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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Spiel und Wette.

Zwei Leute würfelin Es wird ausgemacht, daß, wer mit den drei ersten
Paschen die höhere Summe erreicht, den Einsatz gewinnt: sie spielen. Zwei
Leute würfeln: es behauptet der eine, der erste Wurf ergebe einen Pasch, der
andre behauptet das Gegenteil. Es wird geworfen; der, dessen Behauptung
richtig war, gewinnt den Einsatz: sie haben gewettet. Im ersten Falle wird
einer im voraus festgesetzte,, Anzahl von Paschen, und zwar in einer festgesetzten
Ordnung, sodaß ein vierter nicht mehr giltig wäre, eine entscheidende Bedeutung
beigelegt; dem Zufall bleibt die Herstellung der Summe überlassen. Im zweiten
Falle wird eine die objektive Beschaffenheit des nächsten Wurfes betreffende
Behauptung und Gegeubehnuptung aufgestellt. Die objektiv eintretende Bewahr¬
heitung entscheidet über Gewinn oder Verlust. Die Einbildungskraft war nur
in der Zuweisung der einen Behauptung als in ihren Folgen giltig für diesen,
der andern für jenen thätig.

Gretchen zerpflückt die Blume und spricht bei jedem Blatte abwechselnd:
er liebt mich, liebt mich nicht: sie legt den Blättern Bedeutungen bei, die sie
an und für sich nicht haben, es ist ein Spiel. Wenn sie der willkürlichen An¬
nahme eine objektive Wahrheit unterschiebt, so wird das Spiel zum Aberglauben,
an der objektiven Beschaffenheit des Vorganges wird dadurch nichts geändert.
Wenn aber Mephistopheles behauptet, den Faust von Gott abziehen zu können,
und Gott dagegen erklärt: dies sei nicht möglich, da der Mensch in seinem
dunkeln Drange sich doch des rechten Weges bewußt sei, aber doch dem Mephi¬
stopheles gestattet, den Versuch zu machen, so ist das eine Wette: der objektive,
von der Narnr des Faust abhängige, durch des Mephistopheles Künste zeit¬
weilig gestörte Verlauf giebt die Entscheidung und den Verlust des Einsatzes
für den Teufel.

Das "Börsenspiel" ist kein Spiel, sondern eine Wette. Der eine behauptet,
daß an einem bestimmten Tage der Kurs eines Wertpapieres so oder so sein
werde, indem er erklärt, einem andern dieses Wertpapier in einer gewissen
Anzahl von Stücken zu dem ausgemachten Kurse liefern zu wollen. Er denkt
so wenig an das Liefern, wie sein Partner an das Abnehmen; am entscheidenden
Tage wird der Unterschied von dem behaupteten Kurse je nach dem dann
wirklich giltigen ausgezahlt. Die Entscheidung für eine Behauptung über den
objektiven Stand wird also den vielen Zufälligkeiten und Einwirkungen über¬
lassen, die sich unabhängig von den Subjekten und ohne daß diese eine Kenntnis
davon haben, vollziehen. Wenn zwei Leute behauptet hätten, der eine, in vierzehn
Tagen werde um zwölf Uhr mittags die Sonne unbewölkt scheinen, der andre,
sie werde dann bewölkt scheinen, und jeder hätte für die objektive Bewahrheitung
seiner Behauptung einen Einsatz gegeben, so wäre dies eine in der Möglichkeit
der Berechnung des Ausganges nicht gewagtere Wette als jene, welche sich unter
dem Scheine eines Geschäftes vollzieht und infolgedessen geeignet ist, auf das
wirkliche Geschäft ein unliebsames Licht zurückstrahlen zu lassen.


Spiel und Wette.

Zwei Leute würfelin Es wird ausgemacht, daß, wer mit den drei ersten
Paschen die höhere Summe erreicht, den Einsatz gewinnt: sie spielen. Zwei
Leute würfeln: es behauptet der eine, der erste Wurf ergebe einen Pasch, der
andre behauptet das Gegenteil. Es wird geworfen; der, dessen Behauptung
richtig war, gewinnt den Einsatz: sie haben gewettet. Im ersten Falle wird
einer im voraus festgesetzte,, Anzahl von Paschen, und zwar in einer festgesetzten
Ordnung, sodaß ein vierter nicht mehr giltig wäre, eine entscheidende Bedeutung
beigelegt; dem Zufall bleibt die Herstellung der Summe überlassen. Im zweiten
Falle wird eine die objektive Beschaffenheit des nächsten Wurfes betreffende
Behauptung und Gegeubehnuptung aufgestellt. Die objektiv eintretende Bewahr¬
heitung entscheidet über Gewinn oder Verlust. Die Einbildungskraft war nur
in der Zuweisung der einen Behauptung als in ihren Folgen giltig für diesen,
der andern für jenen thätig.

Gretchen zerpflückt die Blume und spricht bei jedem Blatte abwechselnd:
er liebt mich, liebt mich nicht: sie legt den Blättern Bedeutungen bei, die sie
an und für sich nicht haben, es ist ein Spiel. Wenn sie der willkürlichen An¬
nahme eine objektive Wahrheit unterschiebt, so wird das Spiel zum Aberglauben,
an der objektiven Beschaffenheit des Vorganges wird dadurch nichts geändert.
Wenn aber Mephistopheles behauptet, den Faust von Gott abziehen zu können,
und Gott dagegen erklärt: dies sei nicht möglich, da der Mensch in seinem
dunkeln Drange sich doch des rechten Weges bewußt sei, aber doch dem Mephi¬
stopheles gestattet, den Versuch zu machen, so ist das eine Wette: der objektive,
von der Narnr des Faust abhängige, durch des Mephistopheles Künste zeit¬
weilig gestörte Verlauf giebt die Entscheidung und den Verlust des Einsatzes
für den Teufel.

