Thränen in den Augen ewiger Laienschwester» versöhnte die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/394>, abgerufen am 01.07.2024.