Das „Börsenspiel" ist kein Spiel, sondern eine Wette. Der eine behauptet,
daß an einem bestimmten Tage der Kurs eines Wertpapieres so oder so sein
werde, indem er erklärt, einem andern dieses Wertpapier in einer gewissen
Anzahl von Stücken zu dem ausgemachten Kurse liefern zu wollen. Er denkt
so wenig an das Liefern, wie sein Partner an das Abnehmen; am entscheidenden
Tage wird der Unterschied von dem behaupteten Kurse je nach dem dann
wirklich giltigen ausgezahlt. Die Entscheidung für eine Behauptung über den
objektiven Stand wird also den vielen Zufälligkeiten und Einwirkungen über¬
lassen, die sich unabhängig von den Subjekten und ohne daß diese eine Kenntnis
davon haben, vollziehen. Wenn zwei Leute behauptet hätten, der eine, in vierzehn
Tagen werde um zwölf Uhr mittags die Sonne unbewölkt scheinen, der andre,
sie werde dann bewölkt scheinen, und jeder hätte für die objektive Bewahrheitung
seiner Behauptung einen Einsatz gegeben, so wäre dies eine in der Möglichkeit
der Berechnung des Ausganges nicht gewagtere Wette als jene, welche sich unter
dem Scheine eines Geschäftes vollzieht und infolgedessen geeignet ist, auf das
wirkliche Geschäft ein unliebsames Licht zurückstrahlen zu lassen.


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[0038] Spiel und Wette. Zwei Leute würfelin Es wird ausgemacht, daß, wer mit den drei ersten Paschen die höhere Summe erreicht, den Einsatz gewinnt: sie spielen. Zwei Leute würfeln: es behauptet der eine, der erste Wurf ergebe einen Pasch, der andre behauptet das Gegenteil. Es wird geworfen; der, dessen Behauptung richtig war, gewinnt den Einsatz: sie haben gewettet. Im ersten Falle wird einer im voraus festgesetzte,, Anzahl von Paschen, und zwar in einer festgesetzten Ordnung, sodaß ein vierter nicht mehr giltig wäre, eine entscheidende Bedeutung beigelegt; dem Zufall bleibt die Herstellung der Summe überlassen. Im zweiten Falle wird eine die objektive Beschaffenheit des nächsten Wurfes betreffende Behauptung und Gegeubehnuptung aufgestellt. Die objektiv eintretende Bewahr¬ heitung entscheidet über Gewinn oder Verlust. Die Einbildungskraft war nur in der Zuweisung der einen Behauptung als in ihren Folgen giltig für diesen, der andern für jenen thätig. Gretchen zerpflückt die Blume und spricht bei jedem Blatte abwechselnd: er liebt mich, liebt mich nicht: sie legt den Blättern Bedeutungen bei, die sie an und für sich nicht haben, es ist ein Spiel. Wenn sie der willkürlichen An¬ nahme eine objektive Wahrheit unterschiebt, so wird das Spiel zum Aberglauben, an der objektiven Beschaffenheit des Vorganges wird dadurch nichts geändert. Wenn aber Mephistopheles behauptet, den Faust von Gott abziehen zu können, und Gott dagegen erklärt: dies sei nicht möglich, da der Mensch in seinem dunkeln Drange sich doch des rechten Weges bewußt sei, aber doch dem Mephi¬ stopheles gestattet, den Versuch zu machen, so ist das eine Wette: der objektive, von der Narnr des Faust abhängige, durch des Mephistopheles Künste zeit¬ weilig gestörte Verlauf giebt die Entscheidung und den Verlust des Einsatzes für den Teufel. Das „Börsenspiel" ist kein Spiel, sondern eine Wette. Der eine behauptet, daß an einem bestimmten Tage der Kurs eines Wertpapieres so oder so sein werde, indem er erklärt, einem andern dieses Wertpapier in einer gewissen Anzahl von Stücken zu dem ausgemachten Kurse liefern zu wollen. Er denkt so wenig an das Liefern, wie sein Partner an das Abnehmen; am entscheidenden Tage wird der Unterschied von dem behaupteten Kurse je nach dem dann wirklich giltigen ausgezahlt. Die Entscheidung für eine Behauptung über den objektiven Stand wird also den vielen Zufälligkeiten und Einwirkungen über¬ lassen, die sich unabhängig von den Subjekten und ohne daß diese eine Kenntnis davon haben, vollziehen. Wenn zwei Leute behauptet hätten, der eine, in vierzehn Tagen werde um zwölf Uhr mittags die Sonne unbewölkt scheinen, der andre, sie werde dann bewölkt scheinen, und jeder hätte für die objektive Bewahrheitung seiner Behauptung einen Einsatz gegeben, so wäre dies eine in der Möglichkeit der Berechnung des Ausganges nicht gewagtere Wette als jene, welche sich unter dem Scheine eines Geschäftes vollzieht und infolgedessen geeignet ist, auf das wirkliche Geschäft ein unliebsames Licht zurückstrahlen zu lassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/38>, abgerufen am 24.07.2024